zur startseite
zum archiv
zu den essays
Robin
Hood
Historie
im Konjunktiv
Ridley
Scott geht zu den Ursprüngen zurück: Woher kommt Robin Hood, die Legende,
der Rächer der Entrechteten, Beschützer von Witwen und Waisen? Robin
Longstride, später Hood genannt, wird zunächst einmal als Legende
präsentiert. Eine Legende, mit der sich Scott auseinandersetzt, indem er
versucht, so etwas wie eine realistische Geschichte zu erzählen, nicht
unähnlich Antoine Fuquas „King Arthur“-Schmonzes 2004, aber viel besser
(was nicht allzu schwierig ist). Allerdings gibt es gar keine reale Geschichte
von Robin Hood, der nicht einmal als historische Person gesichert ist. Er ist
nur als Legende überliefert. Womit der Film also Historie im Konjunktiv
beschreibt: Der Ursprung des Robin-Hood-Mythos als mögliche Wahrheit, als
eine Variante der Geschichte, wie sie sich Drehbuchautor Brian Helgeland vorstellt.
Wobei er sich auf Plausibilität und Wahrscheinlichkeit ebenso stützt
wie auf spielfilmtaugliche Dramaturgie für eine abenteuerliche Heldengeschichte.
Scott
und Helgeland legen in jedem Detail Wert darauf, etwas Neues zu erzählen,
den alten Mythos ins Reich der Legenden zu verweisen. Richard Löwenherz
ist nicht der ersehnte Befreier des Vaterlandes, sondern ein versoffener, kriegsmüder
Schlendrian. Lady Marion ist nicht die Maid in Not, sondern eine zupackende
Frau, die Haus und Hof fest und sicher im Griff hat. Der Sheriff von Nottingham
ist zwar böse, taucht aber nur in drei Szenen auf und ist in der letzten
ein Würstchen mit heruntergelassenen Hosen. Und Robin Longstride ist (noch)
nicht der Outlaw, sondern der Held, der das Vaterland eint und zum Sieg gegen
die Gefahr von außen führt.
Dabei
blickt Scott tief hinein ins mittelalterliche England: Wie damals eine Burg
belagert und erobert wurde; wie die Themsemündung aussah; wie sich in London
um den gewaltigen Tower ein paar dreckige Hütten gruppieren, zwischen denen
uralte römische Ruinen stehen, mit denen keiner was anzufangen weiß;
wie Nottingham ein kleines Bauerndorf ist, von Wäldern umgeben, in denen
wilde Waisen von Kriegsgefallenen ihr Unwesen treiben. Dahinein gibt Scott als
Agens seinen Robin Longstride – seine Version von Hood.
Irgendwo
zwischen Zurechtbiegen der Volkssage und Flirt mit der Legende liegt das, es
hat etwas von Historien-Reenactment, wie man es von Mittelaltermärkten
und nachgespielten Ritterturnierspektakeln kennt. Denn natürlich kann und
will „Robin Hood“ kein mittelalterliches Proseminar sein. Deshalb tauchen auch
die fröhlichen Gefährten von Hood auf, seine Waffenbrüder während
des zehnjährigen Kreuzzuges Richard Löwenherz’. Bei ihrem ersten Überfall,
einem unbekümmerten Bubenstück, haben Hood und Co. auch viel Spaß,
wenn sie das Saatgut, das die Kirche als Zehnt-Abgabe einbehalten hat, mit Charme
und Chuzpe zurückholen. Little John, Bruder Tuck und wie sie alle heißen:
sie sind wiedererkennbar aus der Überlieferung übernommen, um kleine
comic
reliefs
zu bieten beim feuchtfröhlichen Feiern mit Bruder Tucks Honigmet oder bei
kleinen andeutungsreichen Zoten: Warum heißt du eigentlich Little John?
Ridley
Scott will eine neue Heldengeschichte erzählen, will eine Heldengeschichte
neu erzählen, und Russell Crowe ist dafür genau der richtige Mann.
Vom derben Bogenschützen des königlichen Heeres wird sein Longstride/Hood
zum Ehrenmann, noch ritterlicher als die echten Ritter, deren Rüstungen
er zu Verkleidungszwecken übernommen hat; zwischendurch wird er Held einer
romantic
comedy,
wenn er als Lady Marions Ehemann auftritt, der in Wirklichkeit im Krieg gefallen
ist, und sich ihr nach Screwballart annähert. Schließlich wird er
zum Retter von England, der die Barone und den König zum gemeinsamen Kampf
vereinigt und die angreifenden Franzosen zurückschlägt. Während
der Film also einerseits die alte Legende verwirft oder zumindest ironisch mit
ihr spielt, baut er zugleich eine neue auf. Die ist nun aber auch nicht überaus
originell, sondern – man will den Film ja ans Publikum verkaufen – eine der
gut gemachten, wenn auch nicht sehr einfallsreichen Heldenplots Hollywoods.
Mitunter liegt der Gedanke nahe, dass die eigentliche Hood-Geschichte vom Gesetzlosen
im Wald eben doch interessanter ist.
Longstrides
wirklicher Gegner ist nicht der Nottinghamer Sheriff, auch nicht der schwache,
cholerische, missgünstige König John, sondern dessen Berater Godfrey,
der mit dem französischen Feind paktiert. Mit größter Mordlust
und äußerster Brutalität treibt er die Steuern ein, nein: er
brennt englische Städte im Namen des englischen Königs einfach nieder.
Womit er die nordenglischen Barone gegen den König aufwiegelt, einen Bürgerkrieg
provoziert, um den Einfall der Franzosen und deren Sieg über ein geschwächtes
Land zu ermöglichen.
Hier
trifft Scott die englische Seele: die traditionelle Feindschaft der Franzosen,
die Angst vor einer Invasion ins Inselkönigreich. Und die Geburt der Demokratie
in Form der Magna Charta, die dem englischen Volk Gerechtigkeit und Freiheit
bringen soll – der Grundpfeiler des englischen Selbstverständnisses. Der
Film – und das ist noch ein weiteres Stück Gepäck auf seinen Schultern
– will auch die Geschichte des frühen Englands erzählen, im Rahmen
der Fiktion also den großen historischen Hintergrund inklusive der Bezüge
zum Heute mittransportieren: Geschichtsrekonstruktion, Heldensagen, Metamythos
und die Geburt einer Nation.
Und
da übertreibt Scott halt doch ein bisschen, wenn er Robin Longstride als
den Auserwählten darstellt, der nicht nur Geburtshelfer des modernen Englands
ist, sondern zugleich auch so etwas wie der Patenonkel - denn sein Vater war
der Verfasser der Urform der Charta.
Harald
Mühlbeyer
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: screenshot
Robin
Hood
USA/GB
2010.
Regie:
Ridley Scott. Buch: Brian Helgeland. Kamera:
John Mathieson. Musik:
Marc Streitenfeld. Produktion: Brian Grazer.
Darsteller:
Russell Crowe (Robin Longstride), Cate Blanchett (Marion Loxley), Max von Sydow
(Sir Walter Loxley), Mark Strong (Godfrey), Oscar Isaac (Prinz John), William
Hurt (William Marshal).
Länge:
140 Minuten.
Verleih:
Universal.
Kinostart:
13.5.2010
zur startseite
zum archiv
zu den essays