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Rosas
Höllenfahrt
Tabuthemen
haben Rosa von Praunheim seit jeher eher angezogen als abgeschreckt. Dem Thema
Hölle nähert er sich in seinem neuen Film mit gebotener Vorsicht,
aber auch der Bereitschaft, den Abgründen der Imagination ins Auge zu sehen
Sinnigerweise
beginnt die im Titel angekündigte »Höllenfahrt« mit Aufnahmen
auf einem Friedhof. Engel aus Marmor strecken ihre beschützenden Arme aus;
auf einer Bank sitzt in Nachdenklichkeit versunken der Regisseur. Aus dem Off
erzählt seine Stimme, dass er streng katholisch aufgewachsen sei, mit Priestern,
die von der Kanzel Höllenstrafen für die Sünder verkündeten.
Mit 17 habe er sich von der Kirche befreit. Doch »jetzt im hohen Alter,
dem Tode immer näher kommend, stellt sich mir die dringliche Frage: Werden
wir alle zu Staub oder gibt es doch Himmel und Hölle? Und muss ich als
Todsünder ewiglich in der Hölle schmoren?« Es ist ein vielversprechender
Anfang, weil er den Mut zum persönlichen Bekenntnis mit einer Ernsthaftigkeit
verbindet, die anzeigt, dass da jemand willens ist, ehrlich zu sich selbst zu
sein und sich nicht hinter Phrasen oder Posen zu verstecken. Und es ist vor
allem diese Ehrlichkeit, die das Interesse am Film wach hält, auch wenn
er formal oft in die Nähe des herkömmlichen Fernsehfeatures rückt.
Vom
Friedhof geht es zur Messe, von dort zum Firmunterricht, weiter zum Katholikentag
nach Osnabrück und zu Experten in aller Welt. Praunheim fragt nach den
persönlichen Vorstellungen von »Hölle«, nach den Lehrmeinungen
der verschiedenen Religionen und nach ihrer Geschichte. Die Spannbreite der
Aussagen, die auf diese Weise zum Thema zusammenkommt, ist denkbar weit. Da
gibt es den Polizisten in Osnabrück, für den - scherzhaft - Hölle
da ist, wo es kein Bier gibt, und Himmel da, wo das Freibier strömt. Und
es gibt den Priester, der entwaffnend offen davon spricht, dass er dem Moment
des Todes mit Spannung entgegensieht, aber auch »mit ein wenig Furcht,
nicht vor der Verdammnis, mehr vor dem eigenen Ungenügen«. Wir erfahren,
dass man sich im Islam die Hölle eher als ein Krankenhaus für Sünder
vorstellt, in dem bittere Medizin verabreicht wird, während im Judentum
die Sünder doch tatsächlich samstags frei haben aus der Hölle.
Ganz gegen den Ernst des Themas macht diese «Höllenfahrt« streckenweise
wirklich Spaß.
Auf
sehr unaufdringliche Weise hakt Praunheim in seinen Gesprächen mit den
diversen Gelehrten und Experten manchmal nach, wie es sich nun mit dem »Sündenfall«
Homosexualität verhalte. Tatsächlich bleibt er dabei so unaufdringlich,
dass sich daraus kein rechter Roter Faden ergibt. Wie man überhaupt bemängeln
könnte, dass hier eine Fülle von interessanten Fragen aufgeworfen,
aber keine vertieft wird. Weshalb hat man sich im Mittelalter die Höllenqualen
so besonders drastisch ausgemalt? Und in welchem Zusammenhang stehen diese imaginierten
Folterqualen zur Praxis der Inquisition? Warum verliert die Hölle im 16.
Jahrhundert, mit dem Aufkommen des Protestantismus, an Bedeutung? Gibt es menschheitsgeschichtlich
eine konstante Lust an der Vorstellung von Körperqualen, die sich bis zu
manchen Filmen heute fortsetzt? Und was sind diese imaginierten Höllen
schon gegen die Realität von Auschwitz? Kaum angesprochen, geht der Film
zum nächsten Komplex über. Es ist, als ob man aus der sicheren Distanz
eines Tourbus' das komplexe Höllenpanorama besichtigt. Es braucht schließlich
auch Mut, »auszusteigen« und zu »verweilen«.
Barbara
Schweizerhof
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: epd Film 11/2009
Rosas
Höllenfahrt
Deutschland
2009. R, B: Rosa von Praunheim. P: Martin Kruppe. K: Elli Mikesch, Thomas Ladenburger,
Lorenz Haarmann, Wilfried Kaute, Natasha Dudinski, Kerstin Pommerenke. Sch:
Mike Shephard. M:
Andreas Weiter. A: Marcus Lachmann. Pg: Rosa von Praunheim/ZDF/Arte/BOS. V:
Basis. L: 90 Min. Dt. Start: 31.10.2009
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