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Das rote Zimmer
Kussforschung, Philematologie. Diese Wissenschaft gibt es tatsächlich,
dennoch verbirgt sich hinter diesem recht genau ausskizzierten Forschungsgebiet
des Fred Hintermeier kein Ankerwurf, eher ein Angelwurf in die Realität.
Kann man so sagen, weil in "Das rote Zimmer" geangelt wird, strikt
nach humorvollem Lehrbuch, und mal beißt ein dicker Fisch, mal die Wirklichkeit
an und mal die Göttin der Liebe, die nackt aus dem Wasser steigt und den
Mann so verführt, dass er hinterher nicht mehr will oder kann. Forschende
sind sie alle und Liebende auch und also wie stets noch Forschende nach Formen
der Liebe in Thomes neuem Film, der in Berlin seinen Ausgang nimmt, in einem
blauen Haus auf dem Land in Klein-Blittersdorf seinen Fortgang und der auf dem
Weg ans Meer dann bei Regen im Auto ein mehr schönes als offenes Ende findet,
himmelwärts. Auf der Suche nach der Seele des Mannes: Sibil und Luzie in
Berliner Bibliotheken. Sibil angelt sich, alles Bücherwissen geht dabei
passenderweise zu Boden, einen Mann in der Stabi, der aufs Land kommt und recht
schnell wieder in die Großstadt zurückgeschickt wird. Luzie dagegen
fängt einen Professor (der keiner ist, das hatten wir bei Hong schon, einem
Forscher der Liebe ganz anderer Art), der kommt, bleibt, nicht mehr geht.
Luzie und Sibil leben zusammen, lieben sich, und sehen, das nicht zuletzt, gemeinsam
die Tagesschau. Ein kleines Paradies, das, anders als man denken sollte, durch
die angewandte gemeinsame Seelenforschung am lebenden Exemplar nicht wirklich
aus der Balance gerät. Und Balance ist das Schlüsselwort. "Das
rote Zimmer" ist ein Film, in dem in Gesten, in kleinen Taten, in Worten,
in Sitzordnungen und Tagesschauguckordnungen und (Miteinander)Schlafordnungen
und zuerst und zuletzt in Blicken tariert wird, immerzu. Lauernd tariert, liebevoll
tariert, streng tariert, sanft tariert, begütigend und herausfordernd tariert
und zuletzt vertraglich tariert: vorsichtige Ausformung der Grammatik eines
Glücks zu dritt in einem Idiom, das sonst keiner spricht.
Wie in "Pink" schon wählt die Frau (hier als dioskurisches
Liebespaar, Sibilluzie, Luziesibil) den Mann (der wieder so ein bisschen ein
Tropf ist, ein Philosoph ohne Picht). Der wiederum hat - wie Pink damals von
Gott - einen Befehl bekommen, von Karlheinz Oplustil, bei Gelegenheit seiner
Scheidung: Geben Sie beim nächsten Mal mehr Acht bei der Partnerwahl. Voilà.
Wieder ist diese Liebe eher ein Spiel, ein weit weniger böses diesmal,
zwei Frauen finden einen, an dem nichts weiter toll ist, der einfach passt.
Er wird auch nicht passend gemacht, die Gewalt, wo sie ausgeübt wird, bleibt
stets außerordentlich sanft: ein anweisender Blick, du sitzt da, geh jetzt.
Die Kräfte, die hier walten, sind fast unirdischer Art.
"Das rote Zimmer" ist ein Fantasiestück und hat doch immer Wirklichkeitsreste
an der Angel. Das Ganze funktioniert (und es funktioniert wunderbar), weil es
in sich selbst so perfekt balanciert und tariert ist. Der Auftritt der Göttin
Venus etwa ist das Selbstverständlichste von der Welt. Alles hat hier das
gleiche Gewicht und keine Tat zieht eine schlimmmögliche Folge nach sich.
Thome wiederverzaubert die Welt, aber er tut das, und es ist ein genialer Trick,
durch Banalisierung. Man schläft mit der Göttin, man guckt zusammen
die Tagesschau, man unterschreibt mit Blut oder Wein einen Vertrag, und all
das wird detailliert präsentiert als der natürliche Lauf der Dinge.
Die Einübung eines ganz besonderen, sanft ironischen Blicks. "Das
rote Zimmer" lehrt, das Verrückte anzusehen mit nicht zu verblüffenden
Augen. Irgendwie hat Thome einen - keineswegs reaktionären - Weg zurück
ins Paradies gefunden, und zwar, anders als Kleist sich das gedacht hat, nicht
im Durchgang durch die Reflexion. Eine merkwürdig post- oder präromantische,
kleine, balancierte, blicksanft handfeste Utopie.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.cargo.de
Das
rote Zimmer
Deutschland 2010 - Regie: Rudolf Thome - Darsteller: Peter Knaack, Katharina
Lorenz, Seyneb Saleh, Max Wagner, Isabel Hindersin, Hanns Zischler, Arnd Klawitter,
Karlheinz Oplustil - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge:
101 min. - Start: 13.1.2011
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