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Rückkehr ans Meer
Freundlich opak erzählt Francois Ozon in seinem
Film "Rückkehr ans Meer" von einer Frau, die ihren Freund verliert,
dessen Kind austrägt und mit dem Bruder des Toten etwas anfängt.
Vorspann, draußen: Paris. Lichter, die Seine, Brücken,
an der Bildanmutung sofort sichtbar: Francois Ozon dreht zum ersten Mal digital.
Drinnen: Mousse und Louis setzen sich einen Schuss. Er sinkt gekrümmt in
ihre Arme. Vor weißem Hintergrund zu simplen E-Gitarren-Akkorden sind
die beiden ein letztes Mal zusammen in einem Traum, den der Film für sie
träumt. Im nächsten Bild, das sie teilen, ist Louis tot. Eine Überdosis,
das Heroin war mit Valium versetzt. Mousse überlebt mit knapper Not und
erfährt am Krankenbett von ihrem Arzt, dass sie schwanger ist. Die Familie
von Louis, aus besserer Gesellschaft, rät ihr, das Kind nicht auszutragen.
Ihre Reaktion bleibt zunächst recht opak. Die ganze Figur Mousse bleibt
opak in "Rückkehr ans Meer", aber in unangestrengter Weise.
Sie zieht sich zurück, in das "Refugium"
des Originaltitels ("Le refuge"), ein Haus
von Freunden an der Küste, einen kurzen Fußweg vom Strand. Sie ist
allein, lässt sich das Essen liefern, sie tut nichts Besonderes. Dann ist
sie nicht mehr allein. Es besucht sie, auf der Durchreise, Paul, der Bruder
von Louis. Sie hat nicht unbedingt etwas dagegen, aber besonders erfreut zeigt
sie sich auch nicht. Zunächst. Ihr Bauch ist jetzt sichtbar gerundet und
immer wieder im Bild. (Isabelle Carre, die Mousse spielt,
war tatsächlich schwanger) Sie streichelt ihren Bauch in der Wanne, man
weiß nicht, was für eine Geste das ist: des Staunens vielleicht (aber
über das Wunder? über diesen Fremdkörper?), noch wahrscheinlicher
liegt aber einfach gar nichts in dieser Geste.
Einmal am Strand wird Mousse von einer zusehends hysterischen
Frau beinah überfallen, die sich so enthusiasmiert über das Wunder
der Schwangerschaft zeigt, dass man die Probleme, die sie damit hat, schnell
erkennt. Auch Paul streichelt später den Bauch. (Paul ist schwul und beginnt
ein Verhältnis mit Serge, einem jungen Mann aus dem Ort.) Einmal sitzt
Mousse im Dorf auf dem Marktplatz in einem Cafe und ein Mann spendiert ihr ein
Bier, setzt sich zu ihr und macht unmissverständlich deutlich, dass er
auf Sex mit schwangeren Frauen steht. Sie gehen in sein Appartement, der Blick
geht aufs Meer. Ob es nach einer ersten Abwehr und Schutzgeste anderer Art zu
Sex kommt, weiß man so genau nicht.
Vieles weiß man so genau nicht. Insbesondere über
Mousse. Sie blickt, als wüsste sie nicht recht. Sie hat oft eher schlechte
Laune. Sie gibt sich niemals entschieden. Die Bilder, in die Francois Ozon sie
hineinkomponiert, sind typische Ozon-Bilder. Klar, aber nicht streng.
Funktional, gelegentlich mit dem Willen zur vorsichtigen Pointierung: Das Gesicht
von Mousse, gespalten, in zwei Spiegeln. Man hat nie den Eindruck, dass hinter
den Bildern etwas ist und schon gar kein Geheimnis. Eigentümlicherweise hat man auch von Mousse genau diesen Eindruck. Sie ist opak und nichts
ist dahinter.
Ein mood piece, eine Meditation über Schwangerschaft. Derart unemphatisch
wie von Mousse wurde ein Kind im Film noch selten dem Licht der Welt tagweise näher gebracht. Sie hat zu dem Kind, das auch das ihres verstorbenen
Freunds ist, am ehesten müsste man sagen: gar kein Verhältnis. Ozon
und sein Film urteilen nicht, aber ob sie so weit gehen, zu sagen, man solle
nicht urteilen, ist schon die Frage. Wie so bei oft bei Ozon denkt man: Er enthält
sich, seine Kompositionen, seine Schnitte und noch die Musik, wo sie seltsam
neutral einsetzt, enthalten sich. Ozon beobachtet, man weiß nur nicht
genau, warum. Er demonstriert weder Interesse noch Desinteresse, kühl führt
er seine Figuren vor, die tun, was sie tun. Heraus kommt, wieder einmal, ein
Rätselbild ohne Geheimnis.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Rückkehr ans Meer
Frankreich 2009 - Originaltitel: Le refuge - Regie: François Ozon - Darsteller: Isabelle Carré, Louis-Ronan Choisy, Pierre Louis-Calixte, Melvil Poupaud, Claire Vernet, Jean-Pierre Andréani, Marie Rivière, Jérôme Kircher - FSK: ab 12 - Länge:
88 min. - Start: 9.9.2010
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