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Ruhr
Heiter bis wolkig
Einen Film wie “Ruhr” hat James Benning, wenngleich man
die Signatur des Regisseurs von der ersten Sekunde an nicht verkennen kann,
noch nicht gedreht. Zum einen hat er für diese Einladungs- und Auftragsarbeit
den amerikanischen Kontinent erstmals verlassen, auf dem er bislang seine Kamera
in die kreuz und in die quer, in den Städten und auf dem Land, vor Himmeln,
Zügen, Vorbeifahrenden und Vorbeispazierenden, vor Seen und Menschen in
immer neuen Variationen platziert hat. Mal rein dokumentarisch, mal mit Anflügen
von Inszenierung, mal streng, mal verspielt in der Form, mal im-, mal explizit
aus dem Off kommentiert: immer aber interessiert an dem, was die Kamera, wenn
man sie erst da und dann dort, immer gezielt, hinstellt, zeigen kann von der
Gegenwart der USA und dem, was sich in dieser Gegenwart von der Vergangenheit
zeigt.
Nun aber stellt er die Kamera im Ruhrgebiet auf. Die
filmische Wahrnehmungsform namens “Benning” nimmt Aufenthalt in einer anderen
Sphäre. Zunächst wie gehabt. Der Aufenthalt in einem Benning-Bild
ist immer zugleich Bewegtform von Fotografie, Festhalten voranschreitender Wirklichkeit
und vergehender Zeit. Und der Aufenthalt ist auch, weil das Bild minutenlang
dauert, Aufhalt von Weitergang. So lang währt jedes Bild im Benningfilm, dass man sich einrichten muss, mit Auge und Ohr und auch dem Zeitsinn.
Das Auge spaziert, ob es will oder nicht, durch das Bild, so wie Augen für
gewöhnlich nur durch stehende Bilder spazieren, solche, die man in Museen
findet, seien es Gemälde oder Fotografien. Also Bild eins, “Ruhr”, ein
Tunnel. Die Kamera steht links zwischen einem Bürgersteig und der Fahrbahn,
am Rand. Man sieht nicht weit, bald geht der Tunnel, der von einem sehr uneinheitlich
gescheckten Grau ist, um die Ecke. Auf der Fahrbahn als dessen Begrenzung ein
weißer Streifen. Der findet sich, spektakulär geradezu, gespiegelt
durch eine leuchtende Neonlichtspur an der Ecke. Die ist gezackt, wie etwas
von Liebeskind.
Dies Licht ist gewiss der zentrale Attraktor des Bilds. Man blickt nur dann, wenn ein Auto kommt, oder auf dem
Gehsteig ein Radler, oder wenn der Wind mit halblautem Geräusch etwas Metallisches
über die Fahrbahn weht, mit Sicherheit nicht dorthin. Nach einer Weile,
nach der Zeiteinheit von, sagen wir, zwei oder drei Benning, fallen einem vielleicht
die Staubfetzen auf, die neben der Lichtspur sich leise bewegen. Sie sind etwas
im Bild, das erst die Dauer des Aufenthalts und des Aufhalts sichtbar
macht. Dass man derlei Dinge, die nichts weiter bedeuten, mit durch die Dauer
notgedrungen aktivierten Sinnen wahrnimmt, ist die Sorte Detailgewinn, die einem
ein Benningfilm immer auch schenkt.
Aus der Arbeitswelt, die fast menschenlos ist (zwei Figuren
gehen einmal hinten durchs Bild), berichtet Einstellung Nummer zwei. Wieder
natürlich bleibt die Kamera unbewegt. Wieder natürlich dauert das
Bild. Beobachtet wird hier aber nicht die Beliebigkeit eines Verkehrs, sondern
die Wiederkehr eines geregelten Ablaufs: glühendes Metall schiebt sich
in mittlerer Raumebene ins Bild und wird von einer massiven Hebe- und Transportapparatur
in Richtung Kamera gehievt. In der vorderen Bildebene werden die abgekühlten
Metallstangen mittels gezackter Hochrunterapparatur von
links nach rechts bewegt. In diesem Bild halten sich die Abstraktion, in deren
Richtung Bennings Filme immer auch zielen, und die Konkretion einer historisch
gesättigten Situation (Schwerindustrie, Produktion), die Waage.
Danach ein Naturbild, wie es scheint. Vor Himmel Geäst
und Waldesruhe - bis ein Flugzeug, gerade gestartet, mit großem Krach
durchs Bild zieht. Das wiederholt sich. Es folgt eine Einstellung voller Menschen:
eine Moschee (in Duisburg-Marxloh, wie der Abspann
verrät). Arabisch betet der Imam, die Menge kniet, dann steht sie auf und
man sieht vor allem, weil die Kamera halbhoch steht, die Mittelpartien von Männern
im Bild. Dann ein Mann, der ein seltsam auf einer Kiesfläche in der Landschaft
frei hingestelltes Graffitibild von einer Wand fräst. (“Bramme für das Ruhrgebiet”,
erklärt der Abspann - wie genau sich die Fräsarbeit zur seit 1998
stehenden Bramme von Richard Serra verhält, ist mir leider unklar. Man
muss aber auch nicht jedes von Bennings Bildern bis in
die historisch-geografische Letztauflösung hinein verfolgen.) Darauf noch
eine Einstellung in einer Wohngegend, Klaviermusik perlt, Hund wird Gassi geführt,
im Hintergrund sieht man gelegentlich einen Zug auf Hochbahngleisen. Weiter
nichts und Teil eins ist vorbei.
Teil zwei macht dann eine weitere Konsequenz von James
Bennings Neuanfang klar. Selbstverständlich hat man zuvor
schon deutlich gesehen, dass er erstmals die 16mm-Kamera, das Fetisch-Aufzeichnungsobjekt
mehr als einer Avantgardefilmergeneration, gegen die Digitalkamera ausgetauscht hat. Ganz andere
Schärfen sind das im Detail - und im Ganzen kornlose, glattere,
ein gutes Stück in Richtung Videoinstallation gerückte Bilder. Benning
hat einen Schritt vom Kino auf die Kunst zu getan, ob er will oder nicht: der
Kontext, aus dem man solche Videobilder zu kennen glaubt, lässt kaum eine
andere Assoziation zu. Die andere technische Verfasstheit hat außerdem
eine nicht nur den Bildern in ihrer visuellen Anmutung ablesbare, sondern eine
weitere, stark ins Ästhetische durchschlagende Folge: Die Einstellung ist
aus ihrer Begrenzug auf die einzelne Filmrolle befreit. Jedes einzelne statische
Bewegtbild kann nun potenziell, nun, nicht ewig, aber doch stundenlang
dauern. Ein Aufenthalt und ein Aufhalt von ganz anderer Qualität.
Für Teil zwei von “Ruhr” nutzt Benning das weidlich.
Eine ganze Stunde lang sieht man hier nämlich ein einziges Bild. Ein turmartiger
Schornstein vor Himmel, heiter bis wolkig, erkennbar ist nicht, zu welchem Gebäude
der Turm gehört; er ist mithin stark abstrahiert, am ehesten schließt
das an an “Ten Skies”, Bennings Wolkenfilm in zehn Einstellungen. Hier aber eben nur
eine. Es ist schon etwas los, denn der Schornstein ist aktiv, stößt
Rauch aus, der sich zu Wolken formt, auch seitwärts sind Klappen angebracht
und das ganze qualmt manchmal, als stünde das Innere flammenlos in Feuer.
Dazu ertönt periodisch ein Sirenengeräusch und es wird dämmrig
und Nacht. So schleicht sich durchaus eine Art Narration auch in dieses Bild
- wie eben überhaupt jede Form von Relationierung noch jeden
Benning-Film und jedes Benning-Bild affiziert hat: Etwas gerät in Bewegung,
in andere Kontexte, Einstellungen antworten aufeinander (selbst, wenn es der
Regisseur so gar nicht vorsah), im Bild selbst entwickelt sich etwas, nimmt
einen Fortgang trotz oder wegen des Aufhalts. Kein Benning-Film
ist nur eine Serie von bewegtfotografischen Einstellungen, jeder ist doch auch, weil er montiert
ist, ein von den Konsequenzen von Montage nie ganz lösbarer Film. Die Stunde
mit dem Kokerei-Turm, die die zweite Hälfte von “Ruhr” ausmacht, ist dennoch
ein Härtetest und die Stelle, an der mancher dem Regisseur noch so gewogene
Betrachter dann vielleicht doch die Geduld verliert. Ich jedenfalls hatte vom
Turm, da mochte er noch so schön wolken vor sich verdüsterndem
Hintergrund, nach recht kurzer, lang werdender Weile, ja, ich geb’s zu, wirklich
genug.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: www.filmgazette.de
Ruhr
OT: Ruhr
Deutschland 2009 - 120 min.
Regie: James Benning - Drehbuch: James Benning - Produktion:
Zorana Musikic - Kamera: James Benning - Schnitt: James Benning - Ton:
James Benning - Verleih: Arsenal - Institut für Film und Videokunst e.V.
- Altersfreigabe: ab - Jahre -
Kinostart (D): 26.08.2010
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