zur startseite
zum archiv
zu den essays
Run All Night
Reichlich steril wirkt das Brooklyn in
Jaume Collet-Serras Liam-Neeson-Actioner "Run All Night".
Jaume Collet-Serra hat wieder zugeschlagen. Der auf verantwortungsloses
Unterhaltungskino spezialisierte Spanier (der Horrorfilm "Orphan" von
2009 ist ein sehr schönes Frühwerk) legt mit "Run All Night"
nun bereits den dritten Liam Neeson-Actioner in Serie vor - fast ein eigenes
Subgenre des zeitgenössischen Actionfilms, das außer von Collet-Serra
noch von anderen Euro-Regisseuren bespielt wird und seinen Anfang, soweit ich
es überblicke, in Pierre Morels "Taken" (Drehbuch und Spiritus
rector: Luc Besson) haben dürfte.
Bei Collet-Serra jagte Neeson erst an der Seite Diane Krugers durch ein frei
erfundenes Berlin seiner gestohlenen Identität hinterher ("Unknown Identity"),
um dann neben Julianne Moore einen Terroranschlag auf einen transatlantischen
Langstreckenflug zu vereiteln ("Non-Stop") - beides solide,
aber nicht besonders inspirierte Variationen auf klassische Genretropen. Vor
allem in "Unknown Identity" bestand der Spaß nicht zuletzt in
den Freiheiten, die der Film sich im Umgang mit seinen Berliner Originalschauplätzen
nahm. Mehr schien aus den Launen des location
scout zu folgen als aus dem vorgefundenen
Stadtraum. Als am Ende dann auch noch das Hotel Adlon Kempinski in die Luft
fliegen darf (oder habe ich das geträumt?), war ich doch sehr eingenommen
von so viel fröhlichem Leicht- bis Schwachsinn. Ganz wie die transnationalen
Koproduktionen, in deren Kontext ein Regisseur wie Collet-Serra arbeitet, so
kommt auch die Neeson-Figur stets als Tourist nach Paris, Berlin, Istanbul.
Oder er sitzt, wie in "Non-Stop", im Linienflug zwischen den Destinationen
fest. Ohne diesen quasi-touristischen Zug ins Abstrakte und Wirklichkeitsenthobene,
kommt mir vor, sind die spezifischen Qualitäten (im Guten wie im Schlechten)
dieser Sorte Film gar nicht denkbar.
"Run All Night", der dritte Teil von Collet-Serras inoffizieller Neeson-Trilogie, will scheinbar dennoch aufs Gegenteil hinaus. Wir befinden uns in einem an seinen abgehalfterten Texturen sofort wiederkennbaren Brooklyn voller melancholisch alternder Gangster, die darüber klagen, dass ihr alter Hangout heute ein Applebee's ist. Das organisierte Verbrechen ist selbst nur mehr eine Erinnerung an bessere Zeiten, vor der Übernahme des Familienunternehmens durch Corporate America. Der überall ausgestellte grit und das gut abgehangene Starensemble (neben Neeson sind das Ed Harris, Vincent D'Onofrio, Lois Smith und Nick Nolte) signalisieren Erdung, Authentizität, realweltlich wie filmhistorisch, können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Grunde dieselbe beziehungslose Touristenlogik waltet wie in Collet-Serras und Neesons vorherigen Kollaborationen, minus dem Quäntchen Camp, das "Unknown Identity" und "Non-Stop" nicht nur erträglich, sondern im besten Wortsinn unterhaltsam machte.
Es ist gar nicht so einfach, den Finger auf die Wunde zu legen, aber
etwas stimmt grundsätzlich nicht mit diesem Film, ungeachtet der großen,
fast epischen Ambitionen, die in seiner Genre-DNA angelegt sind. "Run All
Night" findet den Anschluss ans Milieu nicht. Sein vorgeblicher Realismus
ist reine Politur, nicht Organisationsprinzip. Nichts hält seine müden
Genregesten zusammen, am allerwenigsten die sonderbaren CGI-Kameraflüge,
deren Funktion es offenkundig wäre, Verbindungen herzustellen zwischen
den verschiedenen Schauplätzen. In seiner vorausberechneten, abgezirkelten
Beweglichkeit veranschaulicht dieses fliegende Auge doch wieder nur die totale
Beziehungslosigkeit seiner Blickpunkte.
Die Neeson-Figur - ein verkrachter Ex-Profikiller namens Jimmy, der seinen entfremdeten
Sohn vor den Rachegelüsten eines befreundeten Mafiabosses in Schutz nehmen
muss, nachdem Jimmy dessen Sohn (selbstverständlich in Notwehr) erschossen
hat - trägt den Straßennamen "Gravedigger". Das trifft
genau das Verhältnis, in dem "Run All Night" zu den Mean Streets
älterer Gangsterfilme steht. Liam Neeson agiert wie eine postmortem-Animation
seiner selbst; ohne Anflug von Selbstbewusstsein spult er die Sätze und
Mienen ab, die das jeweilige Szenario ihm abverlangt. Anstatt die Puppen in
gewohnter Weise tanzen zu lassen, meint Collet-Serra es diesmal bitter ernst:
Es gibt kein Entkommen.
Unverhofft befreiend ist eine umgekehrte Autoverfolgungsjagd, wobei Jimmy und Sohn einem Polizeieinsatzwagen auf den Fersen sind. Vor der Polizeisirene öffnet sich das Meer der übrigen Verkehrsteilnehmer, um sich hinter ihr sogleich wieder zu schließen, sodass die zivilen Verfolger nur mit viel Mühe und noch mehr Funkenschlag nachkommen - ein einfacher, aber origineller Einfall mit vielseitigen Anwendungen. Es gibt noch andere derartige Details in "Run All Night". Zur kritischen Errettung dieser durch und durch sterilen Fingerübung reichen sie nicht.
Nikolaus Perneczky
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Run All Night
USA 2015 - 114 Min. - Kinostart(D): 16.04.2015 - FSK: ab 16 Jahre - Regie: Jaume Collet-Serra - Drehbuch: Brad Ingelsby - Produktion: Roy Lee, John Powers Middleton, Michael Tadross, Brooklyn Weaver - Kamera: Martin Ruhe - Schnitt: Craig McKay - Musik: Alan Silvestri - Darsteller: Liam Neeson, Joel Kinnaman, Vincent D'Onofrio, Genesis Rodriguez, Ed Harris, Boyd Holbrook, Common, Holt McCallany, Beau Knapp, Malcolm Goodwin, Stefano Villabona, James Martinez, John Cenatiempo, Julian Murdoch, Dennis Rees - Verleih: Warner Bros. GmbH
zur startseite
zum archiv
zu den essays