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Die
Sehnsucht der Veronika Voss
An der Straßenbahnhaltestelle Geiselgasteig trifft der Sportreporter Robert
Krohn (Thate) eine verängstigte Frau. Er bringt sie in die Stadt, sieht
sie am nächsten Tag in einem noblen Café wieder, wo sie sich 300
Mark von ihm leiht. Sie war ein Ufa-Star, wird von älteren Verehrerinnen
noch erkannt: Veronika Voss (Zech). Zwischen Krohn und der Schauspielerin beginnt
eine merkwürdige Liaison, bei der der Reporter halb von menschlichem Mitgefühl,
halb von journalistischem Interesse getrieben wird. Auf die Frage seiner Freundin
Henriette (Froboess), ob er Veronika liebe, antwortet er wahrheitsgemäß:
ich weiß es nicht. Allmählich findet Krohn heraus, daß Veronika
Morphium nimmt, daß sie von einer Ärztin Dr. Katz (Düringer)
abhängig ist, sogar in deren Praxis wohnt, daß die Ärztin nicht
nur die Schauspielerin - sondern auch andere Patienten ausbeutet, sich deren
Besitz überschreiben läßt gegen die Abgabe des teueren Rauschgifts,
daß sie dabei von einem Beamten des Gesundheitsamtes gedeckt wird. Henriette,
die sich an Krohns Recherchen schließlich aktiv beteiligt, wird umgebracht,
Krohn kann, als er die Polizei in die Praxis holt, keine Beweise liefern. Veronikas
Versuch, mit einer kleinen Nebenrolle wieder im Film Fuß zu lassen, scheitert
kläglich (als Regisseur in einer Max Ophüls-Parodie: Peter Zadek).
Der Ärztin aber wird Veronika, wegen ihrer Bekanntschaft mit Krohn, allmählich
lästig, man arrangiert eine Abschiedsparty für sie, die angeblich
nach Hollywood geht; dann läßt man sie ohne das nötige Morphium
in der Praxis allein zurück, eingesperrt in ihr Zimmer - am Ostersonntag
nimmt sie sich mit Schlaftabletten das Leben. Krohn ahnt die Zusammenhänge,
aber wer würde ihm glauben? Er fährt ins Stadion von »1860 München«,
seinen eigentlichen Beruf wieder aufnehmend.
VERONIKA VOSS ist das Mittelstück der Fünfziger-Jahre-Trilogie,
zwischen MARIA BRAUN und LOLA, wieder ein
Film über eine Frau. Hatte der erste den Wiederaufbau beschrieben, der
dritte die Anpassung, so handelt dieser von der Erinnerung, vom Sich-Nicht-Zurechtfinden
in der neuen Gegenwart. Veronika Voss lebt in der Vergangenheit des »Dritten
Reiches«, die für sie eine große ist. Daß auch andere
ihre Erinnerung nicht überwinden, zeigt Fassbinder an einem alten Antiquitätenhändler
(Platte), der im KZ war, vom
Morphium abhängig ist wie Veronika. Als ihm Frau Dr. Katz keines mehr gibt,
tötet er sich zusammen mit seiner Frau (Hofer). Ufa und Treblinka sind
Schlüsselbegriffe dieses Films,
darauf hat Pflaum aufmerksam gemacht (Filmkorrespondenz 6/82). Den Begünstigten
des einstigen Systems, die sich nicht anpassen können, was für sie
spricht (wie Veronika), und den Opfern, die so zerstört sind, daß
sie unfähig sind, weiterzuleben, setzt Fassbinder ein Denkmal. Sein Haß
gilt dem neuen Machtkartell, das der Gesellschaft die Drogen liefert, die sie
(tatsächlich oder vermeintlich) braucht; der Journalist (der Detektiv dieses
Films), der das demokratische Prinzip verkörpert, hat gegen das Komplott
keine Chance.
Der Film lebt aber nicht nur von dieser Konstellation, in der das Rauschgift eine eher symbolische Funktion hat, sondern auch von der minutiösen Beschreibung einer Krankheit - in Anlehnung an das Schicksal des Ufa-Stars Sybille Schmitz -, in der das Morphium ganz konkret seine fürchterliche Wirkung tut. Rosel Zech spielt virtuos, aber ohne Eitelkeit, die Euphorien und Zusammenbrüche der Veronika; wie ein Star steigt sie im Caféhaus die Treppe nach oben, ein großer Auftritt - nach der einzigen Nacht mit Robert ist sie ein heulendes Bündel Elend, erschreckend. Der Einsamkeit und dem abrupten Entzug am Ende kann sie nicht gewachsen sein; ihr Zimmer hat sie schon demoliert, da nimmt sie schließlich die Schlaftabletten, dämmert dem Tod entgegen -- der Papst hat gerade im Radio den Segen »Urbi et orbi« erteilt, und von draußen tönen die Glocken herein (Faust hatten sie ins Leben zurückgerufen). Mit schneidender Ironie, durch Pathos versteckt (das Fenster-Kreuz wirft seinen Schatten in den blendend weißen Raum), setzt Fassbinder einen Schlußpunkt unter das Leben des einstigen Stars.
Die Suggestivkraft der VERONIKA VOSS beruht nicht nur in der gradlinigen,
wirkungssicher erzählten Geschichte, sondern vor allem im Stil, einer grandiosen
Imitation (die mehr als Plagiat ist) jenes Ufa-Melodrams, dem Veronika Voss
ihre Erfolge verdankte. Der Schwarz-Weiß-Film, LILI MARLEEN, nicht von
einem Regisseur, sondern einem Spielleiter verantwortet, bewegt sich elegant
an der Kippe zwischen Kunst und Kitsch, ist sicher mit mehr Distanz gemacht
als die Schicksalsdramen jener Jahre. Wenn Peer Raben immer wieder ein dunkles
Paukenrnotiv ertönen läßt, dann hört man das Artifizielle
des Zitats mit, und wenn Fassbinder und Schwarzenberger die unheimlichsten Szenen
in der Praxis der Frau Dr. Katz in ein strahlendes Weiß tauchen, die eher
anheimelnden Sequenzen in der Dunkelheit fast verschwinden lassen, dann erkennt
man in dieser Umwertung die Bewußtheit der Inszenierung. Zwar scheint
Fassbinder durchaus an einer Identifikation des Zuschauers interessiert, mehr
mit Robert als mit Veronika, aber die Kühle, mit der er die Story nicht
nur erzählt, sondern immer wieder seziert, schafft doch Raum für Reflexionen
des Zuschauers. Fassbinder bricht die Illusion, schon in der ersten Szene, die
der eigentlichen Handlung vorausgeht: Veronika Voss sieht sich im Kino anonym
einen ihrer alten Filme an. Das Bild auf der Leinwand hat überdauert, aber
die Zuschauerin ist schon eine andere als die Schauspielerin, die jenen starken
Eindruck einst hervorbrachte. Vergänglichkeit. Im Publikum schräg
hinter Veronika Voss Rainer Werner Fasshinder, sein letzter Auftritt in einem
eigenen Film.
Wilhelm Roth
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: Rainer Werner Fassbinder; Band 2 (5. Auflage) der (leider eingestellten) Reihe
Film, herausgegeben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Deutsche Kinemathek
von Peter W. Jansen und Wolfram Schütte im Carl Hanser Verlag, München/Wien
1985, Zweitveröffentlichung in der filmzentrale mit freundlicher Genehmigung
des Carl Hanser Verlags und des Autors Wilhelm Roth.
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Die
Sehnsucht der Veronika Voss
Deutschland
1982, 104 Minuten
Regie:
Rainer Werner Fassbinder
Drehbuch:
Peter Märthesheimer, Pea Fröhlich, Rainer Werner Fassbinder
Musik:
Peer Raaben
Kamera:
Xaver Schwarzenberger
Schnitt:
Juliane Lorenz
Produktionsdesign:
Rolf Zehetbauer
Darsteller:
Rosel Zech (Veronika Voss), Hilmar Thate (Robert Krohn), Annemarie Düringer
(Dr. Katz), Doris Schade (Josefa), Cornelia Froboess (Henriette), Eric Schumann
(Dr. Edel), Armin Mueller-Stahl (Max Rehbein), Rudolf Platte (Herr Treibel),
Johanna Hofer (Frau Treibel), Elisabeth Volkmann (Grete), Hans Wyprächtiger
(Chefredakteur), Günter Kaufmann (GI, Dealer), Lilo Pempeit (Chefin)
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