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Der
seltsame Fall des Benjamin Button
Geistiger
Haferbrei
David Fincher verfolgt in seinem gleich
dreizehnmal Oscar-nominierten Film "Der seltsame Fall des Benjamin Button"
seinen Titelhelden auf der Reise in die falsche Richtung des Zeitpfeils.
Bezaubernd schön ist dies Baby nicht:
runzlig, greisenhaft, ein Irrläufer der Natur. Benjamin Button: digitale
Nachgeburt einer literarischen Kopfgeburt. F. Scott Fitzgerald hat dies Baby
in die Welt gesetzt, 1921, "The curious case of Benjamin Button".
Der Irrlauf jedoch war ein etwas anderer, in dieser Erzählung. Das runzlichte
Baby hatte nicht nur Körper, sondern auch Geist eines Greises, wurde dann,
geistig und körperlich, jünger und jünger, um zuletzt an Jugendschwäche
zu sterben. Lange, liest man, wurde an einer Leinwandfassung dieser Geschichte
gebastelt. Vor allem die Technik, heißt es, war nicht so weit. Auch diverse
Bücher befriedigten nicht, da musste erst Eric Roth kommen, der mit dem
Drehbuch zu "Forrest
Gump" zu Ruhm und
Oscar gelangt war. Er hat nun das Verkehrte am seltsamen Leben des Benjamin
Button auf den Körper seines Helden verkürzt und Regisseur David Fincher
seinerseits nimmt Brad Pitt digital so in die Mangel, dass er als heranwachsender
Greis dem Gollum ähnelt und als verfallender Jüngling dem Mann, den
wir aus "Thelma & Louise" noch erinnern.
Bezaubernd schön sind viele der digital
hoch aufgelösten Bilder (insbesondere: der Nacht), die Finchers Kameramann
Claudio Miranda (bei "Zodiac" war er noch Assistent des großen
Harris Savides) gelingen. Manches davon könnte man sich glatt an die Wohnzimmerwand
hängen und eigentlich wäre es da auch besser aufgehoben als im Film.
Im Film nämlich hebt sich gar nichts auf und fügt sich schon gar nicht
zum schlüssigen Gesamtbild, sondern es wird nur Staunenswertes an Staunenswertes
gereiht, bis einem das Staunen gründlich vergeht. Mal geht's in den Krieg,
da zischen die abgefeuerten Raketen im Dunkeln. Dann wird's romantisch und Cate
Blanchett tanzt im Mondschein. Später wird als kleines narratives Virtuosenstück
eine Erzählung von Schicksal und Zufall als Intarsie in den Film hineingelegt,
die aus dem Nichts kommt und zu nichts passt, außer vielleicht als exemplarische
Verdichtung der eigentlichen Grundbewegung des Films: seines intellektuellen
Hohldrehens nämlich.
Nicht genug der Fabrikationen. Ein Rahmen
wird um das Ganze gezwungen und noch einer. Der eine Rahmen verfügt über
die Geschichte des Benjamin Button als Flashback und lässt die Stimmen,
die Zeiten, die Verwandtschaftslinien aufs Unüberraschendste ineinanderfließen.
Nichts davon hätte es gebraucht: den Hurrikan Katrina nicht, die dreivierteltot
geschminkt daliegende Kate Blanchett nicht, den alles andere als bezaubernd
schönen Sing-Sang ihrer sterbenden Stimme nicht und die Auflösung
des Familiendreiecks am Totenbett schon dreimal nicht. Und auch der innere Rahmen
um die Rückblende, der von einem Mann erzählt, der eine rückwärts
laufende Uhr baut, doppelt nur, womit Buch und Regie einfach schon herzlich
wenig anzufangen wissen.
Das ist die Crux dieses Films: Er hat
einen Story-Gimmick der auffälligen Art, weiß aber nicht, was er
damit eigentlich will. Erzählt wird die Geschichte des Benjamin Button
ausführlich und behäbig, im Glauben, es sei etwas ganz Großes
und Episches daran, der sich an keiner Stelle bestätigt. Was man sieht,
ist vielmehr ein recht beliebiges Leben und die Tragik gegeneinander laufender
Zeitpfeile bleibt leere Behauptung. Zwischen dem retardierenden Greis und der
progredierenden Balletteuse kommt es zu einer ganz handelsüblichen Liebesgeschichte,
deren Scheitern gar keinen gimmick-spezifischen Eindruck macht. Sie sind einfach,
scheint es, nicht füreinander bestimmt.
Als düster gestimmte Predigt über
das Leben als solches versteht sich der Film, aber nichts, was er zeigt, ist,
den kurios verkehrten Zeitläuften zum Trotz, interessant oder neu. Wir
lernen, dass die Vergänglichkeit das Leben und auch die Liebe regiert.
Dass wir also, du und auch ich, sterben und dass das irgendwie eher traurig
ist alles in allem. Dass der Blitz einschlägt, und sei es sieben Mal. Dass
der Zufall dieses und jenes ohne sich etwas zu denken so und nicht anders laufen
lässt. Aus jedem Gedanken, den das Drehbuch nicht hat, macht David Fincher
endlose zwanzig Minuten, in denen er ihn illustriert. Mit Löffeln hat der
Film die Weisheit gefressen, die er dem werten publico Pomp und vielen Umständen
zweieinhalb Stunden lang serviert. Da sitzt man dann aber da und sträubt
sich vergeblich dagegen, dass einem David Fincher das Lätzchen umbindet
und den großen Bilderlöffel rausholt und einem seine seltsame Knopfgeschichte
einflößt. Schließlich kaut man halt doch darauf herum und kaut
und bräuchte doch weder Hirn noch auch Zähne: alles nur digital aufgemotzte
Grütze, alles nur geistiger Haferbrei.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen am 28.01.2009 in: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Der
seltsame Fall des Benjamin Button
USA 2008 - Originaltitel: The Curious Case of Benjamin Button - Regie: David Fincher - Darsteller: Brad Pitt, Cate Blanchett, Taraji P. Henson, Julia Ormond, Jason Flemyng, Tilda Swinton - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge: 165 min. - Start: 29.1.2009
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