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Shahada
Seltsam konstruierte Parallelwelt
Burhan Qurbanis
Debütfilm "Shahada" will die inneren Konflikte von vier nichtchristlichen
Jugendlichen inszenieren, setzt dabei aber unglaubwürdige kulturelle Schranken
Alle, die schon immer gewusst haben, dass Muslime ganz
andere und natürlich auch ganz eigenartige Wesen sind, dürften ihre
Freude an dem Debütfilm von Burhan Qurbanis haben.
"Shahada" zeigt vier junge Berliner Nichtchristen in verschiedenen
Problemlagen: Maryam hat gerade illegal abgetrieben, Samir kämpft gegen
sein Schwulsein an, Ismail, der Polizist, gerät in Solidaritätskonflikte,
wenn er Illegale hopsnimmt. Und dann wäre da auch noch der Imam, um dessen
Gemeinde herum die Geschichten von Schuld und Besinnung gruppiert werden - und
dem es so gar nicht gelingt, den jungen Leuten bei ihren Identitätskonflikten
zu helfen.
Fangen wir bei Maryam an: Die Schülerin ist schlau,
sie ist dreckscool, und sie ist ungewollt schwanger geworden, ihr Freund ist
ein Idiot. Das passiert vielen Mädchen. Maryam entschließt sich zum
Schwangerschaftsabbruch. In Berlin muss das nicht das Ende der Welt sein, denn
wie wir alle wissen, ist Abtreibung in den ersten drei Monaten möglich,
ohne dass Ärzte oder Krankenhäuser eine zusätzliche Belastung
für die betroffenen Frauen darstellen würden. Im Film aber darf Maryam
nicht den normalen, urbanen Weg gehen, sondern muss sich den Fötus auf
mittelalterliche Weise wegpfuschen lassen, um dann dramatisch viel Blut zu verlieren.
Nun lässt sich einwenden, dass Fiktion sich schließlich nicht an
der Realität messen lassen muss. Richtig. Aber erhebt ein Regisseur den
Anspruch, Gegenwart und Alltag abzubilden, und das tut Qurbanis, dann
ist es schlicht unglaubwürdig, warum es Maryam so schwerfallen soll, ein
Krankenhaus aufzusuchen und den Eingriff heimlich vornehmen zu lassen.
Erklärbar ist diese Figurenzeichnung nur, wenn man
auf Teufel komm raus will, dass klassische Jugenddramen wie Abtreibung oder
Coming-out für muslimische Berliner etwas ganz anderes sein sollen als
für nichtmuslimische GroßstadtbewohnerInnen.
Und zwar ohne dass sie von ihren Familien massiv unter Druck gesetzt würden.
Qurbanis bedient nicht das Stereotyp von der Türkin,
die zum Opfer ihrer halsstarrigen Verwandten wird. Er will vielmehr den inneren
Konflikt der Muslime zeigen, wenn sie gesündigt haben - und begeht dabei
einen großen Fehler. So behauptet er einfach, dass sämtliche Emanzipationsbewegungen
an Berliner Muslimen vorbeigingen. Zwar machen sie nach außen hin einen
aufgeweckten Eindruck, sind perfekt zweisprachig, sehen gut aus und bewegen
sich geschmeidig in der Clubszene - aber in ihrem tiefen Inneren leben sich
noch im frühen 20. Jahrhundert und haben folgerichtig noch nie etwas von
Hospitälern oder Lesben- und Schwulenszenen gehört, in denen sich
auch Muslime finden. Wie albern.
Auch dem Polizisten wird so ein künstlicher Konflikt
angedichtet: Weil er Türke ist, soll er eine besondere Beziehung zu illegalen
Migranten haben. Das mag ja sein, aber dann muss man auch erzählen, wo
diese Verbindungen herrühren, statt sie einfach vorauszusetzen, ganz nach
dem Motto: Wer Türke ist, hat per se eine innere Relation zu Menschen mit
abgelaufenen Pässen. Das ist ungewollter Rassismus.
Und dieser ist doppelt ärgerlich, weil der Film
handwerklich ansonsten durchaus etwas zu bieten hat: Die Dialoge stimmen, die
Schauspieler sind sehr gut, die Kamera produziert elegante Mainstreambilder. Doch all diese Qualitäten werden untergraben von
der Ideologie, dass Muslime qua Kultur und qua Glauben in einer Parallelwelt
leben - ohne Exit-Option.
Ines Kappert
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz
Shahada
Deutschland 2010 - Regie: Burhan Qurbani - Darsteller:
Carlo Ljubek, Maryam Zaree, Jeremias Acheampong, Marija Škaricic, Vedat Erincin, Sergej Moya, Anne
Ratte-Polle, Nora Abdel-Maksoud - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 12 - Länge:
92 min. - Start: 30.9.2010
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