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Shopping-Center
King
Von
Malls und Medien
Woran sich Jody Hills Hollywood-Komödie
"Shopping-Center King" versucht, ist nicht leicht zu sagen: Heraus
gekommen ist jedenfalls ein zutiefst verstörender Film.
Die Mall ist ein zentraler Ort der US-amerikanischen
Gesellschaft. Es wird in diesen von Parkplatz-Beton umfriedeten Shopping-Centern
eingekauft, gegessen, sich getroffen, flaniert, in Schaufenster geguckt und
vor allem die Privatheit von Räumen eingeübt, die jedenfalls in Europa
über Jahrzehnte der Inbegriff von Öffentlichkeit waren. Kein Wunder
also, dass die Mall in den letzten Jahren immer häufiger zum Schauplatz
von Hollywood-Filmen wird.
Nicht nur, weil sie im wirklichen Leben
der US-Amerikaner einen so wichtigen Platz einnimmt. Auch Verdichtbarkeit des
Geschehens zur weitgehenden Einheit von Ort, Zeit und Handlung spricht für
die Mall als Schauplatz; eine gewisse Bandbreite an Indoor-Motiven hat sie ja
dennoch zu bieten. Als Mikrokosmos der amerikanischen Mittel- und unteren Oberschichten
taugt sie überdies. Das zeigt "Shopping-Center King - Hier gilt mein
Gesetz" (das Original klingt, viel treffender, wie ein Buchtitel von Foucault:
"Observe and Report"), der zweite Kinofilm des Komödien-Extremisten
Jody Hill, in aller der US-Komödie heute so möglichen Deutlichkeit.
Und man muss nach Ansicht sagen: Mehr oder weniger alles scheint heute möglich.
Jody Hill macht gerade als Autor der HBO-Serie
"Eastbound & Down" Furore. (Hier ein kurzer Clip.) Sie hat, gespielt von
Danny McBride, einen die Grenzen des Erträglichen mit Gusto übertretenden
Helden, einen Ex-Eishockey-Beinahe-Star, der in grotesker Selbstüberschätzung
die allen, nur ihm nicht peinlichsten Dinge tut. An diese Heldenfigur schließt
Hill mit "Shopping-Center King" an. Nur ist hier eben nicht die All-America-Kleinstadt
der Austragungsort unaussprechlicher Dinge, sondern die All-American-Mall.
Eine Figur vor allem ist es, die den privat-öffentlichen
Charakter der von der Außenwelt räumlich abgeschnittenen Einkaufsparadiese
in erster Linie verkörpert: der Mall-Cop. Er ist eine Schleusenfigur, die
den geschlossenen Innenraum des sozialen Orts gegen die allzu devianten Verhaltensformen,
die die Gesellschaft da draußen so ausbildet, abzuriegeln hat. Zugleich
ist er natürlich kein richtiger Polizist, sondern nur Angestellter eines
privaten Sicherheitsunternehmens mit Befugnissen, die aufs Pazifizieren und
Rausschmeißen begrenzt sind. Als zusätzliche Demütigung bewegt
er sich in lächerlichen Gefährten durch seine Welt.
Als extrem gutmütige Figur figurierte
der Mall-Polizist bereits einmal in einer US-Komödie dieses Jahres, nämlich
in dem ausgesprochen erfolgreichen Film "Paul Blart: Mall Cop". In
"Shopping-Center King" hat nun einerseits das herauszupolizierende
Böse von draußen gleich zu Beginn seinen Auftritt. Ein dicklicher
Exhibitionist verschreckt auf dem Parkplatz mit aufgerissenem Mantel die Kunden
und vor allem die Kundinnen. Der Parkplatz ist, nebenbei gesagt, ein hoch interessanter
Ort in diesem Zusammenhang, als Zwischen- und Übergangsraum, als Schwelle,
die es zu polizieren gilt, ohne dass jedoch die Kunden durch allzu massive Abriegelungsmaßnahmen
verschreckt würden. Sehr schön war das schon im kürzlich besprochenen
Supermarkt-Film "Topjob
- Showdown im Supermarkt"
zu beobachten, der den Parkplatz immer wieder zum Schauplatz macht. Wie eben,
dies ist die allgemeinere Lektion, nirgends im amerikanischen Kommerzkino so
genau die Räume der Gegenwartsgesellschaft beobachtet werden wie in den
radikaleren ihrer Komödien.
Und "Shopping-Center King" ist
die radikalste von allen. Weil sie nämlich dem Bösen - der Verkörperung
sexueller Transgression - als Schutzmacht des Guten das noch Bösere entgegenstellt.
Der vom aus Apatow-Filmen wie "Beim ersten Mal" bekannte Komödien-Star
Seth Rogen nämlich spielt den Cop Ronnie Barnhardt als psychisch schwer
gestörte Figur. Er ist ausdrücklich manisch-depressiv, schusswaffensüchtig,
rassistisch, sexistisch und in jeder Hinsicht dringend der Erlösung bedürftig.
Das tief Verstörende an Jody Hills Film: Er wird nicht erlöst. Er
ist am Ende so unerträglich wie zu Beginn. Und, schlimmer noch: Es gibt
keine positive Gegenfigur. Dazu nämlich taugt die vulgäre Verkäuferin
Brandi (Anna Faris) so wenig wie Detective Harrison (Ray Liotta), der richtige
Cop, der für Ronnie bald zum eigentlichen Feindbild wird.
Die naive Kaffeeverkäuferin Nell
(Collette Wolf) ist schon deshalb hoch verdächtig, weil sie liebende Blick auf Ronnie wirft. Auch unterm Rest des
ethnisch gemischten Personals ist beim besten Willen kein Sympathieträger
auszumachen. Der radikale Verzicht auf Identifikationsfiguren macht "Shopping-Center
King" zu einem faszinierend verstörenden Film. Es kommt dazu, dass
die Position des Films selbst nicht zu bestimmen ist. Weder neigt er zu Empathie
für das Ekelpaket in seinem Zentrum noch denunziert er seinen Protagonisten.
Er wahrt eine Form von Halbdistanz, die einen als Betrachter immerzu selbst
nötigt, die eigene Haltung zum Geschehen zu überprüfen.
Auf manches - wie etwa eine Quasi-Vergewaltigung,
die mit gutem Grund die berüchtigtste aller Szenen des Films ist - kann
man nur mit Abscheu und Ekel reagieren. Anderes bricht auf so mutige Weise mit
allen Erwartungen und Konventionen, dass man Jody Hill, der explizit Scorseses
"Taxi
Driver" als Vorbild
nennt, den Respekt kaum verweigern kann. Das gilt etwa für den Höhepunkt
des Films ganz am Ende, wenn Ronnie dem in seiner ganzen nackten Pracht von
vorne gezeigten Exhibitionisten durch die Mall hinterherrennt. Kurz gesagt:
Dieser einzigartige Film schockt, beutelt, verstört und ist immer wieder
unfassbar. Nur komisch ist diese Komödie genau deshalb eigentlich nicht.
Ekkehard Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen am 17.6.2009 im: www.perlentaucher.de
Shopping-Center
King - Hier gilt mein Gesetz
USA 2009 - Originaltitel: Observe and Report - Regie: Jody Hill - Darsteller: Seth Rogen, Anna Faris, Michael Peña, Ray Liotta, Celia Weston, Collette Wolfe, Dan Bakkedahl, Jesse Plemons, John Yuan, Matthew Yuan - Länge: 86 min. - Start: 18.6.2009
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