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Shotgun
Stories
Um
Familienbande im amerikanischen Hinterland geht es dem Indie-Film "Shotgun
Stories", Jeff Nichols' erstaunlich souveränem Debüt.
Wulstige
Blasen auf dem Rücken: ein von Schrotkugeln gezeichneter junger Mann (Michael
Shannon). Er sitzt, er steht, er geht, als trüge er das Gewicht der Welt.
Nichts ist leicht für ihn, nicht die Hoffnung, die er noch nicht aufgegeben
hat, nicht die Verachtung für das Leben im Niemandsland, seiner Vaterstadt.
Unter den starken Brauenknochen lauert etwas, das sind die Augen, aber sie blicken
um sich, als trauten sie keinem. Der Mund ein wie grob mit dem Messer gezogener
Schlitz, etwas Überbiss, die Worte und Sätze, immer knapp, kämpfen
sich eher ins Freie, als dass er sie spricht. Tonlos, aber nicht weil ein Gefühl
fehlt, sondern weil er jedes Gefühl unterdrückt.
Am
liebsten würde er, denkt man, seine Worte spucken, nicht sprechen, und
man wundert sich nicht, dass er dann, womit das Drama beginnt, den toten Vater
verflucht und auf den Sarg des Vaters tatsächlich spuckt. Das ist der Sohn.
Er steht und sitzt in verlassener Landschaft, Arkansas Hinterland. Die Sonne
geht unter, in aller Ruhe, der Wind rauscht in den Bäumen, ein Rasen wird
gemäht, Autos fahren vorbei, in seinem Pickup ist die Beifahrertür
eingedrückt, im Hintergrund ein Zugsignal als amerikanisches Urgeräusch.
Das ist der Sohn seines Vaters, er hat keinen anderen Namen, damit beginnt es,
als eben diesen: Son Hayes. Alle nennen ihn Sohn, dabei hat er schon lang keinen
Vater mehr.
Vor
der Tür steht, es ist Nacht, die Mutter des Sohns. Der Vater ist gestorben,
die Frau steht im Schwarzen, der Sohn steht in der Tür des Hauses, sie
blicken sich an, nicht mit Liebe, sondern mit Hass, aber einem Hass, der in
langjähriger Übung abgenutzt ist. Die Frau wendet sich ab, ins Schwarze,
der Sohn geht zurück ins Haus, da ist Licht. Sie teilen sich die Einstellung
nicht, man sieht ihn im Hellen, man sieht sie im Dunkeln, es trennt sie immer
ein Schnitt. Der Sohn hat zwei Brüder, auch sie ohne eigene Namen, Kid
und Boy. Kid lebt ihm Zelt im Garten des Hauses, Boy hat kein Haus, er schläft
jetzt auf der Couch, nachdem Sons Freundin, sie haben einen gemeinsamen Sohn
namens Carter, ihn wieder einmal verlassen hat, weil er das wenige Geld, das
er auf der Fischfarm verdient, ins Casino trägt, das sich in einem Boot,
das am Fluss liegt, befindet. "Ich spiele nicht. Ich habe ein System"
sagt er später. Es kann einer das Gewicht der Welt auf den Schultern tragen
und ist doch nicht Herr seines Tuns.
Der
Vater hat die Familie, die drei Söhne (Son, Boy, Kid), die Mutter, vor
Jahren verlassen. Damit hat es begonnen. Er ist vom Trinker zum frommen Christen
geworden, hat am selben Ort eine neue Familie gegründet, vier weitere Söhne
gezeugt, großgezogen, geliebt offenbar, sie tragen richtige Namen (Cleaman,
Mark, Stephen, John). Die alte Familie hat er behandelt, als gäbe es sie
nicht. Jetzt ist er tot. Zur Beerdigung ist die zweite Familie versammelt, der
Priester spricht salbungsvoll, die Söhne tragen Hemd und Krawatte. Der
Tote war ihnen liebender Vater. Kid, Boy und Son nähern sich von der Seite
dem Baldachin über dem Grab, der gegen den Regen dort aufgebaut ist. Sie
tragen Alltagskleidung, Jeans, T-Shirt, in den Gesichtern, in Sons Gesicht jedenfalls,
steht der Hass. Son schleudert dem Vater, der tot ist, der Familie des Vaters,
die nicht die seine ist, die Verachtung entgegen. Dann spuckt er auf den Sarg,
eine Rangelei, sie gehen davon, unversöhnt. Du hättest uns sagen sollen,
was du vorhast, klagen die Brüder gleich darauf im Auto. Ich wusste es
selbst nicht, sagt Son. Damit beginnt es.
Was
beginnt, ist eine Fehde der beiden Familien des Vaters. Ein Schlangenbiss, der
Hund - er heißt Henry - wird begraben. Blut fließt. Alle laden Schuld
auf sich und der Film wird zur Meditation über die Frage, wie man aus dem
Teufelskreis der eskalierenden Rache und Gegenrache entkommt. Oder man muss
sagen, weil es ja ein Leichtes ist und manchem Mann doch unmöglich, aus
einem solchen Teufelskreis zu entkommen: Der Film kennt Gnade mit seinen Figuren,
bevor alles zu spät ist. Jeff Nichols, Jahrgang 1978, um dessen Debüt
es sich bei "Shotgun Stories" handelt, tut dabei zum Glück niemals
so, als wäre er der erste, der eine solche Geschichte erzählt. Auch
der amerikanische Independent-Film wird nicht neu erfunden. Eher ist den Bildern
aus dem amerikanischen Süden anzusehen, dass es ihresgleichen lange schon
gibt. Der Kritiker der französischen Zeitung Liberation schreibt, der Film
sei wie ein gelungener Country-Song. Das ist völlig richtig. Irgendwie
immer dieselbe Geschichte: Vater tot, Frau weg, die selbstgerechte Melancholie
weißer Männer, die glauben, sie müssten tun, was ein weißer
Mann tun muss. Und doch kriegen sie einen immer wieder. (Mich jedenfalls.)
Souverän
ist Nichols gerade darin, dass er nach Originalitäten nicht sucht. Er entwirft
Porträts in andeutenden und zugleich klaren Strichen. Er gibt jeder Schwere
eine Spur Leichtigkeit. Er setzt auf Glut eher als Feuer. Und darauf, Stimmungen,
Stimmen, die Landschaft im Breitwandbild, das alles andere als Freiheit signalisiert,
beim Betrachter einsinken zu lassen. Darum lässt er sich Zeit. Darum öffnet
er das Bild für die Töne des Hintergrunds, für die runtergerockte
Stadtlandschaft und die Natur, die auch keinen tröstet. Weil er nicht tragische
Wucht will, sondern eine mittlere Tonlage findet, weil er auch die Darstellung
der Gewalt mit sanfter Elliptik auf das Nötige reduziert - darum nimmt
man ihm seine Figuren und seine Geschichte tatsächlich ab.
Ekkehard
Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen am 7.10.2009 in: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Shotgun
Stories
USA 2007 - Regie: Jeff Nichols - Darsteller: Michael Shannon, Douglas Ligon, Barlow Jacobs, Michael Abbott Jr., Travis Smith, Lynnsee Provence, David Rhodes, Glenda Pannell, Natalie Canerday, Coley Canpany - FSK: ab 12 - Fassung: O.m.d.U. - Länge: 90 min. - Start: 8.10.2009
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