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Shutter
Island
In
der Hochzeit des Kalten Krieges
Scorsese
kann sich in "Shutter Island" nicht entscheiden, ob seine Horroreffekte
eher das Fürchten oder das Schmunzeln lehren sollen. Als Zaubertrick wirkt
das Konzept plausibel.
Ein
Schiff durchbricht undurchdringlichen Nebel. Hochbewaffnete Sicherheitskräfte
geleiten zugeknöpfte Gesetzeshüter durch eine brachiale Festungsanlage.
Im Garten zupfen irre blickende Irre sinnlos an Blüten herum. In grimmen
Grotten vegetieren vertierte Kreaturen, während Wasser aus den Gewölberitzen
tropft. Im Herrenzimmer entdecken wir Max von Sydow als dämonelnden deutschstämmigen
Psychoanalytiker erst, als wir die andere Seite des Sessels zu sehen bekommen,
in dem er bis dahin ganz still gesessen hat.
Martin
Scorsese hat offenbar wenig Hemmungen, auch eher abgestandene Horroreffekte
abzurufen. Die implizite Begründung dafür scheint doppelt genäht:
Einerseits ist dies ein Film über alte Filme. Der Garten aus dem "Kabinett
des Dr. Caligari" trifft Samuel Fullers psychiatriekritischen "Shock
Corridor",
dazwischen prasselt viel Noir-Regen auf Gothic-Dächer. Andererseits spielt
der Film in der Hochzeit des Kalten Krieges. Damals verständigte man sich
via Horroreffekte, gothisierende Frauenschicksale oder aus der Vergangenheit
zuschlagende Schicksalsmonster über etwas, das man nicht kapieren oder
offen aussprechen konnte: über Machtverhältnisse und Sexualität,
aber eben auch über die Atombombe. Vor allem aber weiß Scorsese natürlich,
dass ein Weg von Dr. Caligari zu Hitler führt; bis zur Befreiung des KZ
Dachau, bei der der von Leonardo DiCaprio gespielte, Aufklärung suchende
US-Marshall selbst traumatisiert wurde.
"Shutter
Island" ist aber nicht nur ein Film, der von heute aus auf eine historische
politische Psychologie schaut. Er kann sich nicht entscheiden, ob er mit seinen
Tricks aus Horror und Noir verspielt umgehen oder ihnen die Verantwortung für
unsere Anteilnahme übertragen will. Sollen wir uns vor einem Kerl fürchten,
der sich dämonisch in einem Sessel versteckt, oder sollen wir über
dieses gute alte Stereotyp schmunzeln und uns fürderhin nicht mehr fürchten?
Beides wäre nicht gut: Historistisch-ironische Schmunzelware muss mehr
zu bieten haben, als sich bloß zu erkennen zu geben, wenn sie denn nach
dem hundertvierunddreißigsten Tarantino überhaupt noch satisfaktionsfähig
werden kann.
Das
Gleiche gilt für die andere Möglichkeit: die Addition aller Traumata
der Jahrhundertmitte zu einer menschenverachtenden Großbosheit. Die hier
angedeutete Verschwörung nimmt aber nur ernst, wer auch mit langen Messern
auf saarländische Ministerpräsidenten losgeht, weil die für "unterirdische
Menschenfabriken" verantwortlich seien. Für Scorsese müsste also
das Offenhalten dieser beiden Möglichkeiten naturgemäß im Vordergrund
stehen. Dafür dürften sie aber beide nur durch die Stärke der
jeweils anderen relativiert werden und nicht durch die eigenen Schwächen
wie Kindergruseleffekte oder Weltverschwörungen. Natürlich korrespondiert
diese Unentschiedenheit mit einer anderen: Was ist real, was ist Traum? Wer
ist hier verrückt, wer ist die Gehirnpolizei, wer ist Dr. Caligari? Der
Umgang mit dieser Frage wird wesentlich von sogenannten Narrative Special Effects
bestimmt: überraschende Wendungen, Totgeglaubte, die Pfeife schmauchend
aus Turmzimmern treten, und promovierte Höhlenbewohnerinnen, die im Jahr
1954 schon das Wort "Gulag" kennen.
Aber
wenn es etwas gibt, was diese Massenmörderpistole zusammenhält, ist
es die Leistung von Leonardo DiCaprio, 138 Minuten so überrascht, angefressen,
empört, kaputt, auch schlau genug auszusehen, um den Zuschauer trotz allem
via Identifikation bei der Stange zu halten. Die Idee, dass ein Film nicht von
den Fünfzigern handelt, sondern sich mit Schauspielern, Kameras und Skripttechniken
von heute selbst in ein Produkt schaurig muffigen McCarthyismus verwandelt,
wird dank seines Spiels wenigstens als Zaubertrick plausibel. Ob DiCaprio verrückt
ist oder nicht, hängt aber unter anderem auch von der Korrektheit seiner
Erinnerung an Dachau ab. Der Zuschauer wird mit dem Eindruck entlassen, die
Befreiung habe zwar so stattgefunden wie erinnert, die anschließende Revanche-Erschießung
von SS-Männern durch US-Soldaten aber sei geträumt. Man weiß
aber, dass es sie gegeben hat. Die Umkehrung von Kracauer: von Hitler zu Caligari?
Ein amerikanischer Gegenwartsstar, der keinen Spaß am gemütlichen
Nazikillen hat, sondern daran psychisch zerbricht? Ein
glorioser Antibastard?
Diedrich
Diederichsen
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: taz
Shutter
Island
USA 2009 - Regie: Martin Scorsese - Darsteller: Leonardo DiCaprio, Mark Ruffalo, Ben Kingsley, Michelle Williams, Emily Mortimer, Max von Sydow, Jackie Earle Haley, Patricia Clarkson, Jackie Earle Haley - FSK: ab 16 - Länge: 138 min. - Start: 25.2.2010
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