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Sieben
Leben
Gebannt blickt der Junge auf eine Schar
milchig leuchtender Medusen, die im Aquarienwasser pulsieren. Aus dem Off kommentiert
ein Mann seine Erinnerung: Die Würfelqualle, das giftigste Tier des Ozeans,
sei für ihn vom ersten Anblick an auch das schönste geblieben. Der
erwachsene Ben Thomas stellt sich ein Kleinaquarium inklusive Würfelqualle
neben das Bett. Zeichen einer Todessehnsucht, deren Ursache nur in kleinen Dosen
ahnbar wird: Ein Autocrash, die tote Ehefrau, insgesamt sieben Todesopfer. Saß
Ben am Steuer?
Der aus der Handlung nicht erklärbare
Originaltitel „Seven Pounds" erinnert nicht von ungefähr an „21 Gramm" (2003) von Alejandro González
Iñárritu. Schuldverstrickung, Schicksalsbegegnungen und eine Herztransplantantion
spielen wieder eine gewichtige Rolle. Dazu adaptierte Regisseur Gabriele Muccino
die komplizierte, zeitlich vor- und zurückspringende Erzählstruktur
von Iñárritus Meisterwerk, ein Verfahren, das er nach einiger
Zeit mehr oder weniger über den Haufen wirft.
Trotz des Arthouse-Flairs, flüssiger
Kameraarbeit und einer Reihe atmosphärischer Bilder erweist die Produktion
sich eher als Vehikel für den Star und Mitproduzenten Will Smith denn als
wirklich ambitioniertes Drama. Darstellerisch engagiert sich Smith allerdings
nach Kräften. Doch allein Woody Harrelson treibt seine Nebenrolle als blinder
Pianist und Callcenter-Tagelöhner so weit an die Parodiegrenze, dass man
sich kurzzeitig in der absurden Höhenregion der Douglas-Sirk-Schnulze „Die
wunderbare Macht" (1954) wähnt. Dabei ist nicht einmal sicher, ob
„Sieben Leben" wirklich als Melodram durchgehen kann, weil der Film auch
Elemente von Thriller, Sozialdrama, Liebesromanze und spielbergschem Wunderkino
verhäckselt, ohne mehr als Sentiment und Stirnrunzeln zu provozieren.
Die Geschichte geht so: Der seelisch angeschlagene
Ben ist in Los Angeles als Steuerprüfer unterwegs. Höher als die Loyalität
zur Finanzbehörde schätzt er jedoch die Frage der moralischen Integrität
seiner Klienten. „Sind Sie ein guter Mensch?" will er regelmäßig
wissen. Falls ja, hilft er bis zur Selbstkasteiung: Er trägt eine bettlägerige
alte Dame ins Krankenhaus, überschreibt einer gebeutelten mexikanischen
Kleinfamilie seinen Bungalow am Meer und spendet einem leukämiekranken
Jungen sein Knochenmark.
Der reizenden, aber herzkranken sowie
hochverschuldeten Emily Posa (intensiv: Rosario Dawson) - auch sie hängt
zeitweise am Infusionsschlauch - schenkt Ben zumindest metaphorisch sein Herz
und hilft ihr finanziell auf die Sprünge. Und weil dieser Film in überaus
verlogener Weise auf Barack Obamas Yes-We-Can-Welle reitet, schließt Emily
Ben irgendwann ihr verborgenes Reich auf, eine Setzerwerkstatt einschließlich
„Heidelberger Druckmaschine", deren Funktionsstörung vom Heinzelmännchen
Ben gleich in der folgenden Nacht glücklich behoben wird, im sexy Feinripphemd,
versteht sich. Nach einem Candlelight-Dinner mit Emilys Nudelauflauf, lustigen
Karaoke-Einlagen und anschließender Kopulationssequenz im Stil von Weinbrandreklame
schießen Ben unvermittelt die Unfallbilder wieder in den Kopf. Es ist
an der Zeit, einen längst ausgearbeiteten Plan in die Tat umzusetzen.
Man kann es schon wieder raffiniert nennen,
dass der verkorkst religiöse Zug des Films - fast glaubt man, ein Sektenmanifest
vor sich zu haben, in dem Nächstenliebe mit Selbstvernichtung kurzgeschlossen
wird - durch den Puzzlecharakter der Story lange verborgen bleibt. Am Ende werden
wir aber doch ins Eiswasser schockierend schlechter Hollywooddramaturgie geworfen.
Und noch einmal zuckt die Würfelqualle.
Jens Hinrichsen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: film-Dienst
Sieben
Leben
USA
2008 - Originaltitel: Seven Pounds - Regie: Gabriele Muccino - Darsteller: Will
Smith, Rosario Dawson, Woody Harrelson, Barry Pepper, Michael Ealy, Sarah Jane
Morris, Bill Smitrovich, Elpidia Carrillo, Gina Hecht, Robinne Lee, Madison
Pettis - Länge: 123 min. - Start: 8.1.2009
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