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Sin
City
Der Film basiert auf einem düsteren
Neo-Noire-Flair, reduziert auf eine stilisierende Schwarz-Weiß-Darstellung
mit assoziativen Farbeinschüben: Es herrscht dauerhafte Dunkelheit im Lowkey-Stil,
die Stadt erscheint als stete Bedrohung, in der negative Aspekte der Urbanisierung
kumulieren (Entwurzelung, Desorientierung, Perspektivlosigkeit, brutale Gewalt)
und im Fokus der Handlung stehen nachdenkliche Verlierertypen.
Hier knüpft der Film an die Tradition
des film noir an; prominente Beispiele sind Die
Spur des Falken (1941),
Tote
schlafen fest (1946)
oder auch Der
dritte Mann (1949).
Auch in der Erzähltechnik besteht eine Analogie zu Sin
City: Voiceover und asynchrones,
fragmentiertes Erzählen sind gern benutzte Stilmittel. Darin ist auch eine
Verbindung zu der Herkunft der Geschichte aus dem Comic auszumachen: Eine schnelle
Raffung, die dem Wechsel einzelner Bilder ähnelt, scherenschnittenartige
Szenen, die nur aus dem Kontrast zwischen Schwarz und Weiß bestehen, der
weitgehende Verzicht auf eine bewegte Kamera, die verfremdete Illustration von
Blut, welches weiß dargestellt wird, sowie die übernatürliche
Widerstandsfähigkeit der Protagonisten zur Steigerung des Konflikts.
Drei der vier Episoden „That Yellow Bastard“,
„Sin City (The Hard Goodbye)“ und „The Big Fat Kill“ erzählen letztlich
die gleiche Fabel: Der äußerst brutale Kampf eines aufrechten und
ehrenvollen Guten gegen das übermächtige Böse. Da sich der Held
der Mittel des Bösen bedient, wird er nach Herstellung der Gerechtigkeit
in der Ungerechtigkeit gerichtet oder richtet sich selbst. „The Customer Is
Always Right“ dient als inhaltliche Klammer, die den Film eröffnet und
schließt. Die Botschaft ließe sich als Unausweichlichkeit kausaler
menschlicher Handlungen deuten: Der Salesman (Josh Harnett) tötet in der
Anfangsszene sein Opfer trotz gewisser Zuneigung, denn „The Customer Is Always
Right“. Er hat sich für eine Aufgabe entschieden, die er nun auch vollendet.
In der Schlussszene begegnet die Verräterin Becky (Alexis Bledel) aus „The
Big Fat Kill“ dem nun auf sie angesetzten Salesman und wird damit für ihr
Handeln bestraft.
Allen Episoden inhärent sind demokratische
Defizite: Die Polizei wird als durch und durch korrupt und als Gegner der Zivilgesellschaft,
nicht als dessen Garant dargestellt; beispielhaft zu nennen sind hier Hartigans
(Bruce Willis) korrupter Polizeikollege Bob (Michael Madsen), der im Dienste
von Senator Roark (Powers Boothe) dessen mordenden Sohn (Nick Stahl) deckt und
Hartigan schließlich niederschießt, der archaisch geschminkte Anführer
der Polizeispezialeinheit, welcher Marvs (Mickey Rourke) Bewährungshelferin
Lucille (Carla Cugino) grausam tötet, indem er ein ganzes Magazin in sie
entleert und Jack Rafferty, genannt „Jackie Boy“ (Benicio Del Toro), der mit
einer Gang herumzieht und seine Ex-Freundin Shellie (Brittany Murphy) belästigt.
Diesen Schattengestalten stehen aber immer gute „Cops“ bzw. „private Ordnungshüter“
gegenüber, wie Hartigan, der Schläger Marv oder Dwight McCarthy (Clive
Owen); diese sind trotz positiver Konnotation jedoch keine reinen Lichtgestalten,
sondern überaus ambivalente Charaktere.
Die Zivilgesellschaft, „der kleine Mann“,
wird zum Opfer von Polizei, Mafia, skrupellosen Gangstern, Söldnern und
Kapital. Drahtzieher sind meist hohe Persönlichkeiten des öffentlichen
Lebens, die zur gleichen Familie gehören, wie Kardinal (Rutger Hauer) und
Senator Roark. Signifikat dafür ist die wütende Feststellung aller
Bösewichter kurz vor ihrer Festnahme, dass sie Verbindungen nach ganz oben
hätten. Das entstehende Bild einer kungelnden Dynastie hat wenig mit der
Volksherrschaft der Vereinigten Staaten gemein, sondern erinnert an eine mittelalterliche
Aristokratie. Diese Dynastie ist merklich degeneriert, denn nicht nur handelt
es sich um kalte, rücksichtslose Machtmenschen, sie sind zum Teil selbst
kriminell und pervers, wie der menschenfressende Kardinal Roark.
Dem gegenüber stehen die Helden als
aufrechte Vollstrecker und letzte Bastion gegen das verkommene Böse und
übernehmen dadurch bisweilen die Funktion von Paramilitärs, als Exekutoren
einer verzweifelten Law-and-Order-Politik. Ebenso wie die Protagonisten übernehmen
einzelne soziale Gruppen die Regulierung von Regeln selbst: Die Prostituierten,
„gefallene Engel“, in „Old Town“ treffen eine Abmachung mit den Ordnungskräften,
dass sie von ihnen nicht behelligt werden, dafür aber ihre eigenen Regeln
aufstellen und sich selbst verteidigen.
All diese Muster sind Symptome der nach
Mary Kaldor sogenannten „neuen Kriege“, „asymmetrischen Kriege“ bei Herfried
Münkler oder auch „privatisierten Gewalt“ bei Erhard Eppler.
Dahinter steht der Bedeutungswandel des
Begriffes „Krieg“: Nach den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges
und des darauf folgenden Westfälischen Friedens 1648 fand eine zunehmende
Hegung des Krieges statt, welche bis zum Ersten Weltkrieg – v. a. mit den Genfer
Konventionen 1864 und den Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 – weiter
vorangetrieben wurde. Entscheidende Merkmale dieser Hegung waren die klare Differenzierung
von Krieg und Frieden, das staatliche Gewaltmonopol, die Unterscheidung zwischen
Kombattanten und Nichtkombattanten und der Antagonismus von regulärem Erwerbsleben
und Gewaltanwendung.
Mit dem ersten Weltkrieg kam es zu einer
zunehmenden Regression, welche mit dem Zerfall der Sowjetunion 1989 kumulierte
und in der Negation der Einhegung kriegerischer Auseinandersetzungen resultierte:
Ein amorpher, dauerhafter Konfliktzustand, Verlust des Gewaltmonopols, keine
Trennung mehr zwischen Zivilist und Kämpfer, sowie das Geschäft mit
und um den Krieg sind die Konsequenzen.
Der Verlust des staatlichen Gewaltmonopols
lässt sich damit erklären, dass wie Eppler dies nennt, es zu einer
Erosion von „oben“ und „unten“ kommt. Eine Privatisierung „von oben“ bedeutet,
dass das staatliche Gewaltmonopol an private Sicherheitsfirmen (z. B. Blackwater
im Irak) oder Paramilitärs (so geschehen durch Großgrundbesitzer
in Kolumbien) abgegeben wird, welche schon oft wegen ihres rücksichtslosen
Vorgehens mediale Popularität erlangten, „von unten“, dass die Bürger
die Gewalt zur Herstellung innerer Sicherheit in die Hand nehmen und Selbstjustiz
üben. Diesem Zerfall des Gewaltmonopols, folgt meist ein Zerfall jeglicher
gesellschaftlicher Werte. Eugen Sorg, Reporter der Schweizer Weltwoche, interviewte
dazu Hassan, welcher in Somalias Hauptstadt Mogadischu als „Freelance Gunman“
arbeitet: „Denkst du manchmal daran, dass Stehlen etwas Schlechtes ist?“ – „Wir
wissen, dass es schlecht ist“, sagt er, ohne zu zögern, „aber es gibt kein
Gesetz in diesen Zeiten. Jedes Tabu wird aufgegessen.“ (Eugen Sorg: Stadt ohne
Gesetz, in: Weltwoche (CH) 15/04.) Besonders Kinder leiden unter dieser Gewaltsozialisierung
und dem Einsatz als Kindersoldaten, weshalb die Auswirkungen neuer Kriege nur
durch intensive (sozialpädagogische und psychologische) Maßnahmen
und über lange Zeiträume reguliert werden können.
Zusammen mit dem Niedergang bzw. der Prohibition
gesellschaftlicher Werte konsolidiert sich eine neue Oberschicht skrupelloser
Warlords, wie z. B. Charles Taylor in Nigeria, die ihren Reichtum und ihre Macht
durch das Geschäft mit dem Krieg mehren. Es entsteht eine regelrechte Kriegswirtschaft,
in deren Fokus u. A. der Handel mit Ressourcen, Waffen, aber auch Menschen steht:
„In diesen Kriegsökonomien haben sich die Prioritäten geändert.
Über den Einsatz der militärischen Mittel entscheiden nicht mehr politische
Zielsetzungen, sondern Bereicherung zum Ziel der Gewalt und die Gewalt zur notwendigen
Bedingung der Bereicherung.“ (Klaus Schlichte: Die Ökonomie zeitgenössischer
Kriege, in: Vierteljahrsschrift für Sicherheit und Frieden 1 (1997), S.
20.)
Aber nicht nur innerhalb der Länder,
auch jenseits der direkten und indirekten Grenzen, hat dies im Zuge der Globalisierung
gravierende Folgen: Während direkte Nachbarn meistens in die Konflikte
hineingezogen werden, profitieren Waffenproduzenten und Sicherheitsunternehmen
in der Ersten und Zweiten Welt. „[E]s werden gigantische Ressourcen zur Verfügung
gestellt, es wird geforscht, wie Menschen am effektivsten bekämpft und
getötet werden können, es existiert eine weltweite Kriegsindustrie.“
(Andreas Herberg-Rothe: Der Krieg. Geschichte und Gegenwart. Frankfurt a. M.,
2003, S. 86.)
In Sin
City finden sich zahlreiche
Analogien, die für den Wandel dieses Begriffs stehen: Der düstere
Moloch ist ein omnipräsenter Kriegsschauplatz, auf dem das hobbessche Naturrecht
gilt: Gewalt ist das einzig probate Mittel, eigene Interessen durchzusetzen,
selbst für die positiv konnotierten Charaktere. Es existiert keine Garantie
von Sicherheit durch staatliche Institutionen, ganz im Gegenteil ist ein erheblicher
Teil der exekutiven Organe an der Erosion der Werte beteiligt (u. A. Bob und
Jackie Boy), wenn es denn überhaupt jemals demokratische Strukturen gegeben
hat. Das Machtvakuum wird „von unten“ besetzt durch kriminelle Banden und Bürgerwehren
(zu denen sich die Prostituierten in Old Town zusammenschließen), sowie
„von oben“ durch Söldner (von denen Dwight beim Abtransport der Leiche
Jackie Boys attackiert wird) und skrupellose Kriegsprofiteure, wie die Familie
Roark, welche ihre Macht lediglich zu ihrem Vorteil und zur persönlichen
Bereicherung nutzen: „Macht entsteht nicht durch eine Marke oder eine Knarre,
Macht entsteht wenn man lügt. Lügen im großen Stil und nach
ihrer Pfeife tanzt die Welt.“ (Senator Roark)
Allen Protagonisten ist, wie auch in den
privatisierten, ökonomisierten Konflikten, an einem Erhalt des Status Quo
gelegen, da ihre Macht und die Mehrung dieser auf der Konfliktsituation beruhen:
Die Roarks, die Banden, aber auch die Bürgerwehr von Prostituierten, die
einen offenen Konflikt vermeiden will, aber selbst die positiv besetzten Figuren,
deren Rolle durch den Konflikt konsolidiert wird.
Deren Opfer kann quasi jeder sein, eine
Unterscheidung zwischen Kämpfer und zu schützendem Zivilist existiert
nicht. Kennzeichnend für einen neuen Krieg in Sin
City ist auch die Tatsache,
dass der Konflikt mit kleinen billigen Handfeuerwaffen oder mit Klingen (wie
Miho (Devon Aoki), die mit Schwertern kämpft) ausgetragen wird – Low-Tech
statt High-Tech wird auch bei vielen Neuen Kriegen in Afrika bevorzugt eingesetzt,
da diese preiswert und nahezu unbegrenzt verfügbar sind; so nutzten die
Hutu in Ruanda v. a. Macheten um die 800.000 bis 1.000.000 Tutsi zu ermorden.
Die Comicverfilmung Sin
City steht demnach mit
der Darstellung einer pathologischen Gesellschaft latent und dennoch prototypisch
für die modernen Konflikte dieser Welt. Kennzeichnend ist der permanente
Krisenzustand, eine Gesellschaft und ein System, die von zwei Seiten in die
Zange genommen werden, positive Leitfiguren sind nicht auszumachen, ganz im
Gegenteil sind die gesellschaftlichen Eliten massiv an der Erosion des Systems
beteiligt, indem sie ausschließlich eigene Interessen verfolgen, und auch
die „Guten“ sind keine Engel, sondern nur Teil des Teufelskreises der Gewalt.
Dabei unterstützt die fragmenthafte und
unstete bildliche Darstellung und der Ursprung aus dem Comic diese Analyse.
Die Politikwissenschaft diskutiert zwar
zahlreiche Lösungsansätze dieses Dilemmas, z. B. eine (militärische)
Stärkung der Uno oder eine Universalisierung der in Kants „Zum ewigen Frieden“
propagierten Werte Toleranz, Multikulturalität und letztlich Demokratie,
die sogenannte Global Governance. Aber dafür bleibt in der sinistren und
eschatologischen „Stadt der Sünde“ kein Platz.
Philip Baum
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.cinepolitik.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Sin City
USA 2005 - Regie:
Robert Rodriguez - Darsteller: Bruce Willis, Clive Owen, Jessica Alba, Rosario
Dawson, Benicio Del Toro, Mickey Rourke, Brittany Murphy, Elijah Wood, Josh
Hartnett, Jaime King - FSK: keine Jugendfreigabe - Länge: 124 min. - Start:
11.8.2005
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