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Sisters
– Schwestern des Bösen
Hommage
an Hitchcock - nur teilweise gelungen
Es ist das Unvorhergesehene und das Unvorhersehbare,
was Brian de Palma ("Carrie", 1976; "Die
Unbestechlichen",
1987; "Carlito's
Way", 1993; "Mission
Impossible", 1996)
in einem seiner frühen Filme zum Gegenstand eines Psychohorrors gemacht
hat. Man könnte es auch Schicksal nennen - eher ist es die Art von Zufall,
dessen Folgen man nicht abschätzen kann. De Palma ist ein Bewunderer Hitchcocks;
und doch ist der Vergleich von "Sisters" etwa mit "Psycho", den manche angestellt haben, doch
etwas weit hergeholt. Vor allem die Überraschungsmomente halten sich in
"Sisters" im Vergleich zu "Psycho" und vielen anderen Hitchcock-Filmen
doch sehr in Grenzen. Die Handlung ist oft vorhersehbar - in dem Umfang, wie
sie für die Beteiligten unvorhersehbar ist.
So trabt der junge Phillip Woode (Lisle
Wilson) schnurstracks in den Tod - ohne auch nur das Geringste zu ahnen. Er
verliebt sich in die junge Danielle (Margot Kidder), die er bei einer Fernsehshow
kennen gelernt hat - bei einem Experiment: Sie spielt eine blinde Frau, die
sich auszieht, er einen Mann, der dies zufällig beobachtet. Und die Kandidaten
sollen nun raten, ob er sich dem Voyeurismus hingibt oder abwendet. Er wendet
sich ab - und nach der Show, bei der er ein Dinner zu zweit in einem Nobelrestaurant
gewonnen hat, Danielle zu. Eine Liebesnacht, ein Gang zur Konditorei, eine Torte
mit der Aufschrift "Glückwunsch für Danielle und Dominique"
- und schon findet er einen entsetzlichen Tod durch etliche Stiche mit einem
Messer, mit dem Danielle eigentlich die Torte anschneiden sollte.
Schon hier wird dem Betrachter die Situation
deutlich vor Augen geführt: Die junge Danielle schluckt Pillen, Phillip
lässt die letzten dieser Pillen - ohne zu ahnen, wofür sie gut sind
- in den Abguss fallen. Und als er zurück ist von der Konditorei, hat sich
Danielle in Dominique verwandelt, ihre Zwillingsschwester, das mordende alter
ego, mit der Danielle einmal im wahrsten Sinn des Wortes eng verbunden war.
Natürlich ist Danielle nicht Dominique - aber das Böse ihrer vor einem
Jahr verstorbenen Schwester lebt in ihr fort - wenn sie nicht die Pillen nimmt
- oder ist es das Böse, das aus ihr selbst kommt? -, die ihr ihr Ehemann,
der Psychiater Emil Breton (William Finley) verschrieben hat.
Danielle - das ist die Flüchtende
vor sich selbst, die Angsterfüllte, die ihre ganze Wut, ihre verdrängten
Urängste mit Mord zu töten versucht.
Die andere Geschichte ist die der Journalistin
Grace Collier (Jennifer Salt), die den Mord von ihrer gegenüberliegenden
Wohnung aus beobachtet hat - der aber niemand glaubt, weil Emil die Spuren samt
der Leiche Phillips hat säuberlich verschwinden lassen. Und Grace hat wegen
ihrer kritischen Berichterstattung über Cops nicht gerade Sympathie bei
dem ermittelnden und dann schnell nicht mehr ermittelnden Detective Kelly (Dolph
Sweet). Fortan ermittelt sie selbst. Grace ist die personifizierte Ungläubige,
die sich nichts vormachen lässt: Was sie gesehen hat, hat sie gesehen.
Und private eye Larch (Charles Durning) soll ihr dabei helfen, das Gesehene
auch für andere sichtbar zu machen ...
Der Zufall und das für die einzelnen
Beteiligten Unvorhersehbare reagiert weiter - nur für den Zuschauer nicht,
der sich in diesem Punkt wiederum an Hitchcock erinnern mag - etwa an "Frenzy", einen Film, bei dem wir immer
schon mehr wissen als die Beteiligten - der Mörder, der unschuldig Verdächtigte,
der Polizist ... Es gibt nur eine Person, die dieses Gesetz des Unvorhersehbare
durchbrechen will: Grace, die nicht locker lässt, die nicht verzweifelt,
die schnurstracks dann aber auch in eine Falle läuft - und trotzdem nicht
aufgibt, selbst, als es zu spät zu sein scheint.
De Palma zeigt uns Danielle als eine schizoide
Persönlichkeit, die das Schöne, Erhabene, Menschliche genauso in sich
vereinigt wie das Brutale, Mordende, Kaltblütige. Neben ihr, hinter ihr
steht ein unangenehm aussehender und wirkender Mann, Emil, dessen schütteres
Haar und große Brille abweisend wirken - ein Mann, der Danielle nur schützen
will, allerdings mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen und ebenso
ein Opfer des Unvorhersehbaren wird. Aber im Unterschied zu Phillip, den die
Zuneigung in die tödliche Falle tapsen lässt, ist es bei Emil der
Drang zum Vertuschen, zum Verbergen des furchtbaren Geheimnisses dieser jungen
Frau, die ihm zum Verhängnis wird. Die Spannung des Films - mag sie auch
nie so ein Suspense sein wie bei Hitchcock - erwächst aus diesem Wissen
des Zuschauers in der Differenz zur Unwissenheit der Akteure. Selbst Danielle
ist nur sie selbst, wenn sie mordet. Auf alles, was dazu führt, hat sie
keinen Einfluss: Die Pillen sind weg, Emil hält sie in seiner Klinik gefangen
- all das geschieht ohne ihren Willen, ohne dass sie eine Wahl hätte.
Die Szene, die zum Mord an Phillip führt,
die des Einbruchs von Larch in der Wohnung Danielles und die in der Klinik Emils
gehören zu den spannenden Szenen des Films. Andererseits gelingt es de
Palma nicht wirklich, an die Techniken Hitchcocks so heranzukommen, dass der
Film über 93 Minuten einen Spannungsbogen aufrecht
erhalten könnte. Auch z.B. der Einsatz der Splitscreen-Technik ändert
daran nichts Wesentliches. Der dramaturgische Effekt, den Zuschauer immer einen
Schritt voraus sein zu lassen, ist bei Hitchcock in punkto Suspense bis zur
Vollkommenheit ausgereizt. Man denke etwa an die Szene, als der Mörder
in "Frenzy" verzweifelt auf einem Kleinlaster seine Krawattennadel
sucht. Und noch ein Moment kommt in solchen Szenen bei Hitchcock zum Tragen:
die Ironie, wenn etwa Bob Rusk in dieser Kartoffel-Szene den Fuß seines
Opfers im Gesicht hat. Auch die Morde im Vergleich beider Filme sind völlig
unterschiedlich inszeniert. Der Mord an Brenda in "Frenzy" mit der
Krawatte ist so fürchterlich und so ironisch zugleich, dass allein daraus
eine gruselige Spannung erwächst. Der Mord an Phillip ist nur blutrünstig
- sonst nichts.
Man kann de Palmas "Sisters"
zweimal sehen - aber beim zweiten Sehen ist der Film dann doch eher schon fast
langweilig. "Frenzy" kann ich immer wieder sehen - obwohl ich die
Handlung in- und auswendig kenne.
So bleibt "Sisters" ein einmal
sehenswerter, aber insgesamt in sich nicht stimmiger Film - nicht was die Handlung
selbst betrifft, aber was das Spannungsverhältnis betrifft zwischen dem,
was der Zuschauer den Akteuren voraus hat,
und wie die Akteure handeln. Alles läuft am Schluss auf zu viele Zufälle
und oberflächliche dramaturgische Kniffe hinaus. Warum Grace von Emil psychisch
manipuliert wird, damit sie sich an den Mord an Phillip nicht erinnern soll,
bleibt unerfindlich. Es spielt keine Rolle mehr, nachdem Emil tot, Danielle
in Polizeigewahrsam und die ganze Geschichte der Zwillinge aufgedeckt ist.
Die Hommage an Hitchcock ist also nur
bedingt gelungen. Daran ändert die zweifellos geniale Musik Bernard Herrmanns
auch nichts.
DVD
Format:
Dolby, HiFi Sound, PAL
Sprache: Deutsch (Dolby
Digital 1.0), Englisch (Dolby Digital 1.0)
Region: Region 2
Bildseitenformat: 16:9
FSK: Freigegeben ab 18 Jahren
Studio: Euro Video
DVD-Erscheinungstermin:
14. Juli 2005
Produktionsjahr: 1972
Leider wurde zudem für
die DVD das Bild nicht überarbeitet, so dass die typischen negativen Effekte
solch alter Filme in Schärfe usw. auftauchen. Die DVD enthält weiterhin
drei - schlecht lesbare - Texte als Extras, u.a. einer zum Regisseur mit einigen
ganz guten Informationen. Daneben findet man etwas über 30 Textseiten zum
Film mit aufschlussreichen Informationen zu wirklichen siamesischen Zwillingen
und einigem anderen.
Ulrich Behrens
Dieser Text ist zuerst erschienen in: follow me now
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Sisters
- Schwestern des Bösen
(Sisters)
USA
1973, 93 Minuten
Regie:
Brian de Palma
Drehbuch:
Brian de Palma, Louisa Rose
Musik:
Bernard Herrmann
Director
of Photography: Gregory Sandor
Montage:
Paul Hirsch
Produktionsdesign:
Gary Weist
Darsteller: Margot Kidder (Danielle Breton / Dominique Blanchion), Jennifer Salt (Grace Collier), Charles Durning (Joseph Larch), William Finley (Emil Breton), Lisle Wilson (Phillip Woode), Dolph Sweet (Det. Kelly)
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