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The Social Network
Schuss/Gegenschuss
Ein stylishes Sittenbild,
das um die nicht sehr ergiebige Frage kreist, ob Facebook-Gründer
Mark Zuckerberg nun ein Arschloch ist oder nicht; außerdem ein Dialogfeuerwerk
a la Aaron Sorkin: das ist David Finchers "The
Social Network".
Von Null auf Hundert beschleunigt "The Social Network" in Millisekunden. Selten hatte man die Beschreibung
Schuss/Gegenschuss als filmische Auflösung eines Dialogs im Schnitt von
Gesicht zu Gegengesicht so wörtlich zu nehmen wie in der Szene, mit der
David Finchers Film seine Beschreibung eines Kampfes eröffnet.
Rede und Gegenrede peitschen über den Tisch vor dem Hintergrundlärm
einer Kneipe in Cambridge, Massachusetts. Einander gegenüber sitzen hier
Mark Zuckerberg und seine von hier an Ex-Freundin, die ihm am Ende des Gefechts
die Worte entgegen schleudert, die mancher als moralische Summe, mancher als
Ausgangspunkt für Erwägungen zur Charakterbewertung des Protagonisten
nimmt: "Du wirst reich und erfolgreich sein. Aber du wirst durchs Leben
gehen und glauben, die Mädchen mögen dich nicht, weil du ein Geek bist. Ich will dir von ganzem Herzen sagen, dass das nicht wahr ist.
Es wird deshalb sein, weil du ein Arschloch bist."
99 Takes, war zu lesen, hat David
Fincher von dieser Szene gedreht. Das ist nicht Kino, sondern
Dressur. Der Dialog ist kein Dialog, sondern hochgespannte Wortakrobatik. Aaron
Sorkin, der Autor, kommt vom Theater, mit dem später verfilmten "Eine
Frage der Ehre" gelang ihm der Durchbruch. Dann schuf er "West Wing",
die Serie um den Mitarbeiterstab, der die Entscheidungsfähigkeit des US-Präsidenten
sichert und organisiert. Die Serie hatte für die zugespitzten Dialogszenen
Sorkins ihre eigene Form gefunden. Die dialogisch strukturierten Debatten um
die Durchsetzung der richtigen Politik und die richtige Politik der Durchsetzung
wurden im "Walking and Talking" als kamerabegleitete rasende Peripatetik
in den Innenräumen der Macht vor Augen geführt. (Hier als Parodie.)
Fincher verfährt anders. Man durfte sich im Vorhinein wundern,
was einer wie er, ein Stilist vor dem Herrn, mit den zugespitzten und jede Sekunde
nach Aufmerksamkeit verlangenden Sorkin-Dialog-Textmassen anfangen würde.
Der Prolog führt vor: Fincher sucht die Unterordnung
auf höchstem Niveau. Er hat, ganz anders noch als zuletzt in "Zodiac" (vom Totalausfall "Benjamin Button"
auf immer zu schweigen), nicht die Zeichensuche nach Spuren historischer Wirklichkeit
in Szenen und Bildern im Sinn. "The Social Network" ist
zunächst einmal eines: filmische Erarbeitung von Text. Bei Sorkin ist jeder
Satz stets Verdichtung. Fincher ist bemüht, den Grad der Verdichtung des Sorkin-Texts
durch hoch konzentrierte und allerdings nach Möglichkeit elegante Inszenierung
nicht zu unterschreiten. Auf eigene inszenatorische Mätzchen verzichtet
er, setzt nur gelegentlich einen dann wortlosen eigenen Höhepunkt, etwa
mit einer Ruderregatta in England. Der Widerspruch zwischen David Finchers Willen zum Stil und Sorkins Willen zur totalen Domination jeden Bilds
durch das Wort verschwindet nicht, kann nicht verschwinden, bleibt aber unterschwellig,
als weitgehend verleugneter. Der Endeffekt dieses Widerspruchs ergibt sich erst
in der Summe des Films: Er findet zu dem, was er zeigt, keine Haltung.
So recht zu sich kommt Aaron Sorkins Dialogschlachtkunst
in der Prozessform: Er braucht zwei Parteien, die verbale Auseinandersetzung
als Fight Club, das Hin und Her der Positionen, die aggressive
Zuspitzung in Dialogen, bis die Funken zu sprühen beginnen. Im Fall von
"The Social Network" spielt ihm die Wirklichkeit sehr in die
Hände. Zwei juristische Verhandlungen um Geldforderungen angeblich von
Mark Zuckerberg ausgebooteter einstiger Mitstreiter strukturieren den Film.
Sorkin setzt eine Gegenwart und blickt von dieser aus auf die Vorgänge
der Facebook-Gründungsjahre zurück. Nicht im Ernst mit
dem Blick des Juristen, sondern mit dem absichtlich diffus bleibenden Blick
des Moralisten, der in rechtliche Fragen solche nach der Moral menschlichen
Handelns stets so einzupflegen versteht, dass er am Ende nicht als Moralprediger dasteht.
Diese Arbeit an der eigenen Selbstvercleverung
ist in der Regel erfolgreich, trägt aber einen weiteren Widerspruch in
sich: Sorkin stellt Moral-Fragen, deren Relevanz er unterstellt, drückt
sich aber um die Antwort. Er ist - und das gilt eigentlich grundsätzlich
für seine Bücher - ein Manipulator, der die Lage der Dinge so hinzudrehen
versucht, dass seine häufige Windelweichheit den Anschein des Verzichts
auf Zuschauerbevormundung bekommt. Die Frage, die "The Social Network"
auf diese Weise stellt und zugleich nicht stellt: Ist Mark Zuckerberg wirklich
ein Arschloch? Gibt ihm der Erfolg, gibt ihm die eigene Brillanz recht? Die
Reaktion der Betrachter auf diese Frage fällt, man muss nur die Kritiken
lesen, extrem unterschiedlich aus. Die an sich nahe liegende Antwort "Wen
kümmert’s?" verweigern Buch und Film unausdrücklich,
aber entschieden. Über Facebook selbst, das Netz, die Schaffung virtueller Sozialwirklichkeiten
hat der Film, und ist auch noch stolz darauf, nichts zu sagen. Er will, durchaus
altmodisch und eigentlich durchaus uninteressant, das Sittenbild.
"The Social Network" ist
aber, man muss es so sagen, ein Stück filmischer Alchemie: ein haltungsloser,
unsympathischer, uninteressanter Film, der riesigen Spaß macht. Das hat
mehr mit David Finchers als mit Aaron Sorkins Herangehensweise zu tun. Fincher nämlich ist offenkundig von dem, was er zeigt, fasziniert. Zuallererst
vom Sorkinschen Textkunstwerk, a fortiori aber auch von seinen
Figuren und unter diesen dann doch am allermeisten von Mark Zuckerberg. Der
geht im Film wie wohl im Leben ohne jede Dämonie und stets geheimnislos
über Leichen. Nur führt er im Film - und Jesse Eisenberg ist grandios
darin, wie er das umsetzt - anders als im Leben die bewährte Sorkin-Schnellfeuerwaffe
im Mund. Fincher stilisiert so mit Sorkins Hilfe die Streitereien einer
Handvoll außerordentlich geistloser, aber natürlich schlauer Harvard-Jungs
zum Königsdrama und setzt dabei intelligenterweise mit dem
ihm eigenen Pathos des Stylischen (und mit der Hilfe des atemberaubend alles vor sich
hertreibenden Soundtracks von Trent Reznor) immer wieder das einzige in Szene,
was daran wirklich Größe besitzt: die Zahlen. In die Höhe schnellende
Nutzerzahlen, immense Geldforderungen, sich überschlagende Aussichten auf
Gewinn: Abermillionen, Abermilliarden.
Am nacktesten spricht dies
Pathos der Zahlen der Schurke aus, den das Königsdrama natürlich braucht:
Sean Parker (ebenfalls toll: Justin Timberlake), der als komplett
skrupellos entworfene Napster-Gründer, der den redlichen Eduardo Saverino verdrängt. Der, ein Harvard-Kommilitone, stand Zuckerberg anfangs
als Kreditgeber zur Seite, wurde dann aber auf Parkers Betreiben sehr unsanft
aus dem Unternehmen befördert und ist nun einer der Kläger gegen Zuckerberg.
Für ihn allerdings kann sich der Film kaum erwärmen. Nicht grundsätzlich
anders sieht das mit den anderen Zuckerberg-Widersachern aus: einem geschniegelten
Zwillingsbrüderpaar namens Winklevoss (2 x Arnie Hammer)
aus bestem Haus, mit besten Manieren und besten Verbindungen. Auf ihrer Idee,
behaupten sie, beruht eigentlich Facebook.
Sorkin und Fincher zeichnen die beiden
als Streber und Witzfiguren, die aufgrund ihrer Upper-Class-Herkunft
und -Privilegien gegen den Underdog Zuckerberg nur schlecht aussehen können.
Das ist die Königsdrama-Falle, in die der Film wieder und wieder sehr lustvoll
tappt. Er braucht die Klischees und findet über eine historische Wirklichkeit
mit Fleiß nichts wirklich Aufschlussreiches heraus. Alles in allem ist
"The Social Network" darum nicht mehr und nicht weniger als
eine große Mythisierungs- und Aufbauschaktion, die dem
Zeitgeist am ehesten in der eigenen Haltungslosigkeit nahesteht. Mark Zuckerberg
hat den Film mit dem engeren Facebook-Mitarbeiter-Kreis inzwischen, ließ er verlauten,
gesehen. Man darf davon ausgehen, dass er sich ausgesprochen sympathisch war.
Und über den Jubel der Film-Produzenten angesichts der in Filmkreisen stolzen
Summe von 23 Millionen Dollar Einspiel am Startwochenende hat er sicher gelacht
und gelacht.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
The Social Network
USA 2010 - Regie: David Fincher - Darsteller:
Jesse Eisenberg, Andrew Garfield, Justin Timberlake, Brenda Song,
Rashida Jones, Joseph Mazzello, Rooney Mara, Malese Jow, Armie Hammer, Max Minghella - FSK: ab 12 - Länge: 121 min. - Start: 7.10.2010
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