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Söhne
Der
doppelte Rainer
In seinem neuen Film "Söhne"
dokumentiert Volker Koepp die Geschichte einer deutschen Familie
Einen Mann wie Rainer Paetzold gibt es
in einem gut organisierten Land wie der Bundesrepublik Deutschland selten. Er
weiß nicht, wie er eigentlich heißt, noch, wo und wann er geboren
ist. Die Geburtsurkunde teilt er sich mit Jerzy Choinacki aus Heidelberg, der
eigentlich Joachim Rainer Paetzold heißt, aber lange Jahre in Polen gelebt
hat. Es gab eine Zeit, sagt Rainer Paetzold, "da gab es mich gar nicht".
1945, in den Wirren des letzten Kriegsjahres, wurde er durch eine Verwechslung
zum Teil der Familie, deren Schicksal Volker Koepp in seinem neuen Film "Söhne"
rekonstruiert.
Fünf Männer, alle schon über
sechzig, erzählen die komplizierte Familiengeschichte, die vor dem Zweiten
Weltkrieg in Westpreußen beginnt und sich von dort aus über Polen
und Deutschland erstreckt. 1938 wurde Klaus Paetzold in Danzig geboren, zwei
Jahre später sein Bruder Wolf auf dem Gut Heinrichshof unweit der Ostsee.
1942 kommt Hans Friedrich zur Welt, und 1944 schließlich noch Joachim
Rainer. Der Vater ist im Krieg, die Mutter lebt mit dem Großvater und
den Kindern auf dem Gut. 1945 trifft sie unter dem Druck der Ereignisse eine
folgenreiche Entscheidung: Sie flüchtet mit den zwei ältesten Jungen
nach Westen. Die beiden jüngeren Söhne bleiben zurück - das ist
der Riss, der durch diese Geschichte geht.
Noch 1945 kehrt Elisabeth Paetzold in
einer waghalsigen Aktion illegal nach Polen zurück, um nach ihren Söhnen
zu suchen. Sie findet Rainer, kommt vorübergehend ins Gefängnis, kann
aber schließlich mit dem wiedergefundenen dritten Kind nach Westdeutschland
zurück. Es dauert viele Jahre, bis sich erweist, dass Rainer der "falsche
Sohn" ist. In diesen Jahren ist er aber ein richtiger Paetzold geworden,
der perfekte kleine Bruder, wie Wolf sich erinnert. Mühsame Behördenarbeit
stellt nach dem Krieg die Familienverhältnisse allmählich richtig:
Hans Friedrich lebt unter dem Namen Stanislaw Loskiewicz in Warschau, Joachim
Rainer (Jerzy) ist seinen Brüdern irgendwann nach Baden-Württemberg
gefolgt und hat dort wieder geheiratet.
Volker Koepp beginnt "Söhne"
mit einem symbolischen Bild: Fünf Männer braucht es, um einen uralten
Kastanienbaum auf dem Gut Heinrichshof in Celbau zu umfassen. Die vier "natürlichen"
Stammhalter reichen nicht aus, es braucht den "falschen" Rainer. Der
Film bleibt offen in Hinsicht auf Milieutheorien und Abstammungsideologien:
Bei allen fünf Paetzolds sind Ähnlichkeiten und Eigenheiten gleich
verteilt, die beiden älteren Brüder, die im wohlhabenden Südwesten
Deutschlands aufwuchsen, teilen habituelle Eigenschaften, die beiden polnischen
Paetzolds scheinen einander stärker zu ähneln. Die Versuchung liegt
nahe, aus Physiognomien die Geschichte lesen zu wollen, der Film bestärkt
dagegen gerade die Skepsis.
Wirklich gemeinsam haben die "Söhne"
vor allem, dass sie anscheinend vollständig ohne Ressentiment sind. Wenn
Volker Koepp nicht wesentliche Elemente ausgespart hat, dann bilden diese fünf
Männer, von denen einige gute Gründe hätten, sich von der Geschichte
benachteiligt zu fühlen, eine versöhnliche Gemeinschaft. Für
eine politische Agitation in eigener Familiensache oder gar im Sinne der Vertriebenenverbände
sind sie nicht zu haben, dazu müssten sie ohnehin "die Wiederherstellung
des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1914" fordern, wie sie einmal
ironisch anmerken. Der Film "Söhne" besteht fast ausschließlich
aus Interviews und Schauplätzen, ganz sparsam setzt Volker Koepp die wenigen
historischen Fotografien ein - das Panorama, das sich zwischen Vergangenheit
und Gegenwart und bis in die Enkelgeneration hinein dabei entfaltet, ist enorm
detailreich und anschaulich und bestätigt den Regisseur als einen der großen
Geschichtsschreiber in Deutschland.
Bert Rebhandl
Dieser Text ist zuerst erschienen
in der: taz
Söhne
Deutschland
2007 - Regie: Volker Koepp – Mitwirkende: Klaus Paetzold, Wolf Paetzold, Stanislaw
Loskiewicz (Hans Friedrich Paetzold), Rainer Paetzold, Jerzy Choinacki (Joachim
Rainer Paetzold) - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge: 111 min.
- Start: 31.5.2007
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