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Song From the Forest
Mitte der 1980er-Jahre hörte der Musik-Ethnologe Louis Sarno
(Jahrgang 1954) erstmals die eigentümlichen, polyphon-hypnotischen Gesänge
der Bayaka-Pygmäen, die ihn magisch anzogen. Ausgerüstet mit einem
Aufnahmegerät und 500 US-Dollar reist Sarno in die Zentralafrikanische
Republik, um sich vor Ort mit der mysteriösen Musik auseinander zu setzen.
Die Reise zu den Bayaka wurde für Sarno zu seinem ganz privaten »Walden«-Erlebnis,
denn der Musikologe beschloss, sein Leben fortan mit seinem Studienobjekt in
den Wäldern zu verbringen. Sehr selten reiste er in sein altes Leben zurück,
wo gute Freunde wie der Filmemacher Jim Jarmusch noch heute über die Radikalität
von Sarnos Lebensentwurf staunen.
Gleich zu Beginn seines Filmdebüts macht der Reporter und Reiseschriftsteller
Michael Obert mit ein paar Einstellungen und Tönen klar, welche Faszination
vom Regenwald ausgeht, wenn er mit einer Kamerafahrt das Surren und Summen mit
den Gesängen der Bayaka mischt und dann die »Messe von vier Stimmen«
des Renaissance-Komponisten William Byrd dazu erklingen lässt – ein echter
Werner-Herzog-Effekt. Dazu erzählt Sarno, wie es ihm nach einiger Zeit
gelungen ist, das Vertrauen der Bayaka so weit zu erlangen, dass sie ihn bei
sich auf- und als Gast auf ihre Waldgänge mitnahmen. Sarno lernte die Bayaka-Sprache,
heiratete eine Bayaka und bekam einen Sohn namens Samedi, dem er angesichts
einer schweren Erkrankung versprach, ihn, wenn die Zeit reif sei, auch die väterliche
Welt zu zeigen. Trotzdem, daran lässt der Film keinen Zweifel, ist Sarno
immer noch ein Außenseiter in der Gemeinschaft der Bayaka.
Obert mischt Alltagsimpressionen vom Leben im Regenwald mit Impressionen
einer Reise in die USA, in deren Verlauf neben Jarmusch auch ein Bruder Sarnos
und eine frühere Lebensgefährtin zu Wort kommen. Als die Reise beginnt,
ist Samedi 13 Jahre alt und damit in einem Alter, in dem er bei den Bayaka heiraten
könnte. Insofern hat die Reise in die USA auch etwas von einem Initiationsritus,
zumal Samedi von seinem Vater Geschenke für die Rückkehr einfordert,
die für einen Mann im Regenwald nützlich sind. Immer wieder kreist
der Film, fast nebenbei, um die prinzipielle Einsamkeit Sarnos, der in beiden
Welten ein Fremder zu sein scheint – und dabei wider Willen auch Zeuge des allmählichen
Untergangs einer alten Kultur wurde. Sarno hat mehr als 1000 Stunden der Gesänge
und Rhythmen der Bayaka archiviert, aber vieles von dem, was er dokumentiert
hat, ist für den Alltag bereits verloren. Zudem ist der Lebensraum der
Bayaka durch Abholzung und Raubbau bedroht: Der Wald ist krank, liefert kaum
noch Nahrung und stellt uralte, überlieferte Riten existenziell in Frage.
Man kann sich auch nicht des Eindrucks erwehren, dass Samedi den US-amerikanischen Lifestyle, den er kurz kennenlernen darf, nicht als so entfremdet erfährt und bewertet, wie es sein Vater tat und noch immer tut. Im Verlauf der Reise sieht man den seit langem schwer kranken Sarno einmal in einer stummen Aufnahme aus dem Fenster auf die Stadt blicken; im Regenwald sieht man ihm beim Radiohören zu. Einmal erzählt er, dass er so lange im Dschungel unterwegs war, dass er den Untergang der UdSSR verpasst und davon nur aus dem Äther erfahren habe. Insofern hat »Song of the Forest« etwas von einer Elegie, denn einst werden von der Kultur der Bayaka und auch von der Existenz von Louis Sarno nur noch die Bänder zeugen, die Gesänge konservieren, die dann keiner mehr singen können wird. Ist der Aussteiger Louis Sarno letztlich ein Romantiker?
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: FILMDIENST 19/2014
Zu diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere Texte
Song from the Forest
Deutschland, USA, Zentralafrika 2014 - Start(D): 11.09.2014 - Regie: Michael Obert - Buch: Michael Obert - Produktion: Alexandre Tondowski, Ira Tondowski - Kamera: Siri Klug - Verleih: Real Fiction - Länge: 98 Min - FSK: keine Beschränkung
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