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Sonic
Mirror
Die
Trommel ist der Katalysator. Ohne die Trommel passiert gar nichts“, sagt der
Pianist William Cobham sr., der einst auf Familienfesten, Tanzabenden und Hochzeiten
aufspielte. Und der Tanz, ergänzt sein Sohn Billy, der sei der „sonic mirror“
des Klangs. Musik und Tanz gehörten schließlich zusammen. Mit seinem
neuen Musikfilm knüpft Mika Kaurismäki nahtlos dort an, wo „Moro No
Brazil“ (fd 35 286) und „Brasileirinho“ (fd 37 716) aufhörten. „Sonic Mirror“
erzählt von der Musik als Ausdruck kultureller Identität und als Medium
gelingender interkultureller und zwischenmenschlicher Kommunikation.
Es
geht in der betont subjektiven Dokumentation, die den berühmten Fusion-Schlagzeuger
Billy Cobham auf seinen Reisen begleitet, um die transatlantischen Spuren afrikanischer
Kultur, deren Erbe in der brasilianischen Musik, aber auch im Jazz, Blues und
Soul hörbar ist. Kenner hören immer mehr: Wo sich die Cobhams auf
der Basis von Ahnen- und Namensforschung ihrer nigerianischen Wurzeln versichern,
hört der nigerianische Musiker Chief Rabiu dem Schlagzeugspiel Cobham unmittelbar
dessen Herkunft aus der Yoriba-Kultur ab. Es geht aber auch um soziale Initiativen
und therapeutische Arbeit, in der Musik und Rhythmus wichtige Funktionen einnehmen;
und nicht zuletzt um die pure Freude des Musizierens, das Erlebnis der Kommunikation
mit anderen Menschen, die jenseits der Sprache möglich ist.
Man
sieht (kurze) Ausschnitte eines Konzerts mit Cobham, aber ungleich wichtiger
ist eine Reise ins brasilianische Salvador-Bahia, wo Cobham mit der afro-brasilianischen
Kulturgruppe Malê Debalê arbeitet, die den dortigen Straßenkarneval
prägt. Malê Debalê ist eine kulturelle wie auch sozial-politische
Initiative, richtet sich gegen Diskriminierung der afro-brasilianischen Bevölkerungsteile
und verlangt von den jungen Musikern gute Schulleistungen, aber auch, dass sie
nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Zur Belohnung dürfen sie Teil
von Malê Debalê werden. Kaurismäki begleitet die Kinder mit
der Kamera, interviewt Musiker und zeigt ausführlich, wie mit einfachen
Mitteln eine Trommel hergestellt wird.
Ihren
thematischen Schwerpunkt findet diese etwas rastlose Dokumentation jedoch erst,
als Kaurismäki Cobham in dessen Schweizer Wahlheimat begleitet, wo es um
die musiktherapeutische Arbeit mit Autisten geht. Hier nimmt sich der Film die
Zeit für Beobachtungen, die ihm sonst etwas abgeht. Auch fällt auf,
dass der Musiker Billy Cobham, der in diesem Rahmen ein Konzert mit befreundeten
nigerianischen Musikern gibt, deutlich in den Hintergrund rückt und Platz
schafft, um Eindrücke von der Arbeit mit gehandicapten Menschen zu sammeln.
Aber auch hier erweist sich der Verzicht auf einen Off-Kommentar als Manko,
weil der Film zwar beobachtet, aber seine Impressionen nicht in größere
Zusammenhänge stellt. So beeindruckend die Bilder sind, wenn sie zeigen,
wie authentisch die Patienten auf die Musik reagieren, so sehr gerät der
Film durch seine vornehme Zurückhaltung mitunter etwas tautologisch: Rhythm
is rhythm is rhythm. Anders
gesagt: „Music is the healing force of the universe“. Aber
das wusste schon Albert Ayler. Kaurismäki scheint zu viel und zugleich
zu wenig Material gehabt zu haben, als er „Sonic Mirror“ montierte.
Als
Zentrum eines abendfüllenden Films taugt Cobham nicht, aber auch das übrige
Material war offenbar nicht tragfähig genug. Ein Indiz dafür findet
sich in den letzten Minuten, wenn die Musik aus Brasilien plötzlich auch
in der Schweiz gedrehte Bilder untermalt. Ganz zum Schluss gibt es dann noch
einige Takte Big Band Jazz, diesmal aus Finnland. „Sonic Mirror“ hätte
etwas mehr Liebe und Aufmerksamkeit des Filmemachers verdient gehabt.
Ulrich
Kriest
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
Sonic
Mirror
Schweiz / Finnland / Deutschland 2008 - Regie: Mika Kaurismäki - Mitwirkende: Billy Cobham, Malê Debalê, Tunji Beier, Rabiu Ayandokun, Ron Reeves, Janne Murto, Martti Lappalainen, Randy Brecker - Fassung: OV - Länge: 79 min. - Start: 15.10.2009
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