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Soul
Kitchen
Schmetterlinge,
Frittierfett
In seiner Hamburg-Komödie "Soul Kitchen" will Fatih
Akin das Leben selbst zeigen: Blut, Schweiß, Fritten und die zarten Hände
einer Chiropraktikerin.
Ein
Mann will gar nicht nach oben. Eigentlich will Zinos (Adam Bousdoukos) nur behalten,
was er hat: Sein Restaurant "Soul Kitchen" mit nicht sehr feiner Adresse
in Hamburg-Wilhelmsburg und seine Freundin, die für feinere Adressen Journalismus
betreibt. Das Leben bzw. das Drehbuch aber wirft ihm Knüppel zwischen die
Beine. Die Freundin bekommt einen Job als Zeit-Korrespondentin
in Schanghai. Zinos ist ein Mann, der eigentlich auch gar nicht in den Osten
will. Und doch verspricht er der Freundin immerzu, er wolle ihr hinterher. Als
sähe er nicht, was die Zuschauerin sofort begreift, dass die beiden nicht
zueinander passen. Und das Restaurant wird, wie es der Zufälle viele wollen,
zum Spekulationsobjekt für einen zum erzschurkischen Kapitalisten entpuppten
Ex-Klassenkameraden (Wotan Wilke Möhring). Der wittert Rendite für
Immobilienbaugrund und spinnt wenig subtile Intrigen.
Dem
Mann, der nicht nach oben will; dem Mann des Backfischs und der Friteuse; dem
Mann, der seine Freundin nur noch per Skype in Schanghai begehren darf; diesem
Mann schneit, wie die Zufälle es wollen, ein exzellenter Koch von schwierigem
Charakter in die Küche. Der Koch heißt Cem (Birol Ünel), macht
die Gazpacho nicht warm und wirft, ist ihm danach, mit Messern. Er vertreibt
das Stammpublikum. Dann spaziert Zinos Bruder Illias (eher ungriechisch: Moritz
Bleibtreu) als Freigänger aus dem Knast ins Restaurant. Er ist spielsüchtig,
wirbelt wie im Western der Held den Revolver seinen Schlüssel. Immer, immer
wieder. Messerwerfen, Schlüsselwirbeln. Zinos erleidet einen Bandscheibenvorfall,
gerät in die zarten Händen einer Chiropraktikerin, in die nicht so
zarten Hände eines Wunderheilers, außerdem bahnt sich zwischen Illias
und der Kellnerin Anna (Lucia Faust) noch etwas an. Jemand stirbt, das Finanzamt
wird gefickt und wenn in der entschieden unvollständigen Nacherzählung
der Eindruck entsteht, dass Fatih Akin in seinen Film mehr Handlung gepackt
hat als in Knecht Ruprechts Sack Flöhe passen, dann muss man sagen: Stimmt.
Ständige
Flucht nach vorn. Das Gesetz, das diese Komödie sich gibt: bloß nicht
verharren, nur nicht zur Besinnung kommen, immer weiter, Wendung auf Wendung,
dann fallen die himmelschreienden Stereotypen vielleicht nicht so auf. Akin
setzt seinen Film, seine Figuren, seinen Plot unter Druck, aber nichts an diesem
Druck ergibt sich aus dem Film, den Figuren, dem Plot selbst. Alles Machination
eines Drehbuchautors, der zu keinem halbgaren Einfall "Nein" sagen
kann. Dann nämlich kommt die Freundin mit einem chinesischen Lover aus
China zurück. Dann nämlich wird der Ex-Klassenkamerad vom Finanzamt
gefickt. Dann nämlich holt den Bruder die Spielsucht ganz fatal ein. Dann
nämlich ist der Koch Cem weg. Dann nämlich schluckt Udo Kier einen
Knopf. Dann nämlich hat die Chiropraktikerin gar zarte Hände.
Der
Leitsatz der "Soul Kitchen"-Dramaturgie lautet offenkundig: "Wann
immer die Geschichte ins Stocken gerät, werfe ich eben alles wieder über
den Haufen." Nichts folgt aus etwas, alles, die Schauplätze, die Stereotypen
und was sie tun: reine Willkür. Was in Komödien ja ein Ding der Möglichkeit
ist, wenn sie diese Willkür zugleich reflektieren beziehungsweise um die
Künstlichkeit ihres Erzählens sichtlich wissen. Bei Akin aber wird
nie und nimmer etwas reflektiert und/oder sichtlich gewusst. Das Leben selbst
will er zeigen, Blut, Schweiß und Frittierfett, aber er lockt's, weil
er zur Form keine Idee hat, partout hinterm Ofen nicht vor. (Er hat, anfallsweise,
Inszenierungseinfälle, die man, wie im schlechten Regietheater, mit einer
Formidee nicht verwechseln darf.)
So
schubst er und schiebt er seine Figuren ohne Hintersinn, ohne doppelten Boden,
ohne eine Spur von Finesse über den kaum bespielbaren Acker, den dieses
Drehbuch darstellt. Nackt flitzen dafür die sehr simplen Lebensweisheiten
übers Feld: Geldgier böse, Familie wichtig, Zeit-Korrespondentin egoistisch.
Und im Grunde steckt hinter dem schwitzenden Leben, das Akin und der Film ohne
Pause behaupten, eine beträchtliche Lieblosigkeit - dem eigenen Handwerk,
aber nicht zuletzt den Figuren gegenüber, die in Wahrheit nicht sie selbst,
sondern nichts weiter als das sind, was sie darstellen sollen: das rohe Leben,
den Grundguten, den Süchtigen, den Geldgierigen, die sich durch den Tag
schlagende Künstlerin und so weiter.
Der
Zwischenton ist Fatih Akins Sache nicht. Was nicht so schlimm wäre, träfe
er überhaupt je einen Ton. Er spielt seine Geschichte aber wie ein Tauber
auf total verstimmtem Klavier, wenn auch, was es nicht besser macht, mit viel
Enthusiasmus, heftig und laut. Er hat sichtlich großen Spaß dabei,
was nichts daran ändert, dass man es als Zuschauer schnell nur noch schwer
erträgt. Man staunte schon beim böse missratenen Vorgänger "Auf
der anderen Seite",
wie um Gottes willen es sein konnte, dass Akins "Gegen
die Wand"
funktioniert hat - wohl deshalb, weil das ein Film war, in dem das Klavier aus
dem zehnten Stock eines Hauses Absatz um Absatz die Treppe hinunter saust und
poltert. Das ist die Sorte kaputter Performance, die Akin hinbekommt. In "Soul
Kitchen" jedoch marodiert er mit dem Feingefühl eines Nilpferds durch
eine Geschichte, deren behauptete Bauchgefühle reine Kopfgeburt bleiben.
Ekkehard
Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Deutschland 2009 - Regie: Fatih Akin - Darsteller: Adam Bousdoukos, Moritz Bleibtreu, Birol Ünel, Anna Bederke, Lucas Gregorowicz, Demir Gökgöl, Wotan Wilke Möhring, Pheline Roggan, Dorka Gryllus - FSK: ab 12 - Länge: 100 min. - Start: 25.12.2009
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