zur startseite
zum archiv
Das
Spinnennetz
Georg
Elser – Einer aus Deutschland
Pickeln
& Pinkeln
Bernhard Wicki (»Das Spinnennetz«)
und Klaus Maria Brandauer (»Georg Elser – einer aus Deutschland«)
erklären uns den Faschismus
Die Beilpicke sitzt bis zum Schaft in
der weißen Stirn; der Täter wartet, bis die Kamera ganz nah herangekommen
ist - dann reißt er das Eisen heraus, damit das Blut nach oben schießen
kann – auch dem Publikum ins Gesicht. Denn wer in Wickis »Spinnennetz«
besudelt wird, das ist die (eventuell negative) Identifikationsfigur des Films,
der preußische Karrierebeamte Theodor Lohse (Ulrich Mühe). Das Opfer
liegt mit dem Kopf in der Pißrinne des öffentlichen Aborts; die Täter
warten, bis die Kamera ganz nah herangekommen ist; dann öffnen sie den
Hosenschlitz, damit der Urin nach unten schießen kann – auch dem Publikum
ins Gesicht. Denn wer in Brandauers »Georg Elser« besudelt wird,
das ist die (eventuell positive) Identifikationsfigur des Films, der preußische
Handwerker Georg Elser (Klaus Maria Brandauer).
Pickeln oder Pinkeln, wie hätten
Sie's gern?, fragen diese Filme, die mit ihren
plakativen Gewaltszenen um die Gunst des Filmkonsumenten wetteifern. Der geübte
Verbraucher wird sich von derlei Konsumterror nicht bangemachen lassen; auch
vor den Regalen des Supermarkts macht er sich sonst nicht viele Gedanken, ob
der optische Aufheller in diesem Reinigungsprodukt mehr aufhellt als der andere.
Nun haben die beiden Filme, über die wir sprechen, jedoch den Anspruch,
sich nicht nur verkaufen, sondern überdies die Vergangenheit bewältigen
zu wollen, was schwierigerweise einen Gedanken voraussetzt.
Aber weder der Wicki-, noch der Brandauerfilm klären irgendetwas auf; beim
»Spinnennetz« muß man hinzufügen: im Gegenteil, so daß
im folgenden zwischen dem Pickel- und dem Pinkelfilm
unterschieden wird.
Wickis Film geht auf Joseph Roths Fortsetzungsroman
»Das Spinnennetz« zurück, veröffentlicht in der Wiener
»Arbeiterzeitung« und geschrieben vor dem Hitler-Ludendorff-Putsch.
Der Matrosenaufstand von 1918 hat dem Leutnant Lohse die militärische Laufbahn
verdorben. Um eine Beamtenkarriere einzuschlagen, sucht und findet er Protektion
– freilich erst, nachdem er sich von einem hohen Militär hat notzüchtigen
lassen. Jetzt muß er sich von einem großbürgerlichen Vater
mit »Sie schwuler Arschficker« anreden lassen, aber da hält
er mit: »Ich würde sagen, ich beweise Ihrem Fräulein Tochter,
daß ich ein Mann bin«. Und schon reitet das Fräulein, das überdies
Jüdin ist, auf ihm, dem Antisemiten, um flugs in orgiastisches Geschrei
auszubrechen, womit bewiesen wäre, daß der heterosexuelle Akt auch
ein Akt der Rassenversöhnung ist. – Die Beamtenkarriere hält auch
der zwielichtige Jude Lenz (Brandauer) nicht auf. Da er den Weg des Karrieristen,
der dann doch glücklich zu einem Sessel im Reichsinnenministerium führt,
mehrfach unglücklich gekreuzt hat, wird ihm zum Schluß des Films
von einer Dampflokomotive der Kopf abgefahren – freilich erst, nachdem die Kamera
sich die Zeit genommen hat, ganz nah heranzukommen, um die Großaufnahme
nicht zu versäumen.
Zweihundert Filmminuten für die Botschaft,
eine homosexuelle Vergewaltigung sei an allem schuld? Weitere Fragen werden
abgeblockt. Sollte jemand wissen wollen, was das für ein Filz von Militär,
Großkapital und Presse ist, der da Macht hat und noch mehr Macht will,
wird er in diesem Pickelfilm mit der Antwort abgespeist, es handle sich um »die
Organisation«. Das »Spinnennetz« ein Film über die Mafia?
Auch das trägt nicht zur Aufklärung über den deutschen Faschismus
bei.
Auch im einzelnen
ist das, was von der Weimarer Zeit ins Bild kommt, wenig erhellend. Selbst ein
Judenpogrom, das der Film in Berlins Scheunenviertel ansiedelt (es kommt im
Roman nicht vor), dient nur dem Zeitkolorit. Warum schlagen die Menschen urplötzlich
auf die Juden ein, die doch bloß unablässig in ihren Hinterhöfen
fiedeln? Die Antwort des Films, und das ist eine originäre Leistung: Weil
sie tags zuvor aufgehetzt worden sind. Der Antisemit als Opfer (einer politischen
Intrige) und der Nazi als Opfer (einer Notzucht). Die Täter: Mafiosi. Der
historische Zusammenhang: seines Inhalts beraubt, allenfalls auf seinen Nostalgiewert
reduziert. Ein Künstler ruft DADA aus, ein anderer (Alfred Hrdlicka) engagiert
sich politisch, – sie werden im Film lediglich als Staffage gebraucht. Wicki
hat planvoll die Realitätspartikel, soweit es sie überhaupt gibt,
in Filmrealität überführt. Dabei geraten ihm Uniformen zu Kostümen,
Waffen zur Requisite, Mord zum Drama und Analyse zum Plot.
Für die knallbunten Bilder (Kamera:
Gerard Vandenberg) ist die Szene perfekt ausgeleuchtet, bereit für den
großen Auftritt. Die Nostalgieautos, blitzsauber. Die Uniformen, funkelnd.
Die Toilette der Damen, prächtig. Die Armut, dekorativ. Die Musik müßte
man vielleicht noch ändern, aber dann hätten wir sie, die Vergangenheitsbewältigungsoperette.
Wickis herrische Regie läßt auftreten, antreten und vortreten. Die
filmrealistische Ästhetik erlaubt keine Fragen. Mit dem Pickelfilm präsentiert
Wicki, stolz auf seinen Besitz, Jagdbeute, Trophäen, Ausgestopftes; es
ist die Strategie der Vermarktung, denn auch der Verleih proudly presents und
so weiter. Und es ist die Strategie biografischer Entäußerung, mit
der Großwildjäger Wicki den Interviewern, die ihn in seinem Heim
besuchen, Bewunderung für erlegtes, aber ausgestopftes Großwild,
vor allem für die kapitalen Riesenhirsche abnötigt.
Was schließlich an der Wand bzw.
am Schluß des Films hängt, stellt sich nicht zur Diskussion. Was
treibt der beamtete Kannengießer nachts auf dem Bahnhof? Warum gießt
er aus einer Kanne Wasser auf eine mit Wasser begossene Fläche? Welcher
vergessene Service der Deutschen Reichsbahn wird da wiederbelebt? Die Antwort
ergibt sich lediglich aus der Funktion dieser Szene innerhalb der Schlußsequenz:
Der Kannengießer dient der Einbettung einer äußerst unappetitlichen
action-Szene, nämlich der detaillierten Enthauptung des Juden Lenz durch
die Lokomotive der Deutschen Reichsbahn. Und die action dient wiederum dazu,
das Politodram als Thriller zu verkaufen.
Wird eine Polemik dem Jubilar Bernhard
Wicki gerecht (er wurde soeben 70), der in jungen Jahren Kommunist war, der
der Bündischen Jugend angehörte und ein halbes Jahr im KZ Sachsenhausen
in der Baracke 6 saß? Und der 1959 »Die Brücke« drehte?
Natürlich nicht. Aber vielleicht wird Wicki mit dem »Spinnennetz«
seiner eigenen Biografie nicht gerecht. Vielleicht steckt der Fehler schon in
seiner Fehlentscheidung von 1979.
Die Produktionsgeschichte des Films reicht
über zwölf Jahre. Nach zwei Jahren Koproduktionsverhandlungen mit
dem Kultusminister der DDR, 1979, lehnte Wicki ein Angebot des DEFA-Leiters
Mädi ab, den Film als DEFA-Film in der DDR zu drehen. Stattdessen übergab
er das Aufklärungsprojekt vertrauensvoll der katholischen Kirche, nämlich
der Provobis-Gesellschaft, was nun wieder wundersamerweise die Zuteilung von
Fördergeldern von seiten des Bundesministers des Innern und der einschlägigen
Anstalt in Westberlin sowie die Beteiligung des ZDF, des französischen
und italienischen Fernsehens zur Folge hatte. – Vom faschistischen Filz ist
im »Spinnennetz« nicht mehr die Rede, wohl aber kann jetzt eine
fernsehgerechte Serie ins Programm genommen werden. Demnächst auf der Mattscheibe.
Wenn die filmrealistische Vergangenheitsbewältigung
sich vorgenommen hat, das Thema zu verwerten und zu erledigen, müssen wir
nach der Vergangenheitsentfesselung fragen. In Brandauers erstem Spielfilm wird
mit »Georg Elser – Einer aus Deutschland« bepinkelt – und gleichzeitig
der Vergessenheit entrissen. Der Schreiner und Hilfsuhrmacher Elser, 35 Jahre,
hatte die Zeitbombe gebastelt und gelegt, die am 8. November 1939, 21.20 Uhr,
im Bürgerbräukeller inmitten der Alten Kämpfer explodierte, bloß
war Hitler schon sieben Minuten vorher gegangen. Elser wurde im KZ ermordet,
auferstand in einem Lehrstück von Peter Paul Zahl und schließlich
auch im Roman von Stephen Sheppard (»The Artisan«), der nun wiederum
nicht nur Vorlage des Brandauer-Films ist, sondern auch dessen internationalen
Vertrieb sicherstellen soll, weshalb der Film in den USA reißerisch »Seven
Minutes« heißen wird.
Den mutmaßlichen Bedürfnissen
des amerikanischen Marktes gehorchend, verzichtet der Film beinahe völlig
auf die Darstellung politischer oder historischer Zusammenhänge. Diese
vorauseilende Beflissenheit beschert dem Zuschauer die Erkenntnis, daß
– 1938 – die Zeit gekommen sei, in der »junge Männer wieder träumen
dürfen«. Die Bedürfnisanstalt, in der sich dieser Traum verwirklicht
wird jedoch für den Zuschauer zum Ort der Empörung, denn selbstverständlich
ist es ungehörig, daß junge Männer urinierenderweise jemanden
zur Einhaltung der vorgeschriebenen Grußform veranlassen.
Der Pinkelfilm selbst wird schwerlich
das Verständnis dessen befördern, was der Faschismus zur Tatzeit war.
Wohl aber beschreibt er mit hinreichender Genauigkeit die fortgesetzte Verletzung
der Menschenwürde eines aus Deutschland, der sich schließlich entscheidet,
Terrorist zu werden. Sieht man von einer aufgesetzten und dramaturgisch herzlich
schlecht funktionierenden Liebesgeschichte ab sowie vom US-Nazi-Klischee des
Brian Dennehy (er bringt in seine Rolle Erfahrungen ein, die er als Footballstar,
Vietnamkämpfer und US-Mariner gesammelt hat, seine Rollen in »Rambo«
und »Staatsanwälte küßt man nicht« nicht zu vergessen),
– sieht man also von dem ab, was über den Faschismus aufklären könnte,
bräche man das Klischee auf, dann bleibt im Brandauer-Film die passable
und penible Beschreibung einer Menschenrechtsverletzung samt einer individuellen
und den Gerechtigkeitssinn des Betrachters befriedigenden Reaktion.
Brandauer spielt den Georg Elser erfreulich
unmaniristisch. Der Arbeiter, der den Film hindurch die Bombe baut und plaziert,
demonstriert eindrucksvolle manuelle Geschicklichkeit. Freilich hat er nur einen,
aber dafür großen Gedanken, nämlich dazu berufen zu sein, aus
humanitären Gründen dem braunen Spuk ein Ende zu bereiten. Auf sein
Schlußwort – »Einer mußte es ja tun« – zielt die Dramaturgie
des Films. Der individualistische Widerstand ist einwandfrei unpolitisch, in
höchstem Maße integer und für die Nachgeborenen vorbildlich,
denn wo bleibt heute die Selbstcourage?
Fehl am Platze wäre eine ironische
Betrachtung, wenn es nur darum ginge, dem historischen Georg Elser gerecht zu
werden. Abgesehen davon, daß Brandauer offenbar nichts Näheres von
ihm weiß, taugt auch in diesem Fall das pädagogische Projekt nichts,
das der Film sich vorgenommen hat. Elser wollte eine personelle Reform des Naziregimes,
Hitler weg, Heß her oder ähnlich. Er hätte darüber mit
jemandem reden sollen oder jemand mit ihm. Und warum genau das nicht möglich
war, zeigt der Film, indem er kaum jemanden zu Wort kommen läßt und
vorführt, was sprachlos macht. Der Vorgang des Verstummens wird in Brandauers
Film bildhaft, die Antikarriere seines Helden hat den Klimax in der (Selbst-)Zerstörung,
das Pinkeln setzt einen, wenn auch bescheidenen, Erkenntnisprozeß in Bewegung.
Die Brauntöne der Kamera (Lajos Koltai) geben eine allgegenwärtige
Bedrohung wieder. Nichts ist ausgeleuchtet, nichts bunt, nichts erledigt, nichts
auf action reduziert.
Der Film mit der humanitären Botschaft
ist human und schön und schon wieder zeitlos und jenseits von Fa- und Antifaschismus.
– Um auf die Frage vom Anfang zurückzukommen: Das Pinkeln nützt wenig,
das Pickeln gar nichts.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: konkret 12/1989, S. 82
Das
Spinnennetz
BR
Deutschland / Österreich / Italien - 1986-89 - 196 min. - Verleih: Concorde,
Vestron/Kinowelt Home (Video) - Erstaufführung: 21.9.1989/29.4.1990 Video
- Produktionsfirma: Provobis/ZDF/Beta-Film/ORF/RAI 2/TVE/Filmexport Bratislava
- Produktion: Jürgen Haase
Regie:
Bernhard Wicki
Buch:
Wolfgang Kirchner, Bernhard Wicki
Vorlage:
nach einem Roman von Joseph Roth
Kamera:
Gérard Vandenberg
Musik:
Günther Fischer
Schnitt:
Tanja Schmidbauer
Darsteller:
Ulrich
Mühe (Theodor Lohse)
Klaus
Maria Brandauer (Lenz)
Armin
Mueller-Stahl (Baron von Rastschuk)
Andrea
Jonasson (Rachel Efrussi)
Elisabeth
Endriss (Anna)
Corinna
Kirchhoff
Hark
Bohm
Georg
Elser - Einer aus Deutschland
BR
Deutschland - 1989 - 97 min. - Verleih: Senator; Starlight (Video) - Erstaufführung:
19.10.1989/Mai 1990 Video/6.11.1991 ARD - Produktionsfirma: Söhnlein/Borman
Prod./Mutoskop Film/Saturn Movie/BR/ORF - Produktion: Moritz Borman, Rainer
Söhnlein
Regie:
Klaus Maria Brandauer
Buch:
Stephen Sheppard
Vorlage:
nach seinem Roman
Kamera:
Lajos Koltai
Musik:
Georges Delerue
Schnitt:
Dagmar Hirtz
Darsteller:
Klaus
Maria Brandauer (Georg Elser)
Brian
Dennehy (Wagner)
Rebecca
Miller (Anneliese)
Elisabeth
Orth (Frau Gruber)
Nigel
Le Vaillant (Mayer)
zur startseite
zum archiv