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Der Spion und sein Bruder
After Borat: Hooliganhoden eines Englandfans
im Elefant
Grimsby ist laut der nach ihm betitelten britischen Komödie ein
von teils arbeitslosen weißen Proletarierfamilien bewohntes nordenglisches
Kaff (und die Partnerstadt von Tschernobyl). Der Titel "Grimsby" steht
für das Filmbild eines Alltags, in dem sich Klasse und Ethnizität
zu einer Folklore aus Fußballfantum, Fernsehen, Fortpflanzung und Substanzabusus
verklumpen. Der Synchrontitel "Der Spion und sein Bruder" wiederum
steht eher für die Formel, nach der sich hier Agentenradau im Ballerspiel-Look
und Familiensinn im Buddymovie-Modus zu der ersten Sacha Baron Cohen-Kinokomödie
verklumpen, die ein Actionroutinier (Louis Leterrier) inszeniert hat. (Der US-Verleihtitel
"The Brothers Grimsby" lässt etwas Klassisch-Märchenhaftes
anklingen, das vielleicht durch das noch kurz zu erörternde Intimverhältnis
von Figuren zu Tieren gerechtfertigt sein mag.)
Mark Strong, gut gebaut als Spion, macht leere Meter, ebenso die Flashbacks
von den als Buben getrennten Brüdern. Penelope Cruz fällt – im Unterschied
zu ihrer Rolle im ebenfalls enttäuschenden "Zoolander II" – kaum
auf. Witze auf Kosten von Donald Trump gibt es auch (hoffentlich besteht nicht
ab November noch öfter Gelegenheit dazu). Der Film ist kurz; manch guter
Gag ist im Trailer. Bleibt also der – nach dem plötzlichen Wiedersehen
klettenhafte – Hooliganbruder in Schlapfen und Englandfandress. (Allerdings
wird er, en passant und etwas alibihaft, als Gegner der National Front markiert – um
diesem strukturell chauvinistisch-rassistischen Soziotop nicht zuviel von der
Möglichkeit zu nehmen, dass wir es am Ende doch liebenswert finden sollen.)
Da scheint sich nun ein Kreis zu Baron Cohens Satiredebüt 1999
mit der Figur des Ali G zu schließen: Nach "Borat" und
"Brüno" gibt Baron Cohen nun wieder einen ganz im Britisch-Lokalen
(und in britischen Lokalen, also Pubs) wurzelnden Vertreter eines "abgehängten"
Milieus. Dieses Milieu findet im Schlussmonolog sein Selbstbewusstsein, quasi:
We are scum and proud of it! Das ist schwächer, weniger decouvrierend als
die Demokratie-Rede am Ende von "The Dictator", dafür
aber samt Platzsturm in Zeitlupe beim Fußball-WM-Finale England gegen
Deutschland in Chile.
Ansonsten aber ist Bewusstsein etwas, das hier fehlt, zumal jenes Bewusstsein, das die Bilder brechen, ihnen ihre Unmittelbarkeitsanmutung nehmen würde. Ali Gs Fernsehshows und Borat dann auch im Kino (Brüno in Folge abklatschhaft) drängten uns die Frage auf, wie sich unser Lachen zu den rassistischen, sexistischen Wahrnehmungen positionieren sollte, die Baron Cohens Figuren ausgierten oder als Klischee verkörperten. Die jeweilige Brechung durch die Frage, wer bzw. welches Medienformat (welche Wahrheitsherauskitzelung per Interview, welche dokumentarische Bezeugung) dies so sieht und so sagt, diese Brechung ersetzt ,,Grimsby" durch Direktanblicke zum Erbrechen. (Das Problem daran ist der Bewusstseinsverlust – nicht das Erbrechen.) Wer war nochmal Austin Powers? Egal.
Die in "Grimsby" gebotene Ekelkomik ist teils Routine – Sex mit dicken Frauen, Hodenhumor, male anal insertion –, teils recht heftig: Entsprechende Anblicke reichen, zumal in den Südafrika-Sequenzen des Films, vom Kriechen in einen Elefantenkuh-Uterus (quasi noch mehr Bauchgefühl als der "Revenant" je haben konnte) samt Dickhäuter-Sperma-Bad bis zur – ich sage es ungern – Dreiviertelhose.
Drehli Robnik
Der Spion und sein Bruder
(Grimsby) - Alternativer Titel: Die Brüder Grimsby - USA 2016 - 83 Min.
- Start(D): 10.03.2016 - Regie: Louis Leterrier - Drehbuch: Sacha Baron Cohen,
Phil Johnston, Peter Baynham - Produktion: Sacha Baron Cohen, Nira Park - Kamera:
Oliver Wood - Schnitt: Evan Henke, James Thomas, Jonathan Amos - Musik: David
Buckley, Erran Baron Cohen - Darsteller: Sacha Baron Cohen, Rebel Wilson, Isla
Fisher, Mark Strong, Penélope Cruz, Annabelle Wallis, Ian McShane, Tamsin
Egerton, Scott Adkins, Gabourey Sidibe, David Harewood, Sam Hazeldine, Daniel
Westwood, Johnny Vegas, Lasco Atkins - Verleih: Sony Pictures Germany
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