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Spring Breakers
Ficken, kotzen, Regeln brechen
Den Film zu gucken, ist ein krasses Rezeptionsabenteur. Er mutet zunächst als Collegefilm-ohne-College an. Einmal im Jahr schwärmen US-Amerikas Jungstudenten aus, um in Florida die Sau rauszulassen. In Florida. Ficken, ficken, fixen. Alk, Alk, Alk. Drogen, Drogen, Drogen. Kotzen, kotzen, kotzen. Regeln brechen (Das hatten wir auch mal. Aber die Regeln waren politische gewesen, und einen Bibelgürtel hatten wir nicht gehabt. Keinen richtigen jedenfalls). Was wir im Film sehen, ist eine brutale Funmaximierung. Bis zum Gehtnichtmehr.
Vier Mädchen machen sich auf nach Florida. Geld
für die Reise? Ist nicht da. Was tun Fun-Süchtige? Pussy-Riot-Stoffmasken
überziehen, Waffen in die Hand nehmen, einen Laden überfallen, randalieren,
Geld abgreifen und den Fluchtwagen abfackeln.
Jubel! Ultimativer Spaß! Und dann der Sonnenuntergang
in Florida. Mann! Ja, um Männer geht's den Girls. Vielleicht mal ein feuchter
Kuss zwischen Frauen, aber das kennt man ja. Was machts. Es geht zum Dreier.
Beim Sonnenuntergang. Im Wasser. Der Fick ist züchtig, weil Regisseur Harmony
Korine auf eine Unterwasserkamera verzichtet. Er hat irgendetwas vor mit seinem
Film. Was? Die Dialoge fangen an zu nerven, so banal und dürftig wie sie
sind. Sie wiederholen sich. Die Szenen wiederholen sich. Sie werden immer platter.
Keine Außenaufnahme, ohne dass hinten die Sonne untergeht. Gefühlte
Hundertmal (das muss eine Schweinearbeit gewesen sein, wie soll das gehen, wenn,
wie üblich beim Filmedrehen, ein Take wiederholt werden soll?).
Hat Harmony eventuell Takes nicht wiederholt? Gut möglich.
Denn viele Szenen muten dokumentarisch an. Und tatsächlich hat der Film
bei Außenaufnahmen Zuschauer in turbulente Szenen einbezogen. Das fördert
den authentischen Effekt der Fun-Explosion. Fun-Implosion wäre der bessere
Ausdruck. Bloß dass der Film sich hütet, eine Botschaft zu verkünden.
Er beschränkt sich strikt auf das Zeigen. Von Britney Spears ist die Rede.
Aber das führt auch nicht weiter. Die Spears reduziert sich auf fun-mit-Sonnenuntergang.
Der Film endet mit dem Zerfall der 4-Mädchen-Gruppe.
2 fahren frustriert in Bussen-ohne-Sonnenuntergang nach Haus. 2 lassen sich
von Macho-Gangsta James Franco (ex Spider Man; jetzt Silberzähne und Rastalocken)
anheuern. Das sind die Zwei, die ihn zum Schluss abknallen - total cool. Tot
liegt er auf der Fun-Brücke. Ende? Nö. Neue Version.
Er macht die Augen auf. Er guckt den Frauen nach. Die
Kamera wird subjektiv. Sie sieht die Funmeisterinnen auf dem Kopf weggehen.
- Da kommt filmästhetische Freude auf, gell? Momentmal, videoästhetische,
wollte ich sagen. Und, ehrlich, macht es nicht Spaß, allmählich,
beim Verfertigen der Filmwahrnehmung, eine spielfilmlange Hiphop-Ästhetik
zu rezipieren? Bei Youtube sind die Dinger 6 oder 9 Minuten lang. Hier aber
90 Minuten. Und außerdem kann man mit gehörigem Rezeptions-Spaß
das Entstehen dieser Ästhetik verfolgen.
Ich sah es jedenfalls mit Vergnügen, wie die Filmhandlung
(das Narrative) ihre dominante Rolle verliert und Platz macht für allerlei
Mutwillen, mit dem, was Kamera und Ton bieten können, zu spielen. Korine
war, so sagt er, zum Initiationsritus nie nach Florida gefahren. Er war skater kid in New York gewesen, dort mit Skater-fun voll abgefüllt.
Mit "Spring Breakers" hat er ein Rezeptionswunder
geschaffen. Alle Voraussagen, auch meine, gehen dahin, dass der Film fiftyfifty
als geile Fleischbeschau genossen werden wird (die Mädchen stehen nachts
vor einer gelb beschienenen Mauer auf der Straße. In neongelben Bikinis.
Links die Reklame von "Cleaners": Free pick up and delivery). Oh Mann,
ist das ein Ding. - Die andere Hälfte der Zuschauer wird in der Fun-Implosion
eine Entlarvung des amerikanischen (natürlich des neoliberal gewollten)
Konsumwahns sehen, der alles beseitigt, was nicht den Marktgesetzen dient. -
Ich finde, es grenzt an ein Wunder, einen Film so doppelkompatibel hinzukriegen.
In Venedig bekam er 2012 den Publikumspreis.
Ein Einzelfilm als Film, vielleicht. In der Musikvideoszene
ist das kipplige Spiel nichts Außergewöhnliches. Meine Lieblingsgruppe
HGich.T (heut geh ich tot) treibt ihr Spiel mit denen, die ich
jetzt Grownup Breakers nennen müsste, - also mit denen, die die Regeln
des Erwachsenwerdens genussvoll brechen. Macht das Spaß, in der Hauptschuhle
(sic) Klopapierrollen ins Klo zu stopfen. Oh Mann, hätte ich auch machen
können, damals. Ich könnte den Spaß jetzt nachholen. Aber der
Spaß ist doch gänzlich sinnfrei! - Ja eben, er ist die pure Aufsässigkeit
des Fünfzehnjährigen gegen gutes Benehmen.
Warum erzähl ich das jetzt? Weil es das kontinentaleuropäische
Gegenbeispiel für die Exzesse des Florida-Funs in den USA ist. Die angebliche
Aufsässigkeit der sogenannten Spring Breakers
ist system- und konsumtechnisch gewollt. Die boys and girls bedienen sich der
Angebote des Funmarkts und lassen sich ausnehmen.
Stimmt das aber, was ich behaupte? Jedenfalls dann, wenn
man "Infinite Jest" / "Unendlicher Spaß" von David
Foster Wallace liest. Ich bin inzwischen auf Seite 904 angelangt und überzeugter
Fun-Kritiker. Im Buch werden die Marktgesetzes des unendlichen Spaßes
ins Spiel gebracht, ohne markige Worte und mitnichten explizit. An der Tennisakademie
gucken die Jungs auch mal nach Kontinentaleuropa, Rat suchend. Oder gleich nach
Kanada, wo es unendlich spaßig ist, vor einen heranfahrenden Zug die Beine
auf die Gleise zu legen. Wer sie als letzter wegnimmt, hat gewonnen - und vielleicht
die Beine ab. Dann gesellt er sich zur Terrorgruppe der Rollstuhlfahrer. Zu
den Fun-Terroristen. - Aber das führt jetzt zu weit. Im Film "Spring
Breakers" sind wir noch im Vorstadium. Hier ist es noch das Fun-System,
das die Alleinherrschaft ergriffen hat. Und das unter Entfaltung raffinierter,
freilich auch übertriebener Verführungskunst. Die 4 Girls in aufreizenden
Posen, in saugeilen Bikinis, dich frech fixierend, sie sind die Hingucker. Sie
sind es für den Mann Harmony Korine. Hallo, Werbung! Hallo, Vorabendserie!!
Übrigens waren zwei der Girls vorher (bei Disney) Prototypen der Sittsamkeit
des korrekten American Girl - und nun das. Der Bruch. Und eben das gehört
zum genialen Spiel des Films, über den Spring hinaus, die Codes der Correctness
zu brechen - nicht durch Behauptungen, sondern durch Hypercodierung.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist auch erschienen in der: www.filmgazette.de sowie in konkret 03/2013
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Spring Breakers
USA 2012 - 92 Minuten - Kinostart: 21.03.2013 - FSK: ab 16 Jahren - Regie: Harmony Korine - Produktion: Charles-Marie Anthonioz, Jordan Gertner, Chris Hanley, David Zander - Kamera: Benoit Debie - Schnitt: Douglas Crise - Musik: Cliff Martinez, Skrillex - Darsteller: James Franco, Selena Gomez, Ashley Benson, Vanessa Hudgens, Heather Morris, Rachel Korine, Emma Holzer, Ash Lendzion, Lauren Vera, Ananda Milsa, Gucci Mane, Josh Randall, Thurman Sewell, Sidney Sewell, Jarrett Ricker
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