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Stellet
Licht
Moderne
Mennoniten
Der Liebe hilft nur ein Wunder: In seinem
Film "Stellet Licht" erzählt Carlos Reygadas von einem Dreiecksverhältnis.
Die Figuren und ihre Darsteller sind Mennoniten in Nordmexiko.
Carlos Reygadas ist ein ehrgeiziger junger
Mann. Bevor er anfing, Filme zu drehen, hatte er Jura studiert und für
das mexikanische Außenministerium gearbeitet. 37 Jahre ist er alt und
hat bislang drei Spielfilme fertiggestellt, "Japón" ("Japan",
2002), "Batalla
en el cielo" ("Schlacht
im Himmel", 2005) und "Stellet Licht" ("Stilles Licht",
2007). Alle drei wurden beim Festival von Cannes gezeigt, die letzten beiden
im Wettbewerb. "Stellet Licht" erhielt den Preis der Jury. Er kommt
nun, mit zweijähriger Verzögerung, in Berlin und Hamburg in die Kinos.
Erkennbar arbeitet sich Reygadas an großen
Vorbildern ab - in "Japón" an dem Russen Andrei Tarkowski,
in "Stellet Licht" an dem Dänen Carl Theodor Dreyer. Die Bewegungen
der Kamera sind ausgetüftelt, "Japón" etwa mündet
in eine mehrminütige, ungeschnittene Einstellung, in komplizierten Schlaufen
fliegt die Kamera über den Schauplatz eines Zugunglücks. "Batalla
en el cielo" stellt die Protagonisten so auf, dass sie in den halbnahen,
geschlossenen Bildern fast erstarren, und in "Stellet Licht" beäugt
die Kamera immer wieder Details wie eine Pendeluhr oder die Messerbalken eines
Mähdreschers. In einer Szene, in der eine zentrale Figur erstmals auftaucht,
sieht man zunächst nur die Füße und die Unterschenkel der Akteure;
die Kamera hält sich eine Weile an den in groben Stoff gehüllten Männer-
und an den nackten Frauenbeinen auf, bevor sie die Gesichter fokussiert. Ehrgeizig
ist Reygadas zudem in der Wahl seiner Themen und Konflikte, in allen Filmen
verhandelt er die großen, existenziellen Menschheitsfragen, den Tod, die
Schuld, die Sühne und den Wunsch nach Erlösung. Ehrgeizig schließlich
ist er auch deshalb, weil er mit Laiendarstellern arbeitet - mit Campesinos
im Norden Mexikos, mit fliegenden Händlern und Chauffeuren in Mexiko-Stadt
und mit Mennoniten, die im Bundesstaat Chihuahua siedeln. Sie sorgen dafür,
dass Reygadas streng durchdachte Kunstwelt auf einen Widerstand aus der Wirklichkeit
stößt.
Bei so viel Ambition nimmt es nicht wunder,
dass die ersten Filme Reygadas etwas Zwiespältiges haben. Zu groß
ist die Vision des Filmemachers, als dass er bereit wäre, sich wirklich
auf das Material einzulassen. In "Japón" und in "Batalla
en el cielo" wird man den Eindruck nicht los, dass ein Programm exekutiert
wird und die Laiendarsteller nichts weiter zu tun haben, als diesem Programm
zu entsprechen. Außergewöhnliche Sexszenen - zwischen einem lebensmüden
Mann in der Midlife-Crisis und einer über 80 Jahre alten Frau in "Japón",
zwischen einer Tochter aus sehr gutem Hause und dem übergewichtigen Chauffeur
ihres Vaters - und eine starke Reibung am Religiösen tun ein Übriges,
um den Verdacht zu erwecken, es gehe dem Regisseur vor allem um die Provokation.
In "Stellet Licht" aber sieht
alles neu und anders aus, obwohl Reygadas sich ähnlicher Mittel bedient
wie in den Vorgängerfilmen. Denn "Stellet Licht" vollzieht eine
wunderbare Volte: Der Film erzählt vom Leben der Mennoniten nicht so, dass
man sie als fremd, rückwärtsgewandt oder unmodern wahrnähme.
Er handelt vielmehr von einem ausgesprochen modernen Konflikt, der dir und mir
und tausend anderen widerfahren kann. Der Landwirt Johan (Cornelio Wall Fehr)
bewirtschaftet mit seiner Frau Esther (Miriam Toews) einen Hof, die beiden haben
so viele Kinder, dass man Mühe hat, mitzuzählen. Johan liebt seine
Frau, aber er liebt auch Marianne (Maria Pankratz), und zwar auf eine intensive,
lodernde Weise. Weder Marianne noch Johan gelingt es, vom anderen zu lassen.
"Dies sind die traurigsten Momente meines Lebens", sagt Marianne einmal
zu Johan, "aber auch die besten."
Der Effekt dieser Überkreuzung ist
verblüffend. Die fremde, bäuerliche Welt der Mennoniten kommt dem
Zuschauer nahe, ohne dass sie mit der seinen in eins gesetzt wird. Für
Ersteres sorgt die Universalität des Konflikts, für Zweiteres die
behutsame Darstellung der ländlich-zurückgezogenen Lebensweise. Reygadas
setzt Arbeit und Idyll ins Bild; mal sieht man Esther auf dem Traktor oder Johan
im Kuhstall, dann die Familie beim Bad im Freien. Die Gesichter und Arme sind
von der Sonne gerötet, die normalerweise von Hemden und Hosen bedeckten
Körperstellen bleich und weiß. Wie die Figuren sich gegenseitig einseifen,
wie sie durchs Wasser gleiten und sich abtrocknen, strahlt Ruhe und Zärtlichkeit
aus. Die Sprache, eine Art Plattdeutsch, klingt wie aus der Zeit gefallen, was
nicht heißt, dass die Mennoniten sich dem technischen Fortschritt vollständig
verschließen. Die Uhr in der Küche wird von einem Pendel betrieben,
die Kühe aber werden per Melkmaschine gemolken. In einer Szene folgen Johan,
Marianne, drei der Kinder und ein Fremder in einem Wohnmobil auf einem winzigen
Bildschirm einem Auftritt Jacques Brels. Niemand sperrt sich gegen die Rührung
und die Komik, die von den Schwarzweißbildern ausgeht.
Dreiecksfilme erreichen oft einen Punkt,
von dem aus es nicht mehr weitergeht - für die Figuren nicht und für
den Film auch nicht. Je fester der Konfliktknoten gezurrt ist, umso unwahrscheinlicher
wird eine Auflösung. Das existenzielle Problem der Figuren wird zur dramaturgischen
Herausforderung für den Film, und die Gefahr, daran zu scheitern, ist groß.
Reygadas überspringt das Problem mit einem kühnen Satz, indem er,
ganz buchstäblich, ein Wunder geschehen lässt. Dass er es sich aus
Carl Theodor Dreyers Film "Ordet" (1955) abgeschaut hat, stört
nicht, im Gegenteil, es gehört zur großen Schönheit von "Stellet
Licht", dass sich die Ergriffenheit, die Dreyers Film hervorruft, auch
hier einstellt.
Cristina Nord
Dieser Text ist zuerst erschienen in der: taz vom 1.4.2009
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Stellet
Licht
Originaltitel:
Stellet Licht
Produktionsland:
Mexiko, Frankreich, Niederlande
Erscheinungsjahr:
2007
Länge:
145 Minuten
Originalsprache:
Plautdietsch
Regie:
Carlos Reygadas
Drehbuch:
Carlos Reygadas
Besetzung:
Miriam Toews: Esther, Cornelio Wall: Johan, Maria Pankratz: Marianne
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