zur startseite
zum archiv
zu den essays
Stonewall
Unter den Pressefotos, die zur Illustration der Besprechungen von Roland Emmerichs
Spielfilm „Stonewall“ zu haben sind, zirkuliert vor allem eines – man sieht
einen weißen Jungen in Blue Jeans und hellem T-Shirt mit weit aufgerissenem
Mund im Vordergrund, dessen Körper das Ende einer Wurfbewegung markiert.
Hinter ihm, in zweiter Reihe, steht eine bunte Gruppe Jugendlicher, u.a. ein
Junge in Mods-Outfit, eine schwarze Drag-Queen mit Halstuch und eine Latino-Drag-Queen
mit langem Haar, die gebannt und ehrfürchtig den Flug des Objekts verfolgen.
Dahinter, im Unschärfebereich des Bildes verschmelzen weitere Jugendliche,
bis auf wenige Ausnahmen weiß und männlich, die ebenfalls in ihrer
Beobachtung erstarrt sind. „Stonewall „heißt der Film, und gegen die namensgebende
Backsteinmauer, genauer: durch ein Fenster der queeren Bar Stonewall Inn in
New York, fliegt, wie man im Gegenschuss des Films sehen wird, der Stein des
weißen Jungen im Bildvordergrund.
Die Aktion, so erzählt der Film, ist Teil der historischen „Stonewall Riots“, die am frühen Morgen des 28. Juni 1969 begannen, als Wendepunkt im Kampf gegen die Diskriminierung von Homosexuellen gelten und an die heute mit weltweiten Christopher Street Days erinnert wird. Was genau die Energien an diesem Tag freisetzte und welche Aktion die Aufstände konkret losbrechen ließe, weiß man nicht genau; es gibt darüber „so viele Legenden, wie es Drag Queens in New York gibt“, wie eine Figur in Nigel Finchs Spielfilm „Stonewall“ von 1995 sagt. Aber jetzt gibt es dieses Bild, und dieses Bild kursiert: Den ersten Stein warf ein weißer Junge.
Die Stonewall Riots gab es wirklich. Den weißen Jungen, Danny
Winters, der aus einer Kleinstadt in Indiana in der ersten Reihe eines Aufstands
landete, gab es nicht. Seitdem das Bild und der Trailer zum Film veröffentlicht
wurden, hat sich die Irritation über die Präsenz der Danny-Winters-Figur
in einem Film über Stonewall in Protesten, Beschimpfungen und Boykottaufrufen
entladen. Vom „Weißwaschen“ eines der zentralen Momente der queeren Geschichte
ist die Rede, von einem Neuschreiben gar. Denn es fehle nicht nur ein historisches
Vorbild für Danny Winters, es fehlten im Film diejenigen, die mutmaßlich
in der ersten Reihe der Riots standen: die schwarze Dragqueen Marsha P. Johnson
(im Film durch eine hanebüchene Kidnapping-Aktion gerade zu einer anderen
Bar unterwegs), eine lesbische Frau, die sich minutenlang gegen ihre Festnahme
wehrte (im Film sieht man sie in einem kurzen Gerangel), die puertoricanische
Dragqueen Sylvia Rivera, die mit Johnson später die „Street Transvestite
Action Revolutionaries“ gründete.
Falsche Marktlogik
Roland Emmerichs „Stonewall“-Erzählung täuscht zu keinem Zeitpunkt hinweg über die fiktionale Gestaltung eines Wendepunkt-Moments, den Barack Obama einmal im gleichen Atemzug wie „Selma“ und „Seneca Falls“ nannte. Die Fiktionalisierung geht allerdings auf Kosten derer, die nicht reibungsfrei in die dominante Kultur integrierbar scheinen: der Nicht-Weißen, der Nicht-Gender-Konformen, der Nicht-Bürgerlichen. Emmerichs Film könnte genauso gut „Danny „heißen.
Denn er erzählt, wie dieser Danny nach dem Bekanntwerden einer sexuellen Beziehung zu einem anderen Jungen aus dem Elternhaus geworfen wird und früher als geplant in New York landet. Die Geschichte folgt einem klassischen Erzählmuster des globalisierten US-Erzählfilms, das Emmerich im Interview mit der „Siegessäule“ beschrieben hat; es geht darum, „eine unschuldige Person in eine Situation zu werfen, in der es richtig hart zugeht.“ Danny Winters ist dabei ausdrücklich als Identifikationsangebot an heterosexuelle Zuschauer gedacht, mit deren Kinobesuchen ein Film mit dem Budget von „Stonewall“ (wenn auch nur ein Bruchteil dessen, was Emmerich-Filme sonst kosten) sich refinanzieren muss. Emmerichs Argumentation folgt einer Marktlogik, die – so muss man nach dem gefloppten Kinostart in den USA sagen – nicht aufgegangen ist.
Durch die queere Szene ging nach der Veröffentlichung des Trailers ein Riss, der symptomatisch dafür ist, wie aktuell über Repräsentationen von LGBTIQ-Figuren in den Medien diskutiert wird. Sahen einige in der erzählerischen Situierung von Charakteren, die nicht cis-männlich und weiß sind, in der zweite Reihe eine Fortschreibung der homonormativen Forschrittserzählung des schwulen bürgerlichen Mainstreams (die bei den Stonewall Riots ihren Anfang nahm), baten andere darum, einen Spielfilm nicht schon auf Grundlage seines Trailers zu verurteilen und damit jeden Versuch zu verhindern, LGBTIQ-Geschichte zu erzählen.
Für beide Positionen gibt es Argumente. Deutlich wird nach den mehr als zwei Stunden des Films, wie verzweifelt hier mit den Formeln des Erzählkinos eine queere Position in eine heteronormative Passform gepresst werden soll. Die Trans-Freunde dienen nur als Stichwortgeber für Dannys Politisierung und schwuler Sex wird in grotesken Prostitutions-Szenen erzählt, die Bruce LaBruce „konservativen Camp“ nennen würde. In den Riot-Szenen selbst kann sich die Kamera nicht für die Angreifer und die Angegriffenen entscheiden, weil sie es gewohnt ist, sich mit letzteren zu identifizieren.
Würde der Film die Geschichten von Marsha P. Johnson und Sylvia
Rivera ernstnehmen, müsste er anders vorgehen. „Stonewall“ wäre dann
nicht die Geschichte eines Bruchs und seines Verheilens in einer bürgerlichen
Familie (Dannys Schwester und Mutter stehen beim ersten „Pride March“ ein Jahr
später am Straßenrand und applaudieren), es wäre auch keine
Lektion in schwuler Geschichte für ein marktwirtschaftlich ausgerechnetes
Cineplex-Publikum. Es wäre vielleicht ein Film, der seine erzählerische
Lust darin finden würde, einen fragilen Knotenpunkt aus vielen Legenden
zu erzählen, in denen viele verschiedene Steine gegen heute noch stehende
Ziele geworfen worden wären. So aber ist Emmerichs „Stonewall“ entstanden
– ein Film, der letztlich niemanden trifft.
Jan Künemund
Dieser Text ist zuerst erschienen in: der freitag
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Stonewall
USA 2015 - 129 Min. - Kinostart(D): 19.11.2015
- FSK: ab 12 Jahre - Regie: Roland Emmerich - Drehbuch: Jon Robin Baitz - Produktion:
Roland Emmerich, Michael Fossat, Marc Frydman, Carsten H.W. Lorenz - Kamera:
Markus Förderer - Musik: Rob Simonsen - Darsteller: Jonathan Rhys Meyers,
Ron Perlman, Joey King, Jeremy Irvine, Jonny Beauchamp, Caleb Landry Jones,
Matt Craven, Atticus Mitchell, David Cubitt, Karl Glusman, Andrea Frankle, Otoja
Abit, Mark Camacho, Nathaly Thibault, Joanne Vannicola - Verleih: Warner Bros.
GmbH
zur startseite
zum archiv
zu den essays