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Strange Days
Wie ein
Kuß zu Silvester
Mit dem
Science Fiction-Thriller "Strange Days" führt die Hollywood-Regisseuse
Kathryn Bigelow weitere Belastungstests an Konventionen des Actionkinos durch.
Ist "Strange
Days" ein stranger Film? Nach einigen Seiten hin fügt er sich (wie
Bigelows andere Arbeiten) nahtlos ins neuere US-Genrekino, zumal Actionkino,
ein: Da ist das seit zwei Jahrzehnten vertraute, zitat- und kombinationsfreudige
Spiel mit Gattungsmustern und populärkulturellem Treibgut, die Betonung
von Spektakel und Geschwindigkeit zu Lasten erzählerischer und psychologischer
Geschlossenheit, ein haltloser Symbolismus und eine unermüdlich gesuchte
Nähe zur "Jugendkultur", die sich im Milieu, Dekor und Musik-Soundtrack
niederschlägt.
So weit, so
gut, so unspezifisch. Aus einem anderen Winkel könnte man "Strange
Days" im Kontext des bigelowschen Oeuvres betrachten (neben "The Loveless"
von 1981 umfaßt es die recht groß produzierten Filme "Near
Dark", 1987, "Blue
Steel",
1990, und "Point Break", 1991). Man könnte ästhetisch und
thematisch Unverwechselbares betonen: etwa den "malerischen" Stil,
den man der 1951 geborenen ehemaligen Pinsel- und Konzeptkünstlerin nachsagt,
oder den Eindruck, daß man ihre deftigen Actionknaller ohne eine Ahnung
von gender
politics
kaum zu würdigen vermag. Man könnte anmerken, daß ihre Filmtitel
aus je zwei einsilbigen Worten bestehen (oho!) und daß Kathryn Bigelow
(wie ihr Name schon sagt) eine Frau ist; und Frauen führen in Hollywood
selten Regie.
Wenn man beide
Sichtweisen schneidet, kommt man "Strange Days" schon recht nahe.
Das macht es nicht leichter zu sagen, wovon der bis zum Bersten mit Ereignislinien
gefüllte Film handelt: Er spielt in den letzten Tagen des Jahres 1999 in
Los Angeles, wo der Alltag aussieht wie ein CNN-Report über die Unruhen
sieben Jahre zuvor. In dieser "sanft futurisierten" Welt – weniger
nahe Zukunft als entfernte Gegenwart – wird der zerknautschte Strizzi Lenny
(Ralph Fiennes) in zwei auf rätselhafte Weise verknüpfte Mordfälle
verstrickt, deren Auflösung dem Film den Gestus eines mystery
thriller
gibt. Das für Bigelow untypische Erzählmuster trägt zur Film Noir-Tönung
von "Strange Days" bei und geht auf das Script ihres Ex-Mannes James
Cameron zurück (selbst ein versierter Action-Regisseur, der mit Filmen
wie den zwei "Terminators" oder
"True Lies" ein paar Budgetklassen höher operiert).
Bei den Silvesterfeiern
zur Jahrtausendwende findet der Film zu einem eigenartig gedoppelten Showdown;
das ist nur konsequent, denn "Strange Days" ist nicht organisch, sondern
synthetisch geformt: Linien, die normalerweise separat verlaufen, kommen zusammen.
Das betrifft besonders das romantische Heldenpärchen: Bis zum Ende scheint
es darum zu gehen, daß Lenny seine Ex-Geliebte, deren Verlust er nicht
verwindet, zurückgewinnt – eine Indie-Rocksängerin (Juliette Lewis,
beliebt aus "Cape
Fear"
und "Natural
Born Killers"),
die ihn zugunsten eines zynischen Musikmanagers (Standardschurke Michael Wincott,
unbeliebt aus "1492" und
"The Crow") verlassen hat; soweit das alte Noir-Motiv von
der Rettung und Reinigung der gefallenen Frau durch den von der Vergangenheit
besessenen Mann. Aber nach dem ersten Drittel betritt die Leibwächterin
Mace den Film (Angela Bassett, die in "Malcolm X" dessen Gattin und
in "Tina" die von Ike Turner gespielt hat): als Lennys alte Freundin,
die klarer denkt und härter hinhaut als er, als seine Verbündete und
Beschützerin auf der Flucht vor und der Jagd nach den Mördern.
Am Ende, zu
Silvester, lösen beide ihre Hälften der komplex ineinander verschachtelten
Verbrechen und damit ihr jeweils spezifisches Problem: Der weiße Mann
besiegt die Gewalt, die von sexueller Perversion und psychopathischem Serienmördertum
herrührt; die schwarze Frau denunziert und überwindet rassistischen
Polizeiterror. Daß es sich hier um Griffe in gängige Genre-Repertoires
bzw. um Grüße an Rodney King handelt, ist klar; ebenso daß
die abschließende Pärchenbildung, samt verzögertem Kuß
im Konfetti-Regen, ein altes Hollywood-Klischee bis zur Überhitzung aufwärmt.
Aber genau das ist der Punkt: Es muß möglich und rührend sein, daß
der ausgelaugte weiße Mann und die starke schwarze Frau sich kriegen und
so das alte Jahrtausend verlassen. Mag sein, daß dieses Vereinigungsprogramm
Anteile chauvinistischer Erlösungsphantasien enthält; entscheidend
ist, daß Bigelow das, was "eigentlich" nicht zusammengehört,
zusammenführt.
Ihre Filme
verhandeln stets "unmögliche" Verbindungen, soziale Allianzen
und deren Verkörperung in Figurenbeziehungen
(das unterscheidet Bigelows allegorische HeldInnen, wiewohl sie mechanisch schematisiert
sind und oft gräßliche, unsubtil gebaute Dialoge führen, von
den nihilistisch ausgehöhlten pin-ups eines Tarantino
oder Rodriguez). Wie Fremdkörper betreten die Figuren Milieus, deren Habitus,
Gewaltsamkeit und Freiheitsgrade sie faszinieren: die waffenliebende Heldin
von "Blue Steel" bei der Polizei, die Sunnyboys in "Near Dark"
und "Point Break" bei den Subkulturen der Vampir- bzw. Surf-Outlaws.
"Strange Days" markiert da fast ein Erwachsenwerden, insofern die
Paarbildung auch der Ausstieg aus einem (opulent visualisierten) subkulturellen
Sündenpfuhl ist.
Ein paar Worte
noch zu Stil und Ideologie von "Strange Days": zum knieweich verkürzten
Entwurf der Polizeigewalt (die Verschwörungsthese zur Ermordung eines schwarzen
Rappers durch zwei Cops wird durch Einzeltäterschaft ersetzt, und ein integrer
Oberbulle verhindert als deus
ex machina
den Rassenkrawall); und dazu, daß dies Bigelows auf Anhieb zugänglichster
Film ist, weil er, anders als die vorigen, die Biomechanik der Action und sein
frenetisches Erzähl- und Montagetempo nur selten für symbolschwere
Tableaus und Posen aufgibt (abgesehen vom umwerfenden Showdown mit den Cops
am Ende einer Silvester-Sequenz voll Bravour in Dekor und Massenstatisterie).
"Strange Days" ist Bigelows erster Film, der nicht sehr "schön"
oder "malerisch" ist, etwas lichtschwach im Vergleich zum modellierenden
chiaroscuro seiner Vorgänger.
Den dicksten
stilistisch-ideologischen Knoten von "Strange Days" knüpft dessen
"medienkritische" Ebene rund um die Virtual Reality-Clips, mit denen
Lenny dealt: audiovisuelle Gehirnstrom-Aufzeichnungen realer Erlebnisse anderer
(vorwiegend erotischer oder krimineller Art), die wie Drogen konsumiert werden
und sich als spektakuläre Point
of view-Shot-Sequenzen
konkretisieren. Daß die davon ausgehenden Erkundungen über Wahrnehmung,
Erinnerung, Subjektivität, etc. nicht allzu originell oder tiefschürfend
daherkommen, daß ähnliche Bewußtseinstechnologien schon in
anderen SciFi-Filmen (von Cronenbergs "Videodrome" bis
zum österreichischen "Halbe Welt") abgehandelt wurden und daß
der Steadicam-Blick durch die Augen des Bösen ein Standardmotiv der "Halloween"-, "Freitag
der 13."-
und "Tanz
der Teufel"-Serien
war, ist eine Sache.
Die andere
Sache ist das Unbehagen, das Bigelow – über kameratechnische Kraftakte
hinaus – bei denen, die mitschauend zuschauen (beim Publikum) erzeugen kann;
zumal in einem Clip, bei dem wir die detailreiche Vergewaltigung und Ermordung
einer Frau aus der Sicht des Triebtäters sehen, und der bereits in einer
ORF-Sendung inkriminiert wurde. Man könne sich in diesem Moment darauf
verlassen, daß Bigelow nichts zeigen werde, was nur um des Effekts Willen
grauslich (sadistisch oder frauenfeindlich) wäre, hat eine Kollegin zu
mir gemeint. Darauf verlasse ich mich auch; und weiters darauf, daß Bigelow
mitten im Mainstream nicht nur dessen Traditionen kritisiert, sondern, mehr
noch, virtuosen Mißbrauch mit ihnen betreibt und auf dem Terrain des amerikanischen
Actionkinos (nicht immer mit Erfolg) Filme dreht, die härter, schneller,
lauter, unbequemer und denkfreudiger sind als der reaktionäre und infantile
Schas, mit dem uns dieses Genre heute abspeist.
Dieser
Text ist zuerst erschienen im: Falter 5/1996 (Wien)
Strange
Days
(Strange
Days)
USA
1995
145
Minuten
Regie:
Kathryn Bigelow – Drehbuch: James Cameron, Jay Cocks – Produktion: James Cameron,
Steven-Charles Jaffe – Musik: Peter Gabriel u. a. – Kamera: Matthew F. Leonetti
– Schnitt: Howard E. Smith
Besetzung:
Ralph
Fiennes: Lenny Nero
Angela
Bassett: Lornette 'Mace' Mason
Tom
Sizemore: Max Peltier
Juliette
Lewis: Faith Justin
Michael
Wincott: Philo Gant
Brigitte
Bako: Iris
Richard
Edson: Tick
Vincent
D'Onofrio: Burton Steckler
William
Fichtner: Dwayne Engelman
Glenn
Plummer: Jeriko One
Josef
Sommer: Palmer Strickland
Nicky
Katt: Joey Corto
Michael
Jace: Wade Beemer
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