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Substitute
Einem
Ersatzbänkler der französischen Fußball-Nationalmannschaft zur
WM ‘06 wird eine Super-8-Kamera in die Hand gedrückt, und er filmt sein
(unter WM-Gesichtspunkten relativ ereignisloses, er ist die ganze Weltmeisterschaft
nur sechzehn Minuten auf dem Spielfeld) Dasein und Umfeld, sehr nett:
...
eine mediale Zeitreise; die Super8isierung der digitalen Gegenwart; die Rückverpflanzung
eines Großereignisses, das man sonst nur kennt als mittels einem fürs
restlose Einfangen noch der kleinsten Details des Sportspektakels technisch
hochgepushten modernsten Aufzeichnungsapparats medial (und, vergessen wir nicht,
von den Marketing-Departments als letzte große Chance zur Durchsetzung
des HD-Fernsehers) in einer ganz anderen Ästhetik über-ausgebeutet;
und natürlich, Medienwissenschaftlerbefriedigungsgenre-mäßig
unvermeidlich, die allumfassende Remedialisierung von in die 8mm-Materialästhetik
eingeschrumpften Fernseh-, Handy-, Computerbildschirminhalten, was ja immerhin
diskursiv ganz cute ist …
...
prima Arbeit im Bereich Entautomatisierung der Wahrnehmung (grundlegende Forderung
wohl des Formalismus?); der Umweltwahrnehmung, einerseits, das zerwackelte Durchwandern
von Korridoren und Gärten usw. usf., (für den Laien, dem die Kamera
in die Hand gegeben) erste wackelig-vorsichtige Erforschung gewohnter Räume
in einem neuen Medium und einer neuen Kognitions- und Navigations- und Seh-Form;
des Kinos andererseits, wie das Material des Laien sich durch die Anordnung
mit eigenem Material und Montage des Mannes, der ihm die Kamera gab, sich etwa
zum ersten Mal, beim ersten Zusammentreffen (nachdem man sich zuvor mit 8mm-POVs
wunderschön lange in einer Gartenlandschaft gesucht hatte), in Schuss und
Gegenschuss auflöst (der Filmprofi-Autor, neben seinem Filmlaien-Kameramann
stehend, meint voller Pathos, das ist der Moment, wo aus dem Material zum ersten
Mal KINO entsteht) ...
...
es bewahrt die filmische Durchquerung privilegierter Räume, in die man
als normaler Gast nicht gelangt, die ausreservierten und von Security bewachten
Etagen der Luxushotels, die Spielerkabinen, der Balkon der hochgestellten Persönlichkeiten
mit Blick hinab aufs jubelnde Volk am Schluss, in Super8 Geheimnis und Kryptisierung
und spannendes Tabu, die in der hochauflösend-kalten Nacktlegung der digitalen
Kamera verloren gehen, die für sich, ganz Demokratie heuchelnd, die privilegierten
Räume uns bis aufs letzte Staubkörnchen in der Ecke offengelegt behauptet,
was sie jedoch natürlich nicht wirklich erreichbarer macht …
Christian
Heller
Dieser
Text ist zuerst erschienen in:
Substitute
Frankreich
2006 - Regie: Fred Poulet, Vikash Dhorasoo - Mitwirkende: Vikash Dhorasoo, Fred
Poulet, Gregory Coupet, Mickael Landreau, William Gallas, Gael Givet, Sidney
Govou, Thierry Henry, Zinédine Zidane - Fassung: O.m.U. - Länge:
72 min. - Start: 3.6.2010
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