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Summer Wars
Superrechner vs. Supergroßmutter
In seinem Anime "Summer Wars" lässt Mamoru Hosoda die virtuelle Welt OZ gegen die japanische Tradition
antreten und entwirft dabei ein Projekt der Versöhnung von Gegenwart und
Vergangenheit, von Generationen und Geschlechtern: angenehm komplex, ohne Berührungsängste
mit alten und neuen Welten und offen für ins Große gehende Fantastik.
Es beginnt harmlos und für Kenji erfreulich genug.
Keine geringere als Natsuki, das beliebteste Mädchen der Schule, bittet ihn,
sie während der Sommerferien als Assistent (oder so) aufs Land zu begleiten.
Ausgerechnet ihn, den sozial verunsicherten Mathe-Otaku ohne
Freundin-Erfahrung; sein bester Freund, der Computer-Wiz, bleibt
am Rechner zurück. Man fährt hinaus in ein grünes, traditionelles
Japan. Das Anwesen ist ein Musterbeispiel jahrhundertealter Architektur. Auch
die Familie Natsukis hat weit in die Vergangenheit zurückreichende Samurai-Wurzeln:
eine prächtige Rüstung im Haus zeugt davon. Wie Kenji schnell lernt,
war "Assistent" und "aufs Land" allerdings eine arg ungenaue
Job-Beschreibung für das, was Natsuki von ihm erwartet.
Sie stellt ihn nämlich der ganzen Familie und vor allem der Großmutter,
zu deren 90. Geburtstag alle angereist sind, als ihren Boyfriend vor.
Für Kenji, der auf der Stelle schweigt, stottert, errötet, ein Rollenspiel-Ferienjob
der besonderen Art.
Rollenspiele andererseits kennt nicht nur er. Der ganze
Film beginnt in einer komplett anderen Sphäre, der mit allen virtuellen
Schikanen ausgestatteten Parallelwelt OZ: MMOG a la Warcraft, weltumspannende
Community mit mehr oder minder putzigen Anime-Avataren, eine
per Handy und Rechner in abermillionen Accounts an die wirkliche Welt angeschlossenes Parallel-Universum.
Es ist schnell mehr als ersichtlich: "Summer Wars"
sucht den Kontrast. Die Großmutter in tradtioneller
Kleidung greift, wenn es sein muss, zum alten Kampfspeer an der Wand, und zwar
um den Neffen Wabisuke zu attackieren. Der ist das schwarze Schaf der Familie,
hat Japan vor zehn Jahren Richtung Amerika verlassen und dort, wie sich bald
herausstellt, eine künstliche Intelligenz herbeiprogrammiert,
die, vom US-Militär in die OZ-Welt entlassen, dort Accounts rafft, Anschlüsse
sperrt und zu einer vernichtenden Schlacht gegen die wirkliche Welt rüstet.
OZ gegen Tradition. Einerseits: friedliche Landschaft
mit grünen Hügeln, Holzhausanwesen und den in der Gegenwart weiter
ausgeübten Riten der japanischen Überlieferung. Andererseits: Kazuma, Vertreter der jüngsten Generation, sitzt, Kopfhörer auf
den Ohren, am Rechner. Ein Handy hat jeder, ein Iphone ist
mehrfach ausdrücklich im Bild. Die alte analoge ist mit der neuen digitalen
Welt also an diesem wie an jedem anderen Ort längst verbunden. Diese Anordnung
kippt der Film in allegorischer Absicht aus der fragilen Balance. Alles beginnt
scheinbar harmlos mit einem als MMS aufs Handy geschickten Matherätsel
für Kenji. Der löst das (denkt man) und wird tags darauf im Fernsehen
als Hacker gesucht, der OZ komplett durcheinandergebracht hat. In OZ nämlich
ist jetzt der Teufel los, soll heißen: die erst als leicht angescifiter Krieger, dann als böser schwarzer Accountraub-Leviathan
repräsentierte, von Wabisuke programmierte künstliche Intelligenz (ironischer
Name: "Love Machine") reißt alle Macht an sich. Und keineswegs
will sie nur spielen. Sie übernimmt die Kontrolle über einen Satelliten
und jagt ihn in Richtung, ist zu befürchten, eines Atomkraftwerks.
Beiden Welten, der alten Draußenwelt
und der neuen Drinnenwelt, schenkt "Summer Wars"
mit Bedacht gleich große Aufmerksamkeit. Er spielt sie mitnichten gegeneinander
aus und gewinnt einer jeden ihre durchaus spezifische Schönheit ab. Sehr
schön etwa eine Kameraseitwärtsfahrt über die in Trauer getauchte Gesellschaft, die
zum Holzschnitt vor Bäumen, Wolken, Natur stillgestellt ist. Zweidimensional,
bunt vor weiß, dagegen das hektische OZ in ständiger rasender Bewegung
der Logos, Avatare und Beziehungskonfigurationen. Entworfen sind die alte
und die neue Welt von verschiedenen Animatoren, so dass einerseits die Differenz
zwischen der seit den Sechzigern vertrauten japanischen Anime-Ästhetik
a la Miyazaki und der verniedlichten Online-Umgebung virtueller Environments
deutlich herausgestellt wird.
Andererseits verteilt das Drehbuch die möglichen
Positionen zum Verhältnis der Welten auf Einzelfiguren. Der digital native
steht neben seiner komplett ahnungslosen Tante, der Computerhändler und
das Programmiergenie neben dem Onkel, der immer nur von den Samuraischlachten der Vergangenheit schwafelt. Symbolisch gefasst wird
der Konflikt in der Konkurrenz um herangeschaffte Eisblöcke, die einerseits
den brachial ins Traditionshaus geschleppten Superrechner, andererseits die
nach allen Regeln hergebrachter Rituale aufgebahrte (unterdessen nämlich
verstorbene) Supergroßmutter kühlen sollen.
Wie sich nach zahlreichen Wendungen und Wechselwirkungen,
dem Einsatz von Programmier- und Rechen-, von Kampf- und Spielkunst, am Ende
erweist, versteht sich "Summer Wars"
als Projekt der Versöhnung. Der Leviathan wird im Zangengriff von Gegenwart
und Vergangenheit zur Strecke gebracht. Erst sperrt man ihn in ein flugs zum
Traditionshaus umgerechnetes Online-Verlies. Dann fordert Natsuki "Love
Machine" zum virtuellen Duell im traditionsreichen Kartenspiel
Koi-Koi, in dem die Großmutter die Kinder geübt hat
(mit der Produktion der dabei verwendeten Hanafuda-Karten ist übrigens
im 19. Jahrhundert der Konzern Nintendo groß geworden). Kenji rechnet,
die Schweißperlen auf der Stirn. Wabisuke reißt unterdessen
die virtuellen Schutzzäune nieder. Ein jeder tut, was er trainiert hat
und wozu er begabt ist.
Das alles macht den Film zum Reißbrett-Entwurf
auf hohem Niveau der Diskursarchitektur einer sehr gegenwärtigen querelle des anciens et modernes. Man sieht an "Summer Wars",
wie selbstverständlich die japanische Anime-Kultur, anders als Pixar und Disney am anderen Ufer des Pazifik, komplexe, an Erwachsene
gerichtete Geschichten erzählt. Dass das Versöhnungsprojekt möglicherweise
nicht auf jeder Ebene auf der Höhe seiner eigenen Ansprüche ist, macht
es dabei eher noch zusätzlich interessant. So bleibt die Gender-Rollenverteilung
auf doch etwas ärgerliche Weise konservativ tradionsorientiert:
Die weiblichen Figuren stehen für Kartenspiel und Herkunftsbewusstsein,
die Jungs können Rechnen und Kampfsport. (Nicht unpassend: Das Drehbuch
stammt von einer Autorin, Satoko Okudera, Regie führt ein Mann, Mamoru Hosoda.)
Während sich auf dieser Ebene die Waage also eher
ungut in Richtung schlechter Tradition neigt, kann man umgekehrt wohl sagen,
dass der Film in seiner Ästhetik auf die Seite der Gegenwart kippt. Im
ständigen und oft hektischen und stets unvermittelten Hin und Her, in den
abrupten Wendungen und Sprüngen zwischen realer und virtueller Wirklichkeit
fühlt sich "Summer Wars" extrem zeitgenössisch
an. Und zwar auch und gerade in seinem Respekt für die Inseln der Ruhe,
die mehr als das eben nicht mehr sind. Tradition ist, so die These, Kurzzeiterholung
von einer Gegenwart, der man komplett nur um den Preis der eigenen Vernichtung
entkommt.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen in: www.perlentaucher.de
Summer Wars
2009 - Originaltitel: Samâ
wôzu - Regie: Mamoru Hosoda - Darsteller:
Animationsfilm - FSK: ab 12 - Länge: 114 min. - Start: 12.8.2010
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