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The
Man Who Wasn’t There
Gehören
Sie zu denen, die in Galerien und Museen gehen, um tolle Photographien zu betrachten?
Dann sind Sie in diesem Film richtig. Jede Einstellung verdient, gerahmt und
ausgestellt zu werden. Die Coen-Brüder haben liebevoll und akkurat die
Zeit nachgestellt, in der soeben der Tetrachlorkohlenwasserstoff für die
Trockenwäsche entdeckt wird. Wir müssen bewundern, wie die Zeit des
film noir gewaschen, getrocknet, aufgehellt und gefönt wird. Die Düsternis
von damals erfreut jetzt als besonnte Vergangenheit, wir tauchen ein in eine
dezente blonde Tönung. Außerdem sind wir in einem Frisörsalon,
in welchem unser Held seinerseits Dauerwellen legt. Normalität.
Auf
den zweiten Blick aber herrscht Resignation und Verzweiflung. Unser Held ist
wortkarg. Er bescheidet sich damit, auf das zu reagieren, was ihm widerfährt.
Was das im einzelnen ist, kündigt sich schon deswegen nicht an, weil der
Film ausgesprochen dialogarm ist. Wir werden daher überrascht. Optisch.
Gespenstisch, lautlos, schwebt ein Oldtimer zwischen den Wipfeln, im Schmetterlingstempo.
Gleich darauf wird das feenhafte Gefährt vom hochstilisierten Nostalgielevel
auf den finsteren Boden der Tatsachen stürzen. Die Coen-Brüder scherzen.
Sie können das.
Eine
sanfte Ironie durchzieht die Welt der schönen Exponate. Den lieben langen
Film hindurch werden Einstellungen zitiert, die wir aus den Alben der schönen
Künste kennen oder zu kennen meinen, bloß lustig gemacht haben wir
uns darüber noch nicht. Denn auf dem finsteren Level wird eine böse
Geschichte erzählt. Die Frau geht fremd – mit dem Chef. Was ist zu tun,
wenn man kleiner Angestellter ist?
Der
Film endet mit der Gerichtsverhandlung des klassischen schwarzen Films. Eine
bitterböse Satire. Der Angeklagte ist das Opfer von Richtern und Verteidigern.
Er wird in mehrfachem Sinn vorgeführt. Der Prozeß, der ihm widerfährt,
ist aus seiner Sicht unbegreiflich. Das Lachen bleibt jetzt im Hals stecken.
Da die Kameraeinstellungen uns keine andere Wahl lassen, als uns mit dem zu
identifizieren, der die Gesetze des neuen Markts nicht beherrscht und sowieso
nicht das, was in der vorgeblich guten alten Zeit abläuft – weil das so
ist, gehen wir mit ihm in die Todeszelle, die Gurte werden festgezurrt, der
Hebel wird umgelegt, und es ist logisch, daß der Film dann abbricht. Es
ist im Kino – ich sag’s aus gegebenem Anlaß – nicht der Vorführer
schuld, wenn’s hell wird, einfach so.
Dietrich
Kuhlbrodt
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: konkret
Zu diesem
Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
The Man Who Wasn't There
USA 2001. R: Joel Coen. B: Ethan und Joel Coen. P: Ethan Coen. K: Roger Deakins. Sch: Roderick Jaynes, Tricia Cooke. M: Carter Burwell. T: Peter Kurland. A: Dennis Gassner, Chris Gorak. Ko: Mary Zophres. Sp: Janek Sirrs. Pg: USA Films/Working Title. V: Constantin. L: 116 Min. Da: Billy Bob Thornton (Ed Crane), Frances McDormand (Doris Crane), Michael Badalucco (Frank), James Gandolfini (Big Dave), Katherine Borowitz (Ann), Jon Polito (Creighton Tolliver), Scarlett Johansson (Birdy), Richard Jenkins (Walter), Tomy Shalhoub (Freddy Riedenschneider). Start: 8.11.2002 (D), 9.11.2002 (A), 24.1.2002 (CH).
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