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Trash Humpers

 

 

 

Der post-apokalyptische Science-Fiction-Film hat seinen Schlüsselmoment, wenn der Held in den Ruinen der menschlichen Zivilisation auf ein Zeugnis aus der Vergangenheit stößt, gewöhnlich ein Tonband oder ein verkratzter Nachrichtenfilm. Harmony Korines “Trash Humpers”, mehr ein Artifakt denn ein Film im herkömmlichen Sinne, spielt mit genau dieser Idee. Digital gedreht, hat Korine seinen Film so stark nachbearbeitet, dass er wie eine VHS-Kopie in der fünften Generation aussieht, inklusive Video-Dropouts, Laufstreifen und gelegentlich blinkender Play-Anzeige im oberen Bildfenster. Zukünftige Generationen dürften sich wundern, sollte ihnen “Trash Humpers” in hundert Jahren zufällig in die Hände fallen. Die sozialen Praktiken, die der Film zu dokumentieren vorgibt, sind mit grenzwertig nur vorsichtig umschrieben.

Korine folgt einer Gruppe von vier Personen in Seniorenmasken durch eine suburbane Einöde, die apokalyptische Züge trägt. Auf verlassenen Parkplätzen und in zugemüllten Seitengassen gehen seine Protagonisten merkwürdigen Aktivitäten nach: Wie notgeile Teenager rammeln sie Mülltonnen (das titelgebene trash humping), verarbeiten Fernseher zu Kleinholz und fahren heulend auf Kinderrädern durch leergefegte Straßen. Zwischendurch holen sie echte Senioren vor die Kamera, die von ihren Genitalien delirieren, filmen sich gegenseitig beim Erzählen homophober Witze und singen in schiefer Tonlage ein ausdrucksloses “Stille Nacht”. Nach 75 Minuten ist der Film einfach vorbei.

So singulär “Trash Humpers” aus der Masse des aktuellen amerikanischen Independentkinos auch herausragt, lassen sich doch historische Vorläufer finden. Mitte der achtziger Jahre formierte sich in New York um die Filmemacher Richard Kern und Nick Zedd das “Cinema of Transgression”, das gleichermaßen von der Performancekunst der Wiener Aktionisten, dem amerikanischen Undergroundfilm der sechziger Jahre (von Jack Smith bis Kenneth Anger) und der lokalen Punk/Noise-Szene beeinflusst war. Während man die Filme Richard Kerns aber noch als (drastische) Distanzierung von einem vorherrschenden Kunst/Kino-Diskurs begreifen konnte (der zwangsläufig auch stark von der Metropole New York geprägt war), kehrt Korine nach einem kurzen Ausflug ins große Kino (seinem vergleichsweise konventionellen “Mister Lonely” über einen traurigen Michael Jackson-Imitatoren war an der Kinokasse wenig Glück beschieden) zu seinen Wurzeln zurück. “Trash Humpers” dreht sich um den altbekannten Korine-Mikrokosmos, dem White Trash-Lebensraum seiner Filme “Gummo” und “Julien Donkey-Boy”. Zwei unvergessliche Szenen werden in “Trash Humpers” sogar wieder aufgegriffen: die schmerzhaften Esstisch-Gespräche aus “Julien Donkey-Boy” (diesmal ohne Werner Herzog) und die entgrenzte Küchen-Zerstörungsorgie aus “Gummo” hat Korine noch einmal auf die Spitze getrieben.

“Trash Humpers” ist im Grunde ein Prank, doch was Korines faux video vérité von einem Format wie “Jackass” unterscheidet, ist seine unterschwellige Aggression, die sich mitunter gegen den Zuschauer selbst zu richten scheint. Der befreiende Anarchismus der “Jackass”-Streiche weicht einer dumpfen, fast peinigenden Gleichgültigkeit. Korine war immer schon mehr Anthropologe als Filmemacher, mit einer obsessiven Faszination für die weiße amerikanische Unterschicht. “Trash Humpers” schildert einen eigentlich interessanten Tribalismus (die Masken, das rituelle Geheul), der als verstörendes Relikt unserer westlichen Konsumgesellschaft, gefilmt in den zombiehaften Kulissen der amerikanischen Vorstadt, durchaus einen Nerv trifft. Aber Korine kann der Verlockung quälender Redundanz nicht widerstehen. Wäre “Trash Humpers” eine Stunde kürzer, hätte er das Zeug zum Mitternachts-Klassiker.   

Andreas Busche

Dieser Text ist zuerst erschienen in: epd Film


Trash Humpers
USA / Großbritannien 2009 - Regie: Harmony Korine - Darsteller: Rachel Korine, Brian Kotzur, Travis Nicholson, Harmony Korine, Chris Gantry - FSK: keine Jugendfreigabe - Fassung: englische OV - Länge: 74 min. - Start: 17.2.2011

 

 

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