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Übriggebliebene
ausgereifte Haltungen
Im kleinen Kosmos der Pop-Linken waren
die "Goldenen Zitronen" immer die Guten und sie sind bis heute die
Guten geblieben. Als in den frühen Achtzigern im Punk noch der Fun steckte,
den das Verschrecken von Hippies und Heulsusen brachte, waren sie vor Ort (im
Hamburger Pudel-Club) und zur Stelle (im linken Diskurs). Sehr schön sang
Schorsch Kamerun vom Tag, an dem Thomas Anders starb - wenngleich man aus heutiger
Sicht konstatieren muss, dass die andere Hälfte der Fun-Punks von "Modern
Talking" das lohnendere Ziel gewesen wäre. Dank von Bild künstlich
geschürter Empörung wurden die "Zitronen" reich und berühmt
und machten, sich fröhlich verweigernd, das beste
daraus. Sie bekamen ein verlockendes Angebot von der Plattenindustrie - in der
Gestalt eines geschäftstüchtigen und drum eher punkuntüchtigen
Briefs von Tim Renner -, das sie natürlich nicht anders als ablehnen konnten.
So kam der Ruhm und kam das Geld und beide
gingen sie wieder. Die "Zitronen" machten und machen sehr unverdrossen
immer weiter, wenngleich Gaier und Kamerun seit einer Weile Solodinger und Theatersachen
nebenbei oder inzwischen auch hauptberuflich treiben. Anders als die "Hosen"
aber und neunundneunzig von hundert anderen Bands häutete und wandelte
die Band sich so radikal, dass die treuesten Fans und sogar die um Worte niemals
verlegenen Hardcore-Unterstützer Clara Drechsler und Diedrich Diederichsen
nicht immer genau zu sagen wussten, wie ihnen, den Fans, der Band und den Gedanken,
die man sich bisher gemacht hatte zum Projekt, da geschah.
Schorsch Kamerun und Ted Gaier sind, was
das Kino angeht, gebrannte Kinder. Ein Film,
den sie aus nächster Nähe über eine US-Tour zu drehen erlaubten,
geriet geradezu bösartig. Als gebrannte Kinder haben sie wohl auch Peter
Ott nicht getraut, der die Band und ihre Geschichte unter dem angemessen komplizierten
Titel "Übriggebliebene ausgereifte Haltungen" freilich locker
und freundlich, mit Sympathie und ohne Anbiederung porträtiert. Dass Schorsch
Kamerun und Ted Gaier das Feuer nun scheuen, den Auftritt als Dokumentarfilm-Sprechköpfe
verweigern und durch zwei Originaltexte ablesende freundliche ältere Herren
- Kennern der Szene gewiss bekannt, ich habe keine Ahnung, wer die sind - ohne
Krampf nachgespielt werden, schadet nun gar nicht, tut dem Film sogar gut. Ohnehin
sind die beiden in Originalmaterial von früher und Szenen im Plattenstudio
von heute dennoch im Bild.
Zu den sprechenden Köpfen, die Regisseur
Peter Ott in Galerien, Cafes und anderen Stätten ihres Wirkens aufsucht,
gehört neben Drechsler und Diederichsen auch der unversehens zum Maler-Superstar
gereifte Daniel Richter, einst Manager der Band, und zwar, wie er meint, weil
er von allen am wenigsten Ahnung hatte davon, wie man mit Geld umgeht. Koketterien
dieser Art finden sich öfter, aber man glaubt's eigentlich gerne. Schließlich
sieht man die jungen "Zitronen" auf Bühnen toben wie die echten
Punks, die sie waren. Und sie sind, was man daran merkt, dass sie keine mehr
sind, echte Punks auch geblieben. Haben immer weiter die Freunde, die sich als
die falschen erwiesen, aus den Konzerten geschmissen. Haben im Grunde dabei
nie über Zielgruppen nachgedacht, sondern einzig über das, was die
Sache und nur die Sache notwendig macht.
Jene hier einmal zustande kommenden schönen
Momente der Linken, zu denen es kommt, wenn richtiges Leben und Massenappeal
mal in einer Band oder Figur oder Idee zusammengehen, wenn aus individuell diffusem
Fühlen und Denken also eine kollektive Bewegung wird, werden im Nachhinein
von Diederichsen/Drechsler am Beispiel "Zitronen" eher mit Staunen
betrachtet als verklärt. Das alles ging ja vorüber. Die Missionierung
der Linken im Osten in den Wohlfahrtsausschüssen der frühen Neunziger
war ein Schuss in den Ofen, das sieht die Mehrzahl der Beteiligten heute ebenfalls
so. Die "Zitronen" wurden im Osten von Neonazis beinahe gelyncht und
verloren mit Fleiß große Teile ihres Publikums auch im Westen. Seit
den Neunzigern spätestens machten sie auf ziemlich unberechenbare Weise
ziemlich komplizierte menschenfreundliche Untergrundmusik. Peter Otts Film referiert
das mit leiser Ironie und auch Selbstironie, durchweg aber auch mit Respekt.
Dieser Ton passt ziemlich gut zur Musik.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Übriggebliebene
ausgereifte Haltungen
Deutschland
2007 - Regie: Peter Ott - Darsteller: (Mitwirkende) Julius Block, Enno Palluca,
Ted Gaier, Schorsch Kamerun, Mense Reents, Stephan Rath, Thomas Wenzel, Rebecca
Walsh, Ale Sexfeind, Hans Platzgumer - FSK: ab 6 - Länge: 89 min. - Start:
6.11.2008
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