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Übriggebliebene
ausgereifte Haltungen
Dass die Zusammenarbeit mit der Hamburger
Punk- und Avantgardeband „Die Goldenen Zitronen“ nicht immer ganz unproblematisch
ist, musste bereits Jörg Siepmann erfahren, als sich die Band im Nachhinein
entschieden von seinem US-Tourfilm „Golden Lemons“ (fd 36 105) distanzierte,
weil dieser nicht reflektiert genug ausgefallen sei. Was die ostentativ querköpfige
Band unter Reflexion versteht, kann man nun in einigen aussagekräftigen
Szenen in Peter Otts neuem Anlauf, der „Goldenen Zitronen“ in irgendeiner Form
„habhaft“ zu werden, sehr schön beobachten. Man arbeitet an einem Song,
der auch ganz gut funktioniert, aber dann setzen die Zweifel ein: Ist das Glatte
jetzt nicht aktuell ein Signal in die falsche Richtung? Ist es überhaupt
zu glatt? Kann man diese Geste gerade jetzt unter Umständen auch falsch
verstehen? Müsste man nicht aktiver gegen bestimmte Erwartungshaltungen
des Publikums vorgehen, sie vielleicht sogar subversiv zu unterlaufen versuchen?
Und was, wenn das Resultat solch strategischer Reflexionen dann doch etwas „billig“
oder gar opportunistisch rüberkommt? Da nennt man das aktuelle Album lieber
unmissverständlich „Lenin“. Bloß nicht den Eindruck erwecken, mit
dem Zeitgeist zu schwimmen! Die „Goldenen Zitronen“ haben nämlich eine
Mission: sie werden niemals „denen ihr Spiel spielen“, eher wählen sie
den steinigen Weg der Selbstmarginalisierung und machen weiter ihr politisch
korrektes Ding: unabhängig sein. Mit gehangen, mit gefangen: Wie Thomas
Wenzel, „Zitrone“ der dritten Generation und auch bei „Die Sterne“ dabei, zu
Protokoll gibt, sind die Zeiten, als man die Band verlassen konnte, wenn man
wollte, längst vorbei. Er lacht dabei nicht. Auch Ale Sexfeind, bis 1990
Drummer der „Ur-Zitronen“, lacht nicht, als er feststellt, er sei damals aus
der Band gemobbt worden. Überhaupt: in der Haut der Musiker möchte
man nicht stecken.
Fun Punk – das war einmal. Was heute zählt,
sind Disziplin und permanentes Sich-und-das-System-insgesamt-in-Frage-Stellen.
Man muss sich das so vorstellen: Die beiden Bandleader Schorsch Kamerun und
Ted Gaier gehen zu einem Interview in eine Fernsehshow, geben sich dort ausgesprochen
maulfaul und bekennen auch offen, dass sie diesen ganzen Promo-Interview-Quatsch
überhaupt nicht mögen, ja wahrscheinlich sogar verachten. Sie hätten
natürlich auch wegbleiben können. Und mit den Dreharbeiten zu Peter
Otts Film, obgleich eine Auftragsarbeit zum 25sten Geburtstag der Band, verhält
es sich auch so, weshalb Kamerun und Gaier sich als Gesprächspartner fast
völlig entziehen und dieses Feld „Ex-Zitronen“ wie Aldo Moro, Ale Sexfeind
oder Psycho 1 überlassen, was „Übriggebliebene ausgereifte Haltungen“
einen seltsamen Drall verleiht, weil diese durchaus eine gewisse ironische Distanz
zum Vorgestellten aufbringen. Was man dabei nicht vergessen darf: Die „Goldenen
Zitronen“ sind eine absolut integre politische Instanz innerhalb dessen, was
von der Indie-Szene noch übrig ist. Man möchte den Rigorismus ihrer
Haltung nicht unbedingt teilen, aber sie nötigt schon Respekt ab, zumal
dieses Bandkollektiv wirklich unberechenbar ist. Ted Gaier erzählt im Interview
davon, dass man erlebt hat, wie befreundete Kollegen der „Hamburger Schule“
plötzlich durchstarteten und Karriere machten. Man hat das beobachtet,
durchaus sogar respektiert, aber selbst wollte man die eigene Unabhängigkeit
um keinen Preis aufs Spiel setzen. Als die Musikindustrie der Band vor vielen
Jahren einmal ein lukratives Angebot machte, hat man darauf nicht reagiert.
„Warum nicht?“, fragt der Filmemacher. „Warum?“, fragt Ale Sexfeind dagegen.
Größere künstlerische Unabhängigkeit als damals sei gar
nicht denkbar gewesen. Heute käme niemand mehr seitens der Industrie auf
die Idee, die „Goldenen Zitronen“ unter Vertrag nehmen zu wollen. Diese Form
der subkulturellen Dissidenz als Prinzip akkumuliert reichlich symbolisches
Kapital. Leben kann man davon allerdings nicht: „Keiner von den Zitronen kann
nur von den Zitronen leben!“, heißt es einmal. Wovon die Musiker sonst
so leben, von anderen Bands, von Arbeit fürs bürgerliche Theater,
von Hörspielen etc., verrät der Film nicht. Immerhin: der eloquent-ironische
Maler Daniel Richter, heute ein Star der Szene, war einmal der Manager der Band
– und macht von der ersten Einstellung an klar, dass die Porträtierten
ganz genau wissen, wie man den Bilderfluss kontrolliert.
Um den ungewöhnlichen, aber ziemlich
durchgestylten Habitus der „Goldies“ (wie Fans sagen) zu verstehen, muss man
– wie es Ott auch ausführlich tut – sich die Geschichte der Band genauer
anschauen. Angefangen hat man Mitte der 1980er-Jahre als kunterbunte Fun-Punk-Band,
die Humor und Alkohol auf kreative Weise zusammenzuführen verstand. Mit
dem Song „Am Tag, als Thomas Anders starb“ machte man 1986 erstmals eine größere
Öffentlichkeit auf sich aufmerksam. Seinerzeit spielte man häufig
mit den „Toten Hosen“. Doch während die sich später in Richtung Stadionrock
mit kirchentagstauglichem Frontmann entwickelten, politisierten und radikalisierten
sich die „Goldenen Zitronen“ insbesondere im Umfeld der Wohlfahrtsausschüsse
nach der Wiedervereinigung. Während die Band jetzt unmissverständliche
Stücke wie „80 Millionen Hooligans“ ins Repertoire nahm und musikalisch
immer unberechenbarer wurde, versuchte sie, ihren feierwilligen Fans zu entkommen,
die noch immer ihre „lustigen“ „Ficken Bumsen Blasen“-Shirts trugen. Wichtige
Stichworte sind hier: Hamburger Hafenstraße, Hoyerswerder und der neue
Patriotismus. Die „Goldenen Zitronen“, heißt es, waren gegen die Politik,
gegen das Establishment, gegen den Staat und gegen die Bullen.
Dass es bei Konzerten keinen Unterschied
zwischen Publikum und Band geben sollte, ist dagegen Utopie geblieben. Der Filmemacher
hält sich aus all dem heraus, suggeriert teilweise sogar eine größere
Distanz zur Band als de facto vorliegen dürfte, und strukturiert sein Material
oberflächlich durch Inserts wie „Autonomie vs. Ökonomie“, „Ironie
vs. Ideologie“ oder „Publikum vs. politische Korrekturen“, wobei diese Themen
zwar angerissen, aber nicht konzentriert bearbeitet werden. So lässt dieser
Film trotz des erstaunlich reichen Archivmaterials viele Wünsche offen.
Wer sich dafür interessiert, wie die „Goldenen Zitronen“ abseits von Bühne
und Studio ticken, bleibt weiterhin angewiesen auf die ältere Doku-Fiction
„Swingpfennig/Deutschmark“ (1993) von Margit Czenki.
Ulrich Kriest
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Übriggebliebene
ausgereifte Haltungen
Deutschland
2007 - Regie: Peter Ott - Darsteller: (Mitwirkende) Julius Block, Enno Palluca,
Ted Gaier, Schorsch Kamerun, Mense Reents, Stephan Rath, Thomas Wenzel, Rebecca
Walsh, Ale Sexfeind, Hans Platzgumer - FSK: ab 6 - Länge: 89 min. - Start:
6.11.2008
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