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Unbeugsam
- Defiance
Aus der Pressevorführung von Defiance
war ich nach einer halben Stunde rausgelaufen. Mein Wahrnehmungssystem war komplett
abgestürzt. Ich hätte noch weitere 110 Minuten sehen müssen.
Unmöglich. Was war geschehen? Was ich gesehen hatte und was ich erwarten
konnte, war inhaltlich großes Thema, das spannend hätte sein müssen.
1941. Polen/Litauen. Krieg. Massenmorde. Judenerschießungen. Täter:
Wehrmacht und SS. Opfer: --- In Defiance nehmen Juden und Polen die Opferrolle
nicht an. Statt sich massakrieren zu lassen, sind es Juden, die unter den Nazis
und ihren Sympathisanten ein Massaker veranstalten. Blood for blood. Defiance
ist ein US-amerikanischer Film. Den Gehenkten haben die Deutschen Schilder in
englischer Sprache umgehängt. Läuft man deswegen aus dem Kino? Oder
war es der Bond-Darsteller Daniel Craig in der Rolle einer der drei Bielskibrüder,
die sich tief im finstren Wald zusammenraufen und ihre Strategien diskutieren?
Oder war es der dichte, lückenlose Wortteppich der Dialoge, die den zu
Grunde liegenden Roman in aller Eile rüberbringen, gefühlt-komplett?
Oder war es das inszenatorische Unvermögen des Regisseurs Edward Zwick
(Blood
Diamond, Der letzte Samurai),
der die vielen Juden, die bei den Partisanen Zuflucht suchen, mit hängenden
Armen herumstehen lässt, ins Bild auf- und aus dem Bild abtretend, als
wären dort Kulissen und nicht kilometerlange Wälder? Oder glaubt man
schlichtweg nicht an den Wald, weil er zur Guckkastenbühne wird, zur Kamera
hin offen, und dazu dient, exemplarische Wortbotschaften zu vermitteln. Gleich
losschlagen? Erst die Organisationsfrage klären? Anders herum: erst kommt
das Fressen? Dann die Aktion? Das wird didaktisch vorgeführt. Daniel Craig
killt einen Wehrmachtsoffizier, der nachts im Wald uriniert. Okay. Aber dann
zieht er es, nach einer Strategiedebatte mit seinen beiden Brüdern vor,
Bauern, die mit dem Pferdekarren zu den Nazistandorten fahren, Milchkannen und
Pelze wegzunehmen. Lässig, cool. Craig ist der Held. Aber mir gelingt es
nicht, an diese und die anderen Szenen zu glauben. Wenn die Bauern Vorräte
haben, warum wandern sie dann tief in den Wald, um bei den Flüchtlingen
nach Lebensmitteln zu suchen, mit vorgehaltenem Gewehr?
Nä. Zuviel der Fragezeichen. Zuviel Eingaben in mein zerebrales Biosystem. Mitten beim
Speichern schalten die Synapsen ab. Egal. Defiance kommt ins Kino. Am
23. April.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Konkret 3/2009
Unbeugsam
- Defiance
USA
2008 - Originaltitel: Defiance - Regie: Edward Zwick - Darsteller: Daniel Craig,
Liev Schreiber, Jamie Bell, Alexa Davalos, Allan Corduner, Mark Feuerstein,
Mia Wasikowska, Tomas Arana, Jodhi May, Kate Fahy, Iddo Goldberg - Prädikat:
besonders wertvoll - Start: 23.4.2009
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