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Underground (1995)
Lügenhafte
Feste, satte Wahrheiten
Der Krieg in Bosnien wurde in Belgrad
inszeniert. Anfang 1995 drehte dort Emir Kusturica, geboren in Sarajevo, seinen
Film zu Ende – die gewaltige Schock- & Lach-Parabel, die einem ästhetisch
und politisch den Boden unter den Füßen wegreißt, zur merkwürdigerweise
immer neuen Verblüffung. Drunter ist, wie der Titel es verspricht, der
Untergrund. Und der ist ein inszenatorischer Kunstbau von inflationären
Maßen, der sich wie verrückt ausdehnt im Lauf der Geschichte oder
richtiger des Es-war-einmal, das kurz vor dem Einmarsch der Nazis in Maribor,
Slowenien, beginnt – ein kleiner Schutzkeller zunächst, der sich in den
169 Filmminuten zu einem Tunnelsystem ausweitet, das alle Schutzbauten Hitlers
und Ceaucescus um ein Vielfaches übertrifft. Schließlich erfahren
wir die Wahrheit: daß untergründig die Hauptstädte Europas verbunden
sind, bspw. über die Subroute Berlin-Balkan-Athen, und wer heute vor dem
Reichstag den Gullydeckel lüftet – ein letzter Blick zurück nach oben,
gerade sind noch die Worte »Dem Deutschen Volke« zu entziffern –
, der kriecht bei irgendeinem bosnisch-kroatischen Massaker wieder ans Tageslicht,
glücklich dem unterirdischen Wahnsinnsverkehr entronnen, ein Laster nach
dem anderen schrammt an den Tunnelwänden entlang, Abgase verdunkeln das
Abblendlicht.
Hitler hatte die Kapazität der Entlüftungsventilatoren
falsch bemessen. Heute kassieren schwarzhäutige Blauhelme für unterirdische
Flüchtlingstransporte. Waffenhändler machen Kasse für Lieferungen
nach Serbien und Kroatien – egal, wer der Abnehmer ist. Wir sind beim Exjugoslawen
Marko, dem schurkischen und gar nicht unsympathischen Helden und seiner Frau,
der schönen und zweckmäßig optierenden Natalija. Gegen Schluß
des Films sind sie reich, VIPs und all das; die Rückreise tritt das Waffenhändlerpaar
standesgemäß im Mercedes 500 an, Kennzeichen M-TV 6769, doch halt,
die gehbehinderten Dealergatten, doppelt riskant im Obergrund aktiv und das
im Rollstuhl, werden in einer überaus imposanten Szene liquidiert und pyrotechnisch
brillant in Brand gesetzt. Ein Fanal! Als lebende Fackel umkreist das vermögende
und in geschlechtlicher Lust vereinte Rollstuhlpaar ein ruinöses Kruzifix,
der Gemarterte hängt mit dem Kopf nach unten, ein Schimmel (Utopie!) durchquert
die Hieronymus-Bosch-Landschaft von rechts nach links und umgekehrt. Ein Bild!
Grande opéra! Schön und gerecht! Oder nicht? Denn das liebende,
aber verkohlende Paar ist so ein richtiger Feind denn doch nicht, immer waren
die beiden unsere Brüder-und-Schwestern, Jugoslawen, verdiente Funktionäre
(er) und Künstler (sie) der kommunistischen Partei des Genossen Tito.
Wieder ist der Boden unter den Füßen
weg. Wie war es doch zu Köln bequem, mit Heinzelmännchen umzugehn,
äh: den Faschistenschweinen einerseits, den Guten (uns) andererseits. Kusturicas
Welt läßt sich nicht sortieren, und wir stecken mittendrin im Schlamassel,
bös involviert. Außerdem bin ich außerstande, das zu tun, was
der Leser, die Leserin als Service erwartet, nämlich den Plot des Films
wiederzugeben. Aber wie das, wenn einer – endlich! – das Bildermedium vom narrativen
Ballast des Und-dann-und-dann-und-dann befreit; schließlich hat der Film
der Literatur voraus, daß er auf die allseits bewunderten Höhlenzeichnungen
zurückgeht, welche man mit Fug & Recht ja auch Undergroundinszenierungen
nennen könnte. Wer auch würde ein kolossales, zudem noch schockierend
komisches Bosch-Bild durch Ausplaudern der dort meinetwegen versteckten Fabeln
angemessen wiedergeben wollen?
Meine Bemühungen sollen nur, ich
bitte um Nachsicht, darauf hindeuten, daß Kusturicas Film »Underground«
tatsächlich in den Abgrund, aber auch in verlockende Tiefen von so etwas
Verdächtigem wie der Seele, auch der Volksseele, eintaucht – und mehr oder
weniger schelmisch auch wieder heraufkommt. Drum geht der Verkehr ins Untergründige
auch gern durch Dorf- und andere altertümliche Brunnen, die infrastrukturell
durch Jugoslawiens Fluß, die Donau, verbunden werden, so daß der
Vater dort in einem Fischnetz gefangen werden kann. – Ein Unding, das verstandesmäßig
aufdröseln zu wollen. Kurz: Wer sich Kusturicas »Underground«
besieht, hat keine Theorie des Untergrundkampfes zu gewärtigen, auch keine
Vorlesung über die Strategie des Bosnienkriegs, wohl aber ein grandioses
Abenteuer der Wahrnehmung, politisch und moralisch so offen, wie man es sich
nur wünschen kann, jedenfalls dann, wenn in der bösen Realität
die oberirdischen Grenzen geschlossen sind.
Ergebnis: Kusturica ist mit seinem Megafaszinosum
»Underground« Undenkbares gelungen, nämlich alle Parteien Ex-
und Rest-Jugoslawiens an einen Tisch zu bringen, wo sie zu Zigeunerweisen in
entspannter Atmosphäre an einem Tisch sitzen, am Donauufer; pathetisch
ist von Verbrüderungen die Rede, Hoffnung! Einheit! Wir sind in der Schlußsequenz
des Films, plötzlich geht der Blick in die Kamera: »Verzeihen können
wir, vergessen nie«, heißt die Botschaft. Ein optimistisches Fest,
aber dann – so geht’s halt zu in diesem Film, underwater in diesem Fall – löst sich die Halbinsel
mitsamt der Festgesellschaft vom Ufer und treibt im großen Strom davon.
Die Kamera, grad noch angesprochen, bleibt zurück. Wir hören etwas,
was statt eines hoffnungsvollen Appells eher Grabrede ist: »In Trauer
und Freude werden wir an unser Land zurückdenken. Es war einmal ...«
Aber mit eben diesen Worten hatte der Film begonnen, und er hatte uns die Geschichte
Jugoslawiens als unablässige Folge politischer Inszenierungen vorgestellt:
Propaganda, Botschaften, Filmmedium, Kamera. Kusturica selbst stellt schließlich
sein Werk augenzwinkernd in den Dienst der propagandistischen Lügeninszenierungen.
Wahrhaftige Selbstironie, brüderliche.
Belgrad 1941. Die Serben Marko und Blacky
betreiben ihren prosperierenden Waffenhandel – die Ware wird durch Überfälle
auf Nazikonvois beschafft – als Kampf für die kommunistische Partei. Zwei
Jahre später sind sie Volkshelden. Blacky wird vom schönen Nazi Franz
(Ernst Stötzner) ebenso blutig wie grotesk gefoltert. Seine Flucht endet
in einem Luftschutzkeller, während die Bomber der Alliierten »das
zu Ende führen, was die Deutschen begonnen hatten, und aus Belgrad eine
Ruinenstadt machen«. Freund Marko, oberirdisch, übernimmt inzwischen
Blackys Frau, die reizende junge Schauspielerin Natalija, und um diesen für
ihn erfreulichen Besitzstand nach der Befreiung zu wahren, inszeniert er für
die Volkshelden im Keller den Fortbestand von Besatzung und Krieg, wofür
er ein Medium braucht. Er betreibt einen Minisender, der täglich »Lili
Marleen« und ähnliche Botschaften in den Keller schickt. Das geht
jahrzehntelang gut. Die Eingeschlossenen finden ihr propagandagestütztes
Leben ganz prima. Funktionär Marko rückt in die Riege von Titos Spitzenfunktionären
auf, ein bißchen Waffenschieberei bleibt auch noch zu erledigen. Doch
dann »nimmt Tito das Geheimnis der Einheit Jugoslawiens« mit ins
Grab. In die historischen Dokumentaraufnahmen von den Trauerfeierlichkeiten
wird Held Marko einkopiert. Wir sehen ihn neben Helmut Schmidt und Kurt Waldheim
die Trauerparade abnehmen, wozu alle Strophen des unausweichlichen »Lili
Marleen« erklingen – eine offensichtliche Mehrfachinszenierung.
Vor einem solchen pompös-komischen
und unverstellt liebevollen Bild glaub ich gleichwohl: Die satte Wahrheit findet
sich in der Inszenierung dieses prallen, lügenhaften Festes, das uns »Underground«
auftischt.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: Konkret 11/1995
Underground (1995)
UNDERGROUND
Frankreich
/ Deutschland / Ungarn - 1995 - 170 (TV: 300) min. – Scope - Verleih: Pandora,
Arthaus (DVD) - Erstaufführung: 23.11.1995/2.9.1996 Video/15.5.1998 arte
- Produktionsfirma: Ciby 2000/Pandora/Novo - Produktion: Pierre Spengler, Karl
Baumgartner
Regie:
Emir Kusturica
Buch:
Dusan Kovacevic, Emir Kusturica
Kamera:
Vilko Filac
Musik:
Goran Bregovic
Schnitt:
Branca Ceperac
Darsteller:
Miki
Manojlovic (Marko)
Lazar
Ristovski (Blacky)
Mirjana
Jokovic (Natalija)
Slavko
Stimac (Ivan)
Ernst
Stötzner
Srdan
Todorovic
Hark
Bohm
Emir
Kusturica
Pierre
Spengler
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