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Und wenn wir alle zusammenziehen?
Andreas Dresen hat mit „Wolke 9“ (fd 38 865) offenbar eine Lawine losgetreten,
wenn auch die Nachfolger seiner ins Mark treffenden Seniorenromanze lieber im
Komödienfach Zuflucht vor den Herausforderungen des Alters zu suchen scheinen.
Stéphane Robelins zweiter Langfilm ist ein weiterer Ensemble-Film, der
sich die jung gebliebenen Senioren von heute als Ausgangsstoff für eine
intime Chronik turbulenter Verwicklungen vornimmt. Während „Best Exotic
Marigold Hotel“ (fd 40 948) sozialkritische Kommentare zur neuen Altersarmut
nicht mied und mit Maggie Smith und Judi Dench ein mehr als rüstiges Gespann
inmitten einer indischen Seniorenresidenz vorweisen konnte, bedient die französische
Variante zwar die gleiche Klaviatur – Gebrechlichkeit, Potenzprobleme von Ex-Erotomanen,
Einsamkeit, Sex im Alter –, allerdings mit weit weniger dialogischem Esprit.
Fünf Freunde jenseits der 70 ziehen in eine Alten-WG im Grünen,
nicht etwa wegen finanzieller Engpässe, sondern weil sie selbstbestimmt
und ohne klinisches Ambiente dem Lebensende entgegen gehen wollen. Jane Fonda
spielt eine pensionierte Philosophie-Professorin, Geraldine Chaplin eine Hausfrau,
und man würde ihnen den seltenen Auftritt am Set durchaus gönnen,
würden nicht beide durch keineswegs amüsantes Overacting und seltsam
maskenhafte Gesichtszüge glänzen. Mit reichlich Pragmatismus ertragen
sie die Marotten, Gedächtnisschwünde und Wehleidigkeiten ihrer männlichen
Mitbewohner, darunter Pierre Richard, der seinem Rollenfach eines unorganisierten
Kauzes auch in diesem Spätwerk keine neuen Facetten hinzufügt. Für
psychische Hygiene sorgt eine Aushilfe in Gestalt von Daniel Brühl. Der
deutsche Ethnologiestudent schreibt eine Doktorarbeit über die Situation
von Rentnern in Europa und betreibt, bewaffnet mit einer Videokamera, unter
seinen zunehmend streitenden Schützlingen Feldforschung. Beim täglichen
Schlagabtausch, stets in ein sommerlich mildes Licht getaucht, kommen verschwiegene
Partnerwechsel zur Sprache, und manch einer entwickelt gar Mordfantasien. Damit
der Klamauk nicht überhandnimmt, sorgen zum Pathos neigende Szenen für
nachdenklichen Mehrwert. Die komödiantische Schonkost mit gelegentlichen
Abstechern ins Makabre – wenn etwa der Swimmingpool, den die Hausherrin für
ihre Enkel im Garten ausgraben lässt, an ein zu groß geratenes Grab
erinnert – ist zwar nicht unsympathisch, weiß aber mit seinem akut auf
die Sozialsysteme zurollenden Thema nichts mehr anzufangen, als eine vorhersehbare
Nummernshow in der Warteschleife zum nächsten auf Pointe getrimmten Herzinfarkt.
Alexandra Wach
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film Dienst
Und wenn wir alle zusammenziehen?
Frankreich / Deutschland 2011 - Originaltitel: Et si on vivait tous ensemble?
- Regie: Stéphane Robelin - Darsteller: Guy Bedos, Daniel Brühl,
Geraldine Chaplin, Jane Fonda, Claude Rich, Pierre Richard, Bernard Malaka -
FSK: ab 6 - Länge: 96 min. - Start: 5.4.2012
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