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United
Trash
Zurück
nach Afrika
Der Filmemacher Christoph Schlingensief
setzt seine im »Deutschen
Kettensägenmassaker«
und in »Terror
2000« begonnene
Abrechnung mit deutschen Wahnvorstellungen fort. Sein Versuch, die Kolonialphantasien
deutscher Möchtegern-Blauhelme vor Ort in Simbabwe zu inszenieren, stieß
jedoch auf ungeahnte Hindernisse. Ein Bericht von den sechswöchigen Dreharbeiten
Der erste devisenträchtige Großauftrag
für das Kopierwerk in Harare! Der erste spielbergmäßige Großeinsatz
von Komparsen und Statisten in einem Schlingensief-Film! Eine schwarze Blauhelmtruppe
wird vom deutschen Uno-General Brenner (Udo Kier) befehligt. Spätestens
wenn der ranghohe Offizier seine Unifom ablegt, um im Fronttheater mit einem
Bananenschurz aufzutreten, sind wir im imaginären Reich der Bilder angelangt,
die wir mit uns herumschleppen, ob wir wollen oder nicht, desto hartnäckiger,
je falscher. Den General Brenner bringt die kreuzfidele Vorstellung vom schwarzen
Afrika schier um den Verstand. Das ist nackte Realität. Denn Deutschland
ist hirnlos genug, Bundeswehreinheiten zum Nato-Einsatz nach Angola zu kommandieren;
das Theater an den Somali-Fronten hat offenbar Spaß gemacht.
Auch die Staatssicherheit von Simbabwe
pflegt ihr Feindbild. Die Geheimpolizei des Ministerpräsidenten Mugabe,
die – wie aus ungewöhnlich gut unterrichteten Kreisen vor Ort zu erfahren
war – von Ceausescus Securitate entsprechend ausgebildet wurde, observiert die
Dreharbeiten für »Die Spalte/The Gap«. Die Agenten vom President`s
Staff durchsuchen Zimmer und Werkstätten. Sie beschlagnahmen Filmmaterial.
Am Drehort nehmen sie Schlingensief und sein Team fest. Graf Leutrum, der deutsche
Botschafter in Harare, interveniert förmlich. Eine Affäre. Die deutsch-simbabwischen
Beziehungen sind belastet; die Entwicklungshilfe scheint demotiviert. Heiligabend
trifft Schlingensief wieder in Deutschland ein. Das Filmmaterial folgt auf verschlungenen
Wegen. Geschafft! Zurück aus Afrika!
Eigentlich war ich mit der politisch total
korrekten Losung »Zurück nach Afrika« in die Heimat der sehr
verehrten Doris Lessing geflogen. Die im damaligen Rhodesien verfemte politische
Kämpferin und Schriftstellerin, die nach 1945 den Berliner Kommunisten
Lessing geehelicht hatte, war nach dem Machtwechsel ins nunmehr schwarze Simbabwe
zurückgekehrt. Ergriffen fuhr ich zwischen den Drehtagen die Strecken ab,
die sie in ihrem Buch Zurück nach Afrika so liebevoll und lebensnah beschrieben
hatte. Derweil filzte die Staatssicherheit unsere Hotelzimmer. Begründung
des förmlichen Durchsuchungsbefehls: Verstoß gegen das simbabwische
Filmzensurgesetz. Klasse Geheimdienst – hat durch geschickte Observation in
Simbabwe herausgefunden, was die Korrekten hierzulande schon längst wissen:
Schlingensief rassistisch-sexistisch! Aber warum sollte die schwarze Stasi klüger
sein als die dummen Deutschen, die das (Zerr-)Bild, das sich einer macht, nicht
von der Realität unterscheiden können und die Satire nicht von der
politischen Losung.
Dabei möchte doch heute jeder deutsche
Fernsehgucker am liebsten Uno-General sein, und dann feste druff! Was hat der
wohl für Bilder im Kopf? Schlingensief holt sie heraus: Der Technologietransfer
führt prompt dazu, daß der schwarze Diktator Hassan mit deutschem
Knowhow eine Rakete baut, die im Weißen Haus, Washington D.C., durch den
Baldachin des Präsidentenbettes rauscht. Für die fünf Personen,
die das Bett gerade benutzen, sind die Folgen verheerend. Es sind: Clinton (Michael
Königer), Hilary (Brigitte Kausch), Jeff Koons und Cicciolina sowie der
von mir dargestellte Außenminister Christopher. Das Ausmaß des Desasters
kommt am besten in einer Trickaufnahme zum Vorschein. Darum baut Donna, umkreist
von aufmerksamen Shona-Kindern, am Set in Brickfield, einer Ziegeleiarbeitersiedlung
mit 100 Prozent Arbeitslosen, eine Himmelbett-Miniatur auf den Dorfplatz. Liebevoll
legt sie die Puppen aufs Bett, verdreht sorgsam die Glieder, entfernt ein linkes
Bein, versengt den Kopf, zerreißt respektvoll die Kleider und schiebt
den Raketenkopf durch den angekokelten Betthimmel. – Einige Kinder lachen. Andere
bleiben ernst. Würden sie lieber mit heilen Puppen spielen? Oder dürfen
die Ärmsten der Armen ans Spielen nicht denken? Ist es dieses deutsche
Design, gegen das die örtliche Zensur richtigerweise einschreitet?
Ich mache mir pflichtgemäß
verständnisvolle, aber völlig unzutreffende Gedanken. Denn wir haben
ganz übersehen, daß auf dem Durchsuchungsbefehl nicht der Name Schlingensief
steht, sondern »Pfeiffer«, und das ist der ortsansässige Entwicklungshelfer,
der gleichzeitig Vizepräsident des quasistaatlichen Kopierwerks und Inhaber
der Firma Framework ist. In Schlingensiefs Filmteam gehört er nicht. Im
Gegenteil: Sein Angebot, gegen eine Beteiligung am Film Schutz vor örtlichen
Pressionen, zum Beispiel durch die Geheimpolizei, zu gewähren, war abgelehnt
worden. – Zwei Tage vor Beginn der Polizeiaktionen ist Herr Pfeiffer abgereist.
Schlingensief ist mit einer für dortige
Verhältnisse beachtlichen Millionenproduktion in politische Auseinandersetzungen
geraten, die innerhalb der Staatspartei toben. Ministerpräsident Mugabe
ist nervös geworden. Er hat für den Beginn dieses Jahres Wahlen angesetzt
und wünscht sich, wie das vor Zeiten im sozialistischen Lager galt, eine
hohe Wahlbeteiligung (er hat sich, da Moskau seine Gegner favorisierte, nach
China orientiert). Doch tat sich zwischen der Inflationsrate von 25 Prozent
und dem Einkommenszuwachs von 12 Prozent bei einer Arbeitslosenquote von 50
Prozent eine fatale Lücke auf, die die Reichen immer reicher und die Armen
immer ärmer werden ließ. Wie wir dem »Herald«, der Regierungszeitung,
entnehmen konnten, war das Regierungslager sich uneins, ob die Verantwortung
für diesen bösen Trend bei eigenen Fehlern oder bei den Weißen
zu suchen sei. Wir lasen, daß diejenigen Schwarzen, die die Schuld bei
den Weißen suchten, von den anderen Schwarzen »Rassisten«
geschimpft wurden. Letztere wiederum warfen dem Informations- und Filmminister
vor, einer weißen Filmproduktion, die »Die Spalte / The Gap«
drehen wollte, eine Drehgenehmigung erteilt zu haben.
Fast täglich pflanzte Graf Leutrum
den offiziellen Stander auf den weißen Dienstmercedes und intervenierte.
Regelmäßig sicherte der Informationsminister die ungestörte
Beendigung der Dreharbeiten zu. Untersuchungen hätten ergeben, daß
der Film nicht anstößig sei. Alle Mißhelligkeiten beruhten
auf einem Mißverständnis. Aber ebenso regelmäßig nahm
die Staatssicherheit Teammitglieder fest, filzte und schikanierte – bis zum
Abflug des letzten, der an Bord ging: Schlingensief. Wobei es letztlich egal
ist, was der Anlaß dafür war, daß die Dreharbeiten zum Spielball
von Innenpolitik und zum Gegenstand der offiziellen Diplomatie wurden: Eine
wegen schlechter Arbeit gekündigte sog. Continuity-Frau, die sich zuvor
bester Beziehungen zu Partei und Staatssicherheit gerühmt hatte, hatte
Schlingensief denunziert. Aber auf diese Weise reagieren alle Geheimdienste
dieser Welt.
Drehgenehmigung: Aus wirtschaftlichen
Erwägungen wird die Filmproduktion herzlich eingeladen, in Simbabwe eine
Million Mark auszugeben. Gedreht wird draußen. Es ist Sommer. Man braucht
keine teuren Studios. Man braucht die Motive: Menschen, Häuser, Fabriken,
Landschaften. Mißbraucht man sie? Wenn das die Sorge der Männer vom
President’s Staff ist, ist der Konflikt mit den eigenen Ministerien vorprogrammiert.
Ein Offizier befürchtet, daß die Größe des von Mugabe
regierten Landes durch unseren Helden, einen schwarzen Liliputaner, nicht hinreichend
repräsentiert werden kann. Schlingensief versucht deutlich zu machen, daß
er einen deutschen Film dreht: deutsche (Zerr-)Bilder vom schwarzen Afrika.
Die Polizei behält sich das Recht
vor, das in Simbabwe gedrehte Material zu sichten und gegebenenfalls freizugeben.
Ehe sie das Negativmaterial beschlagnahmen kann, beschließen wir, es in
einer nächtlichen Aktion aus dem Kopierwerk zu holen. Die Filmrollen lagern
jetzt auf der extraterritorialen Gästetoilette in der Residenz des Grafen
Leutrum. Und doch erzwingt die Polizei die Sichtung wenigstens des Positivmaterials:
der kopierten Rushes. Hierzu hat sie Schlingensief und die anderen festgenommen:
Vorführung des gedrehten Materials oder einige Monate Haft. Die Polizei
ist frustriert: keine Pornographie. Keine Verletzung der Würde des simbabwischen
Staates. Das Ergebnis ist immerhin auch in der Regierungszeitung nachzulesen.
Dennoch gehen die Polizeischikanen weiter.
Die Münchnerin Barbara Valentin,
Ex-Fassbinder-Star, ist vorzeitig abgereist. Sie hatte sich im Hotel damit beschäftigt,
das schwarze Personal zu schikanieren. Diva aller Diven, probte sie in der nagelneuen
Cresta Lodge den sicheren Gang vom Swimmingpool zur Eiswürfelmaschine.
Immer wieder kurvt ihr Negligé an uns vorbei, das den Blick auf einen
intensiv-lilanen Bademodeneinteiler freigibt. Ganz weiße Herrin, kommandiert
sie die Kellner herum. Angeschnauzt wird, wer ihr ins Blickfeld kommt. Da alles
Schwarze schlecht ist, verläßt sie das Hotel nicht. War ihr klar,
daß nicht im cleanen klimatisierten Studio gedreht wird, sondern ausschließlich
draußen, in Dörfern, Fabriken, Ruinen – in allernächster Nähe
zu Zivilisationsmüll und schwarzer Menschlichkeit? Die weiße Diva
und öffentlicher Körperkontakt mit realem Schwarz? Besorgt hatte ich
sie befragt und mit noch größerer Besorgnis erfahren, daß sie
das zu kontaktierende Menschenmaterial zuvor sichten und gegebenenfalls zur
Berührung freigeben würde. Daraus wurde nichts. Draußen, außerhalb
von Pool und Eiswürfelmaschine, folgte dem Kultur- und Realitätsschock
ein Blackout. Schon am zweiten Drehtag wurde sie verwirrt, fern vom Drehort,
inmitten sich sorgender Black People angetroffen. Nicht bei Sinnen.
Und wer spielt jetzt die Rolle der Ehefrau
des deutschen Uno-Generals Brenner? Für »Die Spalte« geriet
Valentins Schock zum Wunder. Denn dank der Vermittlung von L.A.-Resident Udo
Kier reiste Kitten Natividad von einem Tag auf den anderen an. Zuletzt hatte
sie 1977 ihren Ultra-Busen in Russ Meyers Film »Beneath the valley of
the ultra vixens« gezeigt. Eine Frau von Fleisch und Blut! Ein Kumpel!
Sofort in die Mitte der Schlingensief-Familie! Und in die Mitte des Shona-Dorfplatzes,
zum Wasserhahn.
Aufmerksam beäugt von der prüden
Dorfjugend, reinigte sie ihre Prachtstücke, und keiner der amüsierten
Zuschauer erlitt einen Kultur- oder Realitätsschock. Obwohl hier, in den
Wohnbaracken der ehemaligen Ziegelei, zum erstenmal ein Filmteam eingefallen
war. Ganze Sippen arbeitsloser Shona in 2x2-Meter-Räumen. Keine Elektrizität.
– Generatoren, Lastwagen, Helikopter drängen sich ins Dorfleben, 140 Statisten,
Catering, eine Einheit Security Guards. Ununterscheidbar werden die vielen Uniformen:
Filmkostüme (»Uno-Soldaten«, »Hassans Leibgarde«),
militärisch anmutende Berufskleidung der Wachdienste, wenige Wochen später
die Einsatzkleidung des Polizeikommandos, das Schlingensief und die anderen
abholt.
Auch die Landeshauptstadt Harare wimmelt
von phantasiereich uniformierten Privatpolizisten. Tags bewachen sie Banken
und Boutiquen, abends und nachts Restaurants und Villen. Einer erzählt
mir, wie die Konkurrenz getestet wird. Wenn’s glückt, sie auszutricksen,
erhält die eigene Firma den Schutzauftrag. – Längst ist der Uniformkult
in Simbabwe in die Populärkultur aufgenommen. Schlingensief dreht für
die Uno-Party – das ist die, auf der General Brenner im Bananenschurz auftritt
– eine Szene mit den beiden uniformierten Studenten Gabriel und Pedzaiszi, die
eine Art von in Harare sehr beliebtem Military HipHop vortanzen. In einer Pause
(Sturzregen!) frage ich sie, ob sie sich nicht von der deutschen Crew ausgenutzt
fühlen. Damit können sie nichts anfangen. Statt
dessen bitten sie um Veröffentlichung der Kontaktadresse ihrer Comedian
Dance Group: 14, Save Road, P.O. Mabvuku, Harare, Simbabwe.
Die vielen Uniformen sind Zeichen der
Kontinuität. Mein Gewährsmann erzählt mir, daß er bis 1980
als Polizist dem weißen Ministerpräsidenten Ian Smith gedient habe;
dann sei er in einen privaten Sicherheitsdienst übergetreten: »No
problem!« Jetzt teilt er die Uniformierung
mit den Veteranen der schwarzen Bürgerkriegsarmeen, Security Guards auch
sie. Schlingensiefs Blauhelme machen im Film ebenfalls
kein Problem. Je mehr Uniformen, desto kompatibler. Sogar eine Einheit bewaffneter
Nonnen, angeführt vom durchaus wehrtauglichen Bischof Pierre, paßt
ins Bild. – Pierre, gespielt vom 75jährigen Thomas Tomaschewsky, dem ältesten
Ensemblemitglied der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, ist der
überaus vitale Gegenspieler des sexuell desorientierten deutschen Uno-Generals,
der seinen Ehepflichten die bizarren Spiele mit seinem Bodybuilder-Freund vorzieht.
Johnny Pfeiffer, 60, Postbeamter aus Berlin, aktiv im Training, ist der älteste
Bodybuilder Europas. Ostentativ spielfreudig, hat er sich am 31. Dezember pensionieren
lassen, um weitere Rollen nicht zu verpassen.
Ich habe bisher gezögert, die Handlung
des Films wiederzugeben. Denn Schlingensief, Autor, Regisseur und Kameramann,
gibt nicht anderes wieder, sondern baut die Filmbilder an Ort und Stelle mit
und in der Kamera. Priorität haben Licht (Voxi Bärenklau), Kostüm
(Tabea Braun, Sandra Fuhr), Maske (Heide Haß) – der Text kann sich jederzeit
ändern, die Handlung sich jederzeit wenden. Nach dem zehnten Take »He
is brutal« ist »He is metal« die Lösung. Der Film, inzwischen
englischsprachig, wird am Ende nichts verfilmt, sondern die verschiedensten,
an den Locations vorgefundenen Materialien optisch umgesetzt haben. Sorgenvoll
gucken die Assistenten Ralph Brosche und Dirk Piepenbring in die Wolkenberge.
Es ist Regenzeit! Hunderte von Leuten am Set. Warten auf die Sonne?! Wenn sie
nicht scheint, dann kommt sie auch nicht vor. Scheint mir. Aber Schlingensief
will perfekte Bilder für alles Unperfekte dieser Welt. Das Unvollkommene
und Defekte verbünden sich, sieht man die Darsteller sich an den ruinösen
Motiven (Drehorten) vor der perfekten 35-mm-Kamera ausleben. Aber ist ein Liliputaner
(Thomas Chibwe als Peter Panne) defekt? Ist ein Greis behindert? Eine Rote-Kreuz-Schwester
(Brigitte Kausch) im Lande Allahs inkompetent?
Die Zeit verfliegt. Besessen, wie ein
Skulpteur, putzt Schlingensief am Kamerabild, Hunderte stehen drum herum. Wenn
das Bild stimmt, braucht er den Dialogtext nicht mehr. Wieder ist ein Satz gestrichen,
dafür gibt es eine Großaufnahme mehr. Von Udo Kier. Wie er, strahlender
Uno-General, dem Shona-Volk eine Rakete schenkt, eine V 2 »vom Führer!«
– Führer, Führer, Führer! skandieren die Neger (ja, das Wort
fällt hier nicht mehr unter Political Correctness: Das National Museum
stellt Negro Art aus). Der Dorfplatz ähnelt inzwischen immer mehr dem Appellplatz
eines KZs. »Duschen«, »Küche«, »Uno Camp
St. Georg«: Die Beschriftungen transportieren deutsches Bilder- und Gedankengut.
Was also ist der Plot des Films?
Das TV-Team, das von den Dreharbeiten
einen Zweieinhalbminutenbeitrag fürs sonntägliche ZAK aufnehmen will,
beantwortet die Frage bildgerecht durch eine Inszenierung. Drei deutsche Uno-Generäle
in Angola. Wir stopfen den ausgesprochen spielfreudigen Shona-Kindern Bonbons
in den Mund, die jüngsten haben schon zu skandieren gelernt: Bier her!
Bier her! Udo Kier gibt in seinem Statement zum besten,
daß wir über CNN zuverlässig auf dem laufenden gehalten werden,
während Bodybuilder Johnny, Ex-Feldwebel der Bundeswehr, mit der Dorfjugend
erfolgreich das Exerzieren übt. – Am Sonntag vor Weihnachten hat Küppersbusch
den Beitrag jedoch abgesetzt. Wie es heißt, habe er Mißverständnisse
befürchtet. Aber ist eine Satire über rassistische Vorurteile rassistisch?
Zu zeigen, welche regressiven Bilder an die Oberfläche steigen, wenn der
deutsche Mann vom deutschen Uno-Einsatz träumt – ist das regressiv?
Eine Vorwegnahme der Reaktionen, die auf
Schlingensief-Filme zu erwarten sind. Während
die Volkspädagogen den eindeutigen Kommentar vermissen, treibt Schlingensief
die Ambivalenz der Bilder auf die Spitze – und das Spiel der Darsteller ins
Extreme: »Lauter! Expressiver! Stummfilm!« Die Stimmen überschlagen
sich. Die Sprache verflüchtigt sich. Und da er verspricht, »so schnell
wie MTV« zu schneiden, können wir uns eine Art Rappen vorstellen:
eine Geräuschkulisse. Das Bild wird unter Afrikas Sommersonne an Klarheit
nichts zu wünschen übriglassen. Und die Cartoons werden herauslassen,
was sich so deutsch nur unter der Uno-Flagge entfalten kann. In der Schule haben
die ehrgeizigen Statisten alles über den Dreikaiserbund gelernt, während
der übergewichtige Jones Muguse, der den Chief-Diktator des Films spielt,
mir in einer Drehpause deutsche Wörter aufsagt: Generalfeldmarschall, Luftwaffe,
Göring, SS. Die Regierungszeitung bringt an diesem Tag ein Foto von einem
weißen Polterabend: Die Gäste hatten sich damit amüsiert, ihre
Wagen mit Hakenkreuzen und der Losung »3. Reich« zu bemalen. Auch
wurde »Heil Hitler!« gegrölt. Die
deutsche Botschaft distanziert sich von dem Vorfall. Schlingensief läßt
seine Shona-Statisten »Führer-Führer-Führer« skandieren.
Das Deutsche, das in Simbabwe flottiert, ist in einem Schlingensief-Bild eingefangen.
Virulent wird es unterm Blauhelm werden. Der deutsche General wird es herauslassen.
Ein obszönes Bild. Politische Pornographie. Die Leute vom President’s Staff
fanden nichts dabei. Die waren auf der Suche nach dem Fickfilm. Aber Schlingensief
will jetzt auch im Filmtitel eins draufsetzen: »African Porno« ist
die letzte Version für das gutgemeinte Treiben der deutschen Uno-Truppe
im tiefsten Afrika.
Der Inhalt: Alles läuft nach Plan.
Man baut einen Brunnen, man verteilt Reis und Penicillin im Überfluß.
»Wir wollen helfen und zur grenzüberschreitenden Heilung unseren
Beitrag tun! Wir haben die Flakhelfer an den Wasserstellen! Wir kontrollieren
die Informationen!« Viele Worte. Gute
Taten. Deutschland, wie es sich liebt. Besondere Verdienste erwirbt sich dabei
General Werner Brenner, der dank der tatkräftigen Unterstützung seines
muskulösen Liebhabers Lund und dank unvergeßlicher Auftritte im Bananenschurz
den ortsansässigen Diktator von seinen Fähigkeiten überzeugt
und ihm bei der Herstellung der ersten afrikanischen Interkontinentalrakete
mit »menschlichem Düsenantrieb« behilflich ist. Während
General Brenner auf die Einhaltung der Arbeitszeiten für den menschlichen
Düsenantrieb besteht, gebährt seine Frau Martha ihr erstes und einziges
Kind. Ein schwarz gefärbtes Knuddelchen, dessen Herkunft für viele
ein Rätsel ist, da seine Mutter Jungfrau bleibt. Nur Bischof Pierre, ein
überaus fanatischer Mann mit gut trainiertem Astralkörper verspricht
eine Lösung: Für ihn ist der kleine Negersprengel der Messias und
Martha somit die Mutter Gottes.
Martha ist fasziniert, Werner konsterniert.
Was soll ein Messias, wenn die Uno schon da ist!?
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: Konkret 02/1995
Über
die Dreharbeiten von „United Trash“ und über viele andere denkwürdige
Begebenheiten aus dem Leben Dietrich Kuhlbrodts können Sie im „Kuhlbrodtbuch“ mehr
erfahren.
United
Trash [Kuhlbrodt-Text 2]
Von den Dreharbeiten habe ich in KONKRET
2/95 noch berichtet, für den fertigen Film fehlen mir jetzt die Worte.
Schlingensief wird es als Kompliment nehmen, denn wem der Mund offensteht, den
kann er mit Bildern abfüllen, und das Schlag auf Schlag und nicht zu knapp,
auch optisch-akustisch dauerlärmpegelnd, und warum soll man sich nicht
im Kino zudröhnen lassen? Jeder Zapper, der sich mit Spaß an der
Fernbedienung die Höhepunkte der laufenden Programme zusammenstellt, weiß,
was gemeint ist.
Eine Frage: Wie finden Sie denn den pervers-deutschen
Uno-General (Udo Kier), der im schwarzen Afrika einen Bananenschurz vorhängt
und sich von einem bodygebuildeten Rentner (Johnny Pfeiffer) ficken läßt?
Antwort? »Ekepekete«, richtig, mit dem Brustton der Überzeugung
gesprochen, wir sind mitten im Filmdialog.
Und wie würden Sie die Sexspiele
des amerikanischen Präsidenten kommentieren – die Clintons (Miklos Königer,
Brigitte Kausch) zu viert im Bett, während die Rakete des schwarzen Diktators,
genauer die V2 aus den Restbeständen des Führers, auf das Weiße
Haus zujagt? Die Anwort gab ich live: Als Außenminister Christopher schlug
ich im Unzuchtsgemach die hl. Bibel auf und trug die Weihnachtsgeschichte des
Lukas vor, übrigens, weil der Regisseur dies fünf Minuten vor der
Klappe so entschieden hatte, in meiner eigenen Spontanübersetzung und mit
ausgesprochen individuellem deutschem Akzent. Also alles falsch, aber eben total
richtig.
Ich bin stolz auf meinen Part. Die Hauptrollen
in der Schlingensiefiade spielen freilich die herzliche Russ Meyer-Vollfrau
Kitten Natividad (»Beneath The Valley Of The Ultra Vixens«) und
der ebenso herzliche, aber mißgestaltete schwarze Zwerg Thomas Chibwe.
Auch wenn diesem eine ekelhafte, aber ejakulierende Scheide auf dem Kopf gewachsen
ist: Das Heldenpaar übersteht nicht nur den deutschen United Trash unbeschadet,
und zwar als einzige Überlebende einer deutschen Unoaktion, die beiden
sind außerdem richtig glücklich; sie heiraten, ficken in Venedig
und setzen etwas Virulent-Fleischliches in die Welt, vor dem Präsident,
Papst, Bischof (Jochen Tomaschewski von der Volksbühne Ost. Applaus!) sowie
jeder, der als Repräsentant für andere spricht, bloß Angst hat,
tut mir leid. Dann lieber doch Mut zur Wutlust. Theweleit, sag doch was.
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text ist zuerst erschienen in: Konkret 03/1996
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
United Trash
Die Spalte - Jesu
Panne ist unschlagbar
Deutschland, Zimbabwe
1995
Regie, Kamera,
Buch: CHRISTOPH SCHLINGENSIEF; Buch: OSKAR ROEHLER; Schnitt: ANDREA SCHUMACHER;
Ton: EKI KUCHENBECKER; Produktions-Design: ULI HANISCH; Kostüme: TABEA
BRAUN; Maske: HEIDE HASS; Regieassistenz: RALPH BROSCHE; Script: GUDRUN WIDLOCK;
Schnitt Assistenz: RUDI HEINEN; Kameraassistenz: OLIVER GRAFF; Art Director:
ULI LANGENBERG; Special Effects: THOMAS GÖTTEMANN; Lichtgestaltung: VOXI
BÄRENKLAU; Produktions-Koordination: PETRONILLA MUNONGORO; Produktionsleitung:
IAN WHITE; Herstellungsleitung: CHRISTIAN FÜRST - RALPH BROSCHE; Produzent:
CHRISTOPH SCHLINGENSIEF
Besetzung: UN-General
Werner Brenner: UDO KIER; Seine Frau Martha Brenner: KITTEN NATIVIDAD; Peter
Panne: THOMAS CHIBWE; Bischof Pierre: JOACHIM TOMASCHEWSKY; Diktator Hassan:
JONES MUGUSE; Sein schwuler Freund Lund: JOHNNY PFEIFFER; Dr. Vanderberg/US
Präsident: MIKLOS KÖNIGER; Assistentin Hillary: BRIGITTE KAUSCH-KUHLBRODT;
Hassans Minister Christofferson: DIETRICH KUHLBRODT; Horst Klipp; HEIMO BACHSTEIN;
Frau Klipp: ETHAN MATONDO; Fußgänger und Jeff Koons: KALLE MEWS;
Sprecher: Tanja Blixen; Astrid Lindgren: SUSANNE BREDEHÖFT; Sprecher, Peter
Panne, Bela Lugosi: THOMAS NICOLA
Im Verleih der
SENATOR FILM, Länge: 79 min, Format: 1:1,85, Tonformat: Dolby SR
Bundesstart: 22.
Februar 1996
Die
DVD ist erhältlich bei: www.filmgalerie451.de
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