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Unter
Kontrolle
Was für ein Timing! Ein Triumph des viralen Marketing? Nein, angesichts von Volker Sattels „Unter Kontrolle“ muss man daran erinnern, dass Film ein sehr langsames Medium ist: Man spürt beim Sehen förmlich die Zeit, die Sattel in die Recherchen für seinen Film investiert hat und wohl auch investieren musste. Denn dorthin, wo er mit seiner Kamera wollte, kommt man nicht unversehens. Unbefugte haben keinen Zutritt. Sattel liefert sachliche, über weite Strecken unkommentierte Beobachtung aus dem Inneren eines Atomkraftwerkes. Wie sieht der Arbeitsalltag dort aus? Wie sehen die Menschen aus, die dort arbeiten? Wie hört sich ein Atomkraftwerk an? Bei Tag und in der Nacht? Wie sieht die Landschaft aus, in der ein Atomkraftwerk steht? Dazu hört man einzelne Stimmen und Aussagen, sachlich und routiniert: „Wir stehen hier vor der sogenannten Reaktor-Schutztafel, die dem Betriebspersonal signalisiert, ob wesentliche Parameter in einen Zustand gerückt sind, der in Richtung einer unguten Situation führen kann. Das wird dadurch signalisiert, dass wir eine Signalisierungsebene haben. (...) In das Design unserer Anlagen ist eingebaut, dass der Mensch Fehler macht. Das kann in der Kerntechnik auch von Schaden sein.“ Allerdings: „Zehn hoch minus 7 Eintrittswahrscheinlichkeit. Nach menschlichem Ermessen ausgeschlossen!“ Im Zentrum dieser Dokumentation steht etwas, wird von etwas geredet, wird mit etwas gearbeitet, was unsichtbar ist. Gefährlich, aber kontrollierbar.
Es ist ganz erstaunlich, welches Vertrauen in die Sicherheit die Menschen „ausstrahlen“, die in den Nuklearanlagen arbeiten. Und ihre Sprache, sofern sie zu Wort kommen, verstärkt diese Ausstrahlung noch, flankiert von der schönen Aufgeräumtheit der Arbeitsplätze und den schon graphisch beeindruckenden Kontrollvorrichtungen, die man in Cinemascope zu sehen bekommt. Das Verhältnis zwischen Mensch und Technik scheint in Sprache und auch in der Architektur und im Design geradezu auf den Kopf gestellt und zeichenhaft versimplifiziert, um eine Beherrschbarkeit zu suggerieren, die so nicht vorliegt. Man ahnt beim Sehen von „Unter Kontrolle“, dass der Mensch hier in einem Akt der Hybris eine Technologie in Gang gesetzt hat, die das Verhältnis von Subjekt und Objekt in Frage stellt oder gleich verrückt. Und dass in einem Akt der hellsichtigen Selbstreflexion das dazu passende Design entwickelt wurde, das den Menschen an seinen Ort verweist. Es ist ein Ort am Rande der Abläufe. Diesen Befund evoziert Sattel allein durch behutsames und ausgesprochen ästhetisches Anordnen der Bilder, von denen erschreckend viele ohne Menschen auskommen.
Und dann „passiert“ Fukushima, und plötzlich scheint ein großer,
kleiner Film wie „Unter Kontrolle“ keine Marginalie des Medienalltags, sondern
dicht am Puls der Zeit. Der Film, auf der „Berlinale“ noch „unschuldig“ vorgestellt,
wurde unvermittelt von seiner Zeitgenossenschaft kontaminiert: Ein Wort wie
„Abklingbecken“ wäre vor acht Wochen noch durchgerauscht, heute klingt
es bereits höchst alarmierend. Doch ist „Unter Kontrolle“ alles andere
als ein Agit-Prop-Film, sondern eher ein Requiem auf eine Science-Fiction-Utopie,
die Jahrzehnte lang vor ihren eigenen Konsequenzen die Augen verschloss. Deshalb
durchstreift die Kamera neugierig auch ein Zwischenlager für atomaren Abfall,
zeigt Abrissarbeiten an einer stillgelegten Anlage und unternimmt einen Ausflug
zum Schnellen Brüter nach Kalkar, über den noch lange kein Gras wachsen
wird, der als Vergnügungspark eine absurde, aber weitaus menschenfreundlichere
Bestimmung gefunden hat. Und schließlich erteilt „Unter Kontrolle“ stolzen
Ingenieuren das Wort, die angesichts des Prestigeverlustes ihrer Technologie
eine gewisse Verbitterung nicht verhehlen. Der etwas eindimensionalen Schlusspointe
des simulierten Störfalles hätte es gar nicht bedurft; der Film ist
auch so bereits unheimlich genug. Andererseits ist es schließlich das
Filmmaterial selbst, dass die unsichtbare Strahlung sichtbar macht – und so
für Aufklärung sorgt. Ein Meisterwerk!
Ulrich Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Unter Kontrolle
OT: Unter Kontrolle
Deutschland 2011 - 98 min.
Regie: Volker Sattel - Drehbuch: Stefan Stefanescu, Volker Sattel - Produktion:
Susann Schimk, Jörg Trentmann - Kamera: Volker Sattel - Schnitt: Stephan
Krumbiegel, Volker Sattel - Verleih: farbfilm -
Kinostart (D): 26.05.2011
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