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Unter
Strom
Zoltan
Pauls "Unter Strom" versucht sich an einer deutschen Screwballkomödie
und landet in einem Ferienhaus voller herumflatternder Irrer.
Womit
wir bei einem ernsteren Thema wären: dem Versuch einer deutschen Screwballkomödie.
Titel, damit wir da ja nichts missverstehen: "Unter Strom". Unter
den Darstellern, da staunt man: Sunnyi Melles, Catrin Strieback, Robert Stadlober,
Harald Krassnitzer. Die Handlung: Ein Unschuldiger namens Frankie (Hanno Koffler)
wird zu fünfzehn Jahren Haft verurteilt, kidnappt sich den Weg aus dem
Gericht ins Freie, nimmt ein streitendes, frisch geschiedenes Ehepaar als Geisel,
schnappt sich unterwegs noch einen Politiker auf offener Straße, ruft
seine Frau (Anna Fischer) an, die von Frankies bestem Freund Cheesy (Stadlober)
schwanger ist - und ab geht es in ein Ferienhaus, wo der Liebhaber der geschiedenen
Ehefrau gerade ein paar Viagra zu viel geschluckt hat - und dort wird nun auf
engem Raum gestritten, geschossen, bedroht, geliebt, geflucht, hektisch herumgerannt
und summa summarum also Komödie gespielt.
Das
alles geht offenbar von der Prämisse aus, dass eine hochbeschleunigte und
bis zur Absurdität handlungsverdichtete Kreuzung aus Vorabendsoap und Vorabendsoko
qua Tempo schon Komik entwickelt. Dem ist, von wenigen Momenten abgesehen, nicht
so. Wie aufgescheuchte Hühner rennen und flattern die Darsteller durch
die Gegend, sprechen dabei Dialoge, deren Mangel an Witz und Originalität
durch Schnelligkeit nicht zu übertünchen ist, zitieren in aufgesetzter
Medienreflexivität Hollywoodfilme und gewinnen nicht die leiseste Spur
Eigenleben, was doch die Voraussetzung wäre für ein Minimum an Identifikationspotenzial.
Man hasst sie nicht, man liebt sie nicht, man lacht, weint, rennt und flattert
kein bisschen mit ihnen. Mit der Ausnahme vielleicht von Sunnyi Melles, der
es gelingt, die hysterisierte Tragödin zu geben, bühnenhaft, sinnlos
verzweifelt, und so wenigstens eine Spur jener Fallhöhe zu erzeugen, die
es bräuchte, um das ganze zu etwas anderem als Trash um des Trashs willen
zu machen.
Am
interessantesten daran ist fast noch, dass sich der Film in die Reihe eines
das deutsche Kino der letzten Jahre dominierenden Spezial-Genres stellt: das
nämlich des Haus-Films, der seine Figuren, seine Handlung auf dem engen
Raum eines Einfamilien- und öfter fast noch eines Ferienhauses konzentriert.
Dazu gehören Stefan Krohmers "Sie
haben Knut"
ebenso wie Ulrich Köhlers Debüt "Bungalow",
Rainer Knepperges' übrigens auch um eine Entführung kreisende, aber
unendlich viel gelungenere Komödie "Die Quereinsteigerinnen"
oder zuletzt Thomas Arslans "Ferien"
und Sebastian Schippers "Mitte
Ende August"
(durch den Verweis auf die "Wahlverwandtschaften" ist Schipper nur
bedingt entschuldigt). Wenn der deutsche Drehbuchautor und/oder Regisseur kein
Geld hat, aber einen Ensemblefilm drehen will, verfällt er auf meist ziemlich
abgeschieden liegende Häuser. Das Geld, das fehlt, ist sicher nicht der
einzige Grund. Das Ergebnis fällt jeweils nicht nur qualitativ sehr unterschiedlich
aus. Dennoch deutet dieser rudelhafte Rückzug in geschlossene Räume
auf eine Angst vor der Offenheit, eine Flucht der Fantasie in kontrollierbare
Situationen, einen Willen zur Überschaubarkeit, den man in den besseren
der genannten Fälle vielleicht sogar als Gesellschafts-Diagnose lesen kann,
bei den weniger geglückten Beispielen wie "Unter Strom" aber
als Symptom eines fatalen Sicherheitsdenkens verstehen muss.
Ekkehard
Knörer
Dieser
Text ist zuerst erschienen am 09.12.2009 in: www.perlentaucher.de
Unter
Strom
Deutschland
2009 - Regie: Zoltan Paul - Darsteller: Harald Krassnitzer, Catrin Striebeck,
Robert Stadlober, Hanno Koffler, Anna Fischer, Ralph Herforth, Sunnyi Melles,
Tilo Nest, Franz Xaver Zach, Dietmar Horcicka - FSK: ab 12 - Länge: 78
min. - Start: 10.12.2009
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