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Up
in the Air
Rollkoffer,
Sushi, Platinkarten
Im
Zeichen der Wirtschaftskrise: George Clooney spielt in der Tragikomödie
"Up in the Air" einen Fachmann für Rationalisierung - und scheitert
selbst.
Die
glamouröse Vorstellung vom Fliegen als Ausdruck von Mobilität und
Kosmopolitismus ist ein Relikt der Sechzigerjahre. In Zeiten von Billigfluglinien
und Online-Check-ins reduziert sich die Fliegerei auf eine bloße Abfolge
von routinierten Handgriffen und das Warten in Schnellrestaurants.
Das
ist die Welt von Ryan Bingham (George Clooney) in Jason Reitmans drittem Film
"Up in the Air". Bingham ist ein Meister der Überbrückung.
Er hat seine Lebensphilosophie zum Beruf gemacht: Leben ist Bewegung. "Transition
Consultant" lautet seine Berufsbezeichnung im New-Economy-Sprech. Übergangsberater.
Was nichts anderes heißt, als dass er die Drecksarbeit erledigt, die andere
nicht machen wollen. Bingham fliegt im Auftrag von Konzernchefs durch das Land,
um redundante Angestellte über ihre Entlassung zu informieren (Es ist ein
zusätzlicher Running Gag des Films, dass Binghams Einsatzgebiet in jenen
Bundesstaaten liegt, die man gewöhnlich nur durchfährt - oder eben
überfliegt). Zum Abschied gibt er ihnen einen Standardspruch aus dem Motivationsseminar,
ein charmantes Lächeln und einen praktischen Ratgeber für die Zeit
des "Übergangs" mit auf den Weg. Natürlich weiß er,
dass 75 Prozent seiner Gegenüber als Humankapital nicht mehr gefragt sind.
Ryan
Bingham erledigt seinen Job mit demselben Arbeitsethos wie Nick Naylor aus Reitmans
Debüt "Thank
you for Smoking":
"Michael Jordan spielt Basketball. Charles Manson tötet Menschen.
Ich rede." Jeder macht, was er am besten kann. Bingham ist ein Experte
in Unverbindlichkeit. An 320 Tagen im Jahr lebt er aus seinem Rollkoffer, seine
Wohnung hat den Charme eines Hotelzimmers und mit seiner Schwester, deren Hochzeit
bevorsteht, pflegt er nur sporadischen Kontakt. In Seminaren predigt er die
Vorzüge einer beruflichen Karriere ohne persönlichen Ballast. Binghams
Leben summiert sich in einer Kollektion von Platinkarten und gesammelten Flugmeilen.
Zehn Millionen sind sein erklärtes Ziel. Erst sechsmal ist das geschafft
worden. Selbst den Mond haben mehr Menschen betreten.
Jason
Reitman hatte sich schon mit seiner Satire "Thank you for Smoking"
einen Archetypus der neoliberalen Konzernkultur vorgenommen. Aaron Eckhart spielte
darin einen aalglatten Dampfplauderer, der sich mit dem moralischen Dilemma
arrangieren musste, einerseits Lobbyarbeit für die amerikanische Tabakindustrie
zu machen und gleichzeitig seinem Sohn ein Vorbild zu sein (Typen wie Eckhart
und Clooney befriedigen unsere Sehnsucht nach einem Kapitalismus mit menschlichem
Antlitz. Dass sie eigentlich zu perfekt aussehen, um die profanen Probleme ihrer
Mitmenschen zu verstehen, ist der perfide Witz von Reitmans Filmen). Ryan Binghams
Dilemma besteht darin, dass er überhaupt keine moralischen Grundsätze
hat, an denen er seinen Lebensentwurf messen könnte.
Das
geht so lange gut, bis dieser Entwurf - in gleich zweifacher Hinsicht - bedroht
ist. Eine junge Karrieristin, frisch von der Universität, will das kostspielige
Geschäftskonzept von Binghams Arbeitgeber mithilfe von Videokonferenzen
effizienter gestalten. In Zukunft soll das Personal einfach via Webcam gefeuert
werden. Jede Krise eröffnet Chancen, bewirbt sein Vorgesetzter (Jason Bateman)
die neue Firmenpolitik. Bingham ist gestrandet. Zur selben Zeit lernt er bei
einem Zwischenstopp die attraktive Vielfliegerin Alex (Vera Farmiga) kennen,
mit der er an der Hotelbar, als Quasi-Ersatz zum Vorspiel, Platinkarten vergleicht.
Damit könnte "Up in the Air" seinen Rhythmus gefunden haben,
locker changierend zwischen zynischen Entlassungsgesprächen und Liebesgeflüster
in Hotelzimmern. Bestes Screwball-Material.
Für
Reitman aber besteht die Obszönität nicht so sehr im Job Binghams,
als vielmehr in dessen Lifestyle. Im Grunde verkennt "Up in the Air",
dass Bingham eine Phänomenologie der New Economy verkörpert, deren
Brutalisierung sich bis in die sozialen Strukturen fortsetzt. Im Film klingt
es umgekehrt eher so, als sei ein "beschädigter" Charakter wie
Bingham zu seinem Lebensstil (und damit seinem Job) verdammt. Folglich genügt
es Reitman, die Familie als positives Gegenmodell zu positionieren. Spielte
"Thank you for Smoking" noch mit der Schizophrenie seiner Figur, sich
in dem Widerspruch "Beruf/Familie" einzurichten, wird die Familie
in "Up in the Air" zum erstrebenswerten Anderen stilisiert. Dass diese
Rechnung für diejenigen aber, die Bingham in die Arbeitslosigkeit schickt,
nicht funktioniert, das Wohlergehen der Familie vielmehr von eben diesem Job
abhängt, übersieht der Film leichtfertig.
Reitman
erweist sich erneut als talentierter Regisseur, der über ein gutes Gespür
verfügt, blitzschnelle Dialoge in flüssige und nicht minder gefällige
Bilder zu übersetzen. Einmal reicht ihm eine flotte Montage, um das ganze
Gefühlsspektrum des Entlassenwerdens zu beschreiben. Wenig überraschend,
dass die amerikanische Kritik "Up in the Air" bereits im Vorfeld als
sicheren Oscar-Kandidaten feierte. Doch diesmal scheint Reitman mit seinem eigenen
Tempo nicht mithalten zu können; in "Up in the Air" gehen seine
wohlfeilen Zynismen meist auf Kosten der Falschen. Für die Opfer Binghams
ist es nur ein schwacher Trost, dass er am Ende allein mit seinem Rollköfferchen
und seinem Fertigsushi zurückbleibt. Die vermeintliche Tragik Ryan Binghams
ist nicht mehr als ein Luxusproblem.
Andreas
Busche
Dieser
Text ist zuerst erschienen in der: taz
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Up
in the Air
USA
2009 - Regie: Jason Reitman - Darsteller: George Clooney, Vera Farmiga, Anna
Kendrick, Jason Bateman, Danny McBride, Melanie Lynskey, Amy Morton, Sam Elliott
- Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge:
110 min. - Start: 4.2.2010
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