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Up
in the Air
Der
Job-Schnitter
Fast
als Vergnügen stellt es sich Jason Reitmans Komödie "Up in the
Air" vor, von George Clooney als luftreisendem Überbringer schlechter
Botschaften gefeuert zu werden.
Von
oben blickt der Vorspann des Films auf die Welt. Sie teilt sich in diesen Blicken
in Zonen, in Landschaften, Städte, Bundesstaaten. Zur Souveränität
dieses Blicks kommt ein Verfügen anderer Art, ein Verfügen nämlich
über diese Bilder selbst. Wie ein Puzzle werden sie aneinandergelegt, auseinandergeschoben,
neu zusammengestellt. Der Vorspann suggeriert: Souverän ist, wer von oben
blickt und wer über die Bilder, die er da sieht, dann auch noch verfügen
kann nach Belieben.
Allerdings,
wer oben ist in der Luft, ist alles andere als mittendrin. Wir haben uns Ryan
Bingham, den Luftgeist, also als einsamen Mann vorzustellen. Er ist, glaubt
er, glücklich dabei. Er reist fast ohne Gepäck und macht eine Ideologie
daraus und bringt sie bei Vorträgen an den Mann. Er hat ein Appartement,
doch darin lebt er fast nie. Die Hotels, die Flughäfen, die Flugzeuge:
die Bindungslosigkeit der Nicht-Orte unserer Zeit sind sein Aufenthaltsort,
übergangsweise. "Up in the Air" beschreibt zu Beginn geradezu
euphorisch diesen Zustand. Das ist interessant: Es wird durchaus plausibel,
dass man von diesem Leben im permanenten Übergang tatsächlich berauscht
sein kann.
Allerdings
ist Jason Reitman, das hat man schon bei "Juno"
gesehen, ein konservativer Regisseur, wenngleich ganz flott stets auf der Höhe
der Zeit. Alle Geschichten, die "Up in the Air" aus seinem Ausgangszustand
entwickeln wird, sind daher Enttäuschungs- und Bestrafungsaktionen für
den lufttrunkenen Mann. Nicht subtil, aber wirkungsvoll inszeniert ist der Kontrast,
den er lebt: Er ist eine Art Auftragskiller, nur dass er nicht buchstäblich
tötet. Vielmehr mieten ihn Firmen, die ihren Angestellten nicht selbst
beibringen wollen, dass sie gefeuert sind. Der reisende Mann ohne Bindung schneidet
also Menschen von ihren Jobs los. Aber gekonnt, aber schonend. Mit der Aura
des Menschenfischers tritt Bingham auf und zaubert manch Entlassenem noch im
Moment seiner Demütigung ein Lächeln ins Gesicht. Dieser Schnitter
hat den Charme des Verführers. Allgemeiner gesprochen sind die Souveränität
und ihr Gegenteil in diesen Gesprächen geradezu emblematisch im Bild. (Und
wie Reitman das wiederum, immer flott, immer lustig ins Bild setzt, macht den
Zynismus deutlich, mit dem wiederum er über Menschenschicksale verfügt.)
Zwei
törichte Geschichten erzählt dann, von hier aus, der Romanvorlage
Walter Kirns hinzugefügt, "Up in the Air". Töricht sind
sie, weil sie den Blick auf jede tatsächliche Analyse verstellen und bei
sehr simplen Weisheiten - allerdings punktgenau - landen. Die lauten, zum Einen:
Wahres Glück ist erstens nie sonderlich groß und findet sich zweitens
dann einzig im Schoß der Familie. Anders gesagt: Vielfliegen macht nicht
glücklich. Bindung bringt Wärme in unsere existenzielle und kapitalistische
Obdachlosigkeit. Und zweitens, das geht aber in eine ähnliche Richtung:
Feuern von Menschen ist nun einmal nötig, aber wenn, dann bitte in der
nicht-virtuellen Face-to-Face-Konfrontation mit Takt, Charme und Gefühl.
Oder auch: Kapitalismus muss sein, aber bitte mit menschlichem Antlitz. Zwei
Frauen verkörpern diese herzlich konservativen Lektionen, die der Film
an seinem Helden vollstreckt. Vera Farmiga und Anna Kendrick geben diesen Lektionen,
womöglich sogar in oscarwürdiger Weise, Ausdruck.
Wirklich
spannend ist "Up in the Air", ein in eigentlich jeder Hinsicht mediokrer
Film, nur als Symptom. Soll heißen: Die Leute lieben ganz offensichtlich
haargenau das Mediokre daran. (Und George Clooney, das menschliche Antlitz noch
des ärgsten Kalküls.) In den USA hat das Werk bereits ein Vielfaches
seiner Entstehungskosten eingespielt und dort wie nun auch hier verzückt
es einen großen Teil der Kritik. Das macht den Film zu einem interessanten
Lackmus-Test. Er verkörpert eines nämlich in Vollendung: einen jede
Konsequenz scheuenden Kuschelkonservatismus; rasch in die Knie gehende Gesellschaftskritik.
Er tut zeitdiagnostisch, verkriecht sich in Wahrheit aber einfach unter der
Decke. Analyse muss kalt sein, aber der Weg von "Up in the Air" geht
nach innen, dahin, wo es so angenehm nestwarm mieft. Offen bösartig wird
der Film konsequenterweise erst am Ende, wenn er Einstellung für Einstellung
seinen Helden als einen, der selber schuld ist, demütigen kann. Souverän,
so die These, ist nicht, wer bindungslos lebt, souverän ist nur, wer sich
ohne falsche Hoffnungen als Normalsterblicher dem Gegebenen fügt.
Ekkehard
Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen im: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Up
in the Air
USA
2009 - Regie: Jason Reitman - Darsteller: George Clooney, Vera Farmiga, Anna
Kendrick, Jason Bateman, Danny McBride, Melanie Lynskey, Amy Morton, Sam Elliott
- Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ohne Altersbeschränkung - Länge:
110 min. - Start: 4.2.2010
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