zur startseite
zum archiv
zu den essays
Das
Vaterspiel
Ganz
andere Kraft
Michael
Glawogger führt in seiner Josef-Haslinger-Verfilmung "Das Vaterspiel"
vor, wie man aus einem wüsten Kolportage-Mix etwas Faszinierendes macht.
Wer
denkt, es ließe sich mit den Mitteln des Trivialen, des Klischees, des
Hanebüchenen, der Kolportage nichts Gültiges sagen, der irrt. Zwar
denkt das Triviale, das Hanebüchene, das Klischee niemals selbst, denn
es manifestiert sich darin - als Ausdruck dessen, was man ohne Nachdenken von
einer Sache vermeint - gerade das Gegenteil eines Gedankens. Michael Glawoggers
Verfilmung von Josef Haslingers Roman "Vaterspiel" führt jedoch
eindrucksvoll vor, wie man aus etwas, das fast ausschließlich aus kolportagehaften
Elementen besteht, einen spannenden Film macht.
Hanebüchen
jedenfalls sind die Motive, die der Film - dem Buch, das ich nicht gelesen habe,
vermutlich sehr treu - versammelt, nicht zuletzt in ihrer Häufung: Es gibt
einen alten Nazi-Mörder aus Litauen, der seit Jahrzehnten in einem New
Yorker Keller versteckt lebt; in mehreren Rückblenden - in die Jahre 1959
und 1967 - sieht man einen Mann (Ulrich Tukur), der erst zu Protokoll gibt,
er könne den mutmaßlichen Mörders seines Vaters identifizieren,
und der diesen dann persönlich in Chicago aufsucht; es gibt den Programmierer
und Computerspieldesigner Rupert "Ratz" Kramer, der seinen Hass auf
den Vater in Form eines Vatermord-Computerspiels auslebt; dem Verkauf des Spiels
über eine dubiose Website gilt ein möglicherweise internetkritisch
gemeinter Subplot; der Vater seinerseits ist ein hochrangig-verlogener SPÖ-Politiker,
der, auch das bekommt man am Rande noch mit, über eine Putzfrauenaffäre
stolpert und, dies noch, in eine finanziell ausweglose Situation gerät.
Es
gibt eine Freundin von Rupert namens Mimi (Sabine Timoteo), die die Enkelin
des Nazi-Mörders ist, keine Haare am Körper hat und ihn eines Nachts
einfach so nach New York ruft; es gibt außerdem eine angedeutete Inzest-Beziehung
zwischen den Politikerkindern, jedenfalls gibt es den einen oder anderen Kuss
zwischen Rupert und seiner Schwester. Es kommen oft atemberaubend schlechte,
weil ihren Gehalt auf dem Silbertablett vor sich hertragende Dialoge dazu, die
noch eine so charismatische Darstellerin wie Sabine Timoteo zur Aufsagepuppe
zu degradieren drohen. Gar nicht genug kriegen kann diese Geschichte (und auch
der Film) mithin von alles anderes als zu Ende gedachter, dafür übergrob
präparierter Schwermotivik. Es dürfte dabei, ginge alles mit jenen
rechten Dingen zu, die man aus der Mehrzahl deutschsprachiger Filme kennt, nichts
herauskommen als ein haarsträubend überfrachteter Mischmasch am Rande
der schieren Exploitation.
Es
kommt aber etwas ganz anderes dabei raus. Nicht, weil Drehbuchautor und Regisseur
Michael Glawogger das Triviale zu veredeln versuchte durch hervorragendes Handwerk
- dann wäre das Ergebnis Kunstgewerbe und saurer Kitsch. Und auch weder
durch Sublimierung noch durch bewusstes Heraus- und Übertreiben der groben
Giftstoffe, die im Trivialen unerlöst hausen. Nein, Glawoggers künstlerische
Strategie sieht anders aus. Nicht in den Motiven selbst liegt der Reiz dieses
Films, sondern darin, wie er sie als grob behauene Klischeeblöcke neben-
und gegeneinander stellt. Und zwar unvermittelt. Genauer: unvermittelt zum Schein.
Sehr abrupt folgen ausgedehnte Sequenzen aufeinander, die sich nach und nach
erst zum Puzzlebild fügen. Und die auch in sich oft anders funktionieren,
als die Regeln des Handwerks das fordern. Ganz exemplarisch zu beobachten ist
das in Ulrich Tukurs Protokollaussage, die Glawogger die längste Zeit ohne
Gegenschnitt zum menschlichen Gegenüber der Aussage filmt (nur das Tonband
sieht man oft). Die Gravitas von Inhalt (Naziverbrechen) und Form (Tukurs schauspielerische
Angestrengtheit) gehen auf diese Weise seltsam ins Leere, bleiben fast bis zuletzt
ohne den Gegenschuss, nach dem die Grammatik der Szene immer stärker verlangt.
Nicht
nur hier tut Glawogger das Erwartbare nicht. Und zwar ergibt sich auf der Handlungsebene
ein zuletzt recht lückenloser Zusammenhang. Wie die Puzzlestücke,
aus denen der Film sich zusammensetzt, dennoch nicht recht zueinander passen,
darin liegt sein eigentlicher Clou. Es hat das mit der Umstandslosigkeit und
Unverfrorenheit zu tun, mit der die Orts- und Handlungswechsel ins Bild gesetzt
sind. Vieles ereignet sich raschen Schnitts wie aus dem Nichts: Bei einer großartig
desorientierend inszenierten Autofahrt durch dichten Schnee begegnet Rupert
unversehens seiner Schwester (un-verfroren, un-versehens, un-vermittelt; "Das
Vaterspiel" bezieht viel Kraft aus dem un-). Sie hat ihren sie ständig
betrügenden Mann verlassen, sie hat ein Reh überfahren, sie kauert,
die beiden sagen die üblich schwergängigen Dialogsätze auf, sie
sitzen im Auto, es schneit, sie frieren, sie küssen sich wieder, weiter
erklärt wird aber nichts - eigenartiges Zwischenreich zwischen Realem und
Irrealem.
Selbst
die eher blöde Idee mit Mimis Haarlosigkeit, eine übrigens harmlose
"Krankheit", nutzt Glawogger, um die Figur mit ihren ständigen
Perückenwechseln in eine Art Shifter zu verwandeln; sie wird so zur Figur,
die nicht nur - eher aufdringlich - als menschlicher Wandersplitter konzipiert
ist, sondern sie recht buchstäblich auch den Text des Films als ständiges
Irritationsmoment durchquert und immer wieder aufreißen lässt. Und
dann bricht sie am Ende erbost abrupt weg aus der Geschichte und wird nicht
mehr gesehen. Andere Szenen wirken, wie aus dem Roman gerissen, in dem sie möglicherweise
noch säuberlich eingebettet waren, und mit ihren durchs Herausreißen
entstandenen irregulär-scharfen Kanten in einen erratischen Film-Szenen-Block
umgesetzt. Gegen Ende etwa der Vater, der nun selbst das Vaterspiel spielt und
sich darin als vervielfältigte Hassfigur wegpustet. Oder auch, wie Glawogger
immer wieder unvermittelt die Filmrealität durch wegzuschießende
Videospielvaterfiguren infiltriert und so das Filmbild - fast etwas unkontrolliert,
denkt man - in andere Register hinüberspielt. Überhaupt ist es gerade
dieser Eindruck des zeitweiligen Kontrollverlusts, der den versammelten Trivialitäten
das Haarsträubende nimmt. Beziehungsweise wird das Haarsträubende
als genuin interessantes Verstörungsmoment so erst produktiv.
Zuerst
und zuletzt macht den Film aber eins zu einer wirklich aufregenden Sache: die
Musik der Komponistin Olga Neuwirth und die Art, wie Glawogger sie offensiv
einsetzt. Man mag insbesondere der Musik wegen nicht glauben, dass die große
ARD-Weichspülmaschine DEGETO, die sonst bei jeder leisen Andeutung von
Dissonanz die große Geldbörse sofort wegsteckt, hier mitproduziert
hat. Neuwirths grandios harsche, laut-kalte Neutöner-Musik verschleiert
und verkleistert nichts, sondern bringt das Unvereinbare als Unvereintes zusammen.
Sie jagt dem ganzen Motivschmarren jedesmal, wenn sie auftritt, einen solch
heillosen Schrecken ein, dass sich der Film selbst in der Antäuschung von
Plot-Plausibilität und dümmlicher Figurenpsychologie davon nie und
nimmer erholt. Neuwirths Musik sorgt dafür, dass einem der Film vor den
Augen verschwimmt, dass einem der Boden unter den Füßen vibriert.
Sie ist der unkittbare Riss, den Glawoggers auch sonst sehr schön zerklüftetes
"Vaterspiel" im Herzen trägt. Sie ist nicht der einzige, aber
doch der wichtigste Grund dafür, dass dieser Film, der fast ausschließlich
aus Klischees zusammengebaut scheint, unberechenbar bleibt. Nicht das, was er
über Naziverbrechen, Väter und Söhne, Inzestwunsch oder Umgang
mit Schuld zu sagen hat, ist von Interesse. Wie er auf höchst eigenwillige
Weise das Nichtzusammengehörige und per se sogar Dumme konstelliert und
so auch dem Dummen eine ganz andere Kraft gibt - das ist es, was am "Vaterspiel"
fasziniert.
Ekkehard
Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen am 25.11.2009 in: www.perlentaucher.de
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Das
Vaterspiel
Deutschland
/ Österreich / Frankreich 2008 - Regie: Michael Glawogger - Darsteller:
Helmut Köpping, Sabine Timoteo, Ulrich Tukur, Christian Tramitz, Itzhak
Finzi, Samuel Finzi, Michou Friesz, Otto Tausig - FSK: ab 16 - Länge: 117
min. - Start: 26.11.2009
zur startseite
zum archiv
zu den essays