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Das
Vaterspiel
Der
gebürtige Grazer Filmemacher Michael Glawogger arbeitet wechselweise als
Dokumentarist und Regisseur von Spielfilmen. In seinen Spielfilmen „Nacktschnecken“,
„Slumming“ (fd
38 120) und „Contact
High“
(fd 39 349) hat er mit den Möglichkeiten eines mehrstimmigen, fiktionalen
Erzählens mit mehreren Protagonisten experimentiert. Diese Erfahrungen
nutzt er jetzt bei der Verfilmung von Josef Haslingers Roman „Das Vaterspiel“,
dessen Handlung zu vier unterschiedlichen Zeiten (1941, 1959, Mitte der 1980er-Jahre,
1999) in vier verschiedenen Ländern (Litauen, BRD, Österreich, USA)
spielt. Es geht um die Vernichtung der europäischen Juden (speziell, um
die Pogrome 1941 in Litauen), um die Frage des möglichen und verpassten
Widerstands, um Schuld und Sühne – und die Echos, die diese historischen
Ereignisse in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts produziert haben.
Vielleicht ist „Das Vaterspiel“ sogar eine gegenstrebige Fortsetzung von „Das
weiße Band“
(fd 39 527), die in ihrer irritierenden Offenheit einlöst, was Haneke nur
bedeutungsschwanger dahingeraunt hat.
Glawogger
zäumt die Geschichte nämlich von hinten auf, erzählt vom Ministersohn
und ewigen Studenten Ratz, der es zu nicht allzu viel gebracht hat, an einem
horriblen Vaterkomplex laboriert und unvermittelt mit dem Verbrechen des 20.
Jahrhunderts konfrontiert wird. Ratz’ Vater wiederum ist ein sozialdemokratischer
Minister in Österreich, der vielleicht einmal als Moralist in die Politik
ging, aber längst zum Zyniker der Macht wurde. Ratz hat ein Ego-Shooter-Spiel
entwickelt, um wenigstens in seiner Fantasie mit dem Vater abrechnen zu können.
Im Winter 1999 erreicht Ratz ein Anruf aus New York. Seine ehemalige Studienfreundin
Mimi hat buchstäblich einen alten Nazi im Keller, ihren litauischen Großvater,
der als Kriegsverbrecher gesucht wird und dessen Versteck jetzt dringend renoviert
werden muss. Viele Jahre zuvor, in den 1950er-Jahren, hatte ein Mann namens
Jonas Strohm ein Büro in der Ludwigsburger Zentralen Erfassungsstelle für
NS-Verbrechen die Geschichte seines in Litauen ermordeten Vaters erzählt.
Die Identität des Verantwortlichen ist bekannt.
Auf
hochinteressante Weise gelingt Glawogger ein virtuoses Spiel mit den unterschiedlichen
Realitäts- und Zeitebenen; er suggeriert unangenehme Fragen über vergleichbare
Dispositionen zur Gewaltausübung, stellt Zusammenhänge her und beharrt
entschieden auf Differenzen. Ganz nebenbei erzählt er vom Niedergang einer
Partei (SPÖ) und einer Generation, die einmal auf der Basis moralischer
Empörung eine bessere, gerechtere Welt schaffen wollte. Wo Josef Haslinger
in seinem Roman „Das Vaterspiel“ ein komplexes, aber in sich stimmiges Österreichbild
entwarf, löst Glawogger es filmisch wieder auf, indem er die Versuche,
sich einen Reim auf das Gezeigte zu machen, ins Leere laufen lässt. Immer
wieder wagt der Film irritierende Sprünge aus dem spröden Realismus
in die Welt des Virtuellen, mitunter verweilt die Kamera etwas zu lange auf
bestimmten Alltagsobjekten, als hätten sie eine Bedeutung fürs Geschehen,
die sich dann jedoch nicht erschließt. Ein türkis bezogener Sessel
ist ein türkis bezogener Sessel ist ein türkis bezogener Sessel. Solche
visuellen Leerstellen wirken als Störungen innerhalb eines Erzählflusses,
der mit großer Geste über mehr als ein halbes Jahrhundert verfügen
will. Alles hängt irgendwie miteinander zusammen, behauptet die Erzählung.
Man kann das alles aber nicht vergleichen, sagt der Film. So kippt er ins Fragmentarische,
Vieldeutige, stellt mehr Fragen, als er Antworten gibt, bleibt auf Distanz zu
den Figuren, die – wie Mimi – aus einem Computerspiel oder wie Ratz aus der
„Lindenstraße“ stammen könnten.
Familie,
Politik, Schuld und Moral – wie hängt das zusammen? Da sind die Vatermord-Fantasien,
da ist der Schutz des Großvaters, da ist das Sich-Schuldigfühlen
an der Ermordung des Vaters. Da sind die Massenhinrichtungen in Litauen, da
sind die virtuellen Erschießungen der digitalen Vater-Avatare. Da sind
ausgelöschte Familien, kaputte Familien und Familien, die zusammenhalten.
Glawogger hat „Das Vaterspiel“ nicht verfilmt, er hat den Roman einer intensiven
Lektüre unterzogen. Nach dem Sehen von „Das Vaterspiel“ sollte man „Das
Vaterspiel“ noch einmal lesen. Und mit einer bösen Enttäuschung rechnen.
Ulrich
Kriest
Dieser Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Das
Vaterspiel
Deutschland
/ Österreich / Frankreich 2008 - Regie: Michael Glawogger - Darsteller:
Helmut Köpping, Sabine Timoteo, Ulrich Tukur, Christian Tramitz, Itzhak
Finzi, Samuel Finzi, Michou Friesz, Otto Tausig - FSK: ab 16 - Länge: 117
min. - Start: 26.11.2009
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