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Verdammnis
Weiter
geht es mit den Verfilmungen der erfolgreichen Stieg-Larsson-Kriminalromane.
Auf „Verblendung“ (fd
39 496) folgt jetzt „Verdammnis“, der zweite Teil der „Millennium“-Trilogie,
diesmal unter der Regie von Daniel Alfredson. Erneut geht es um Verbrechen,
Recherche und Dinge, die scheinbar in der Vergangenheit schlummern, aber noch
sehr vital in der Gegenwart wirken. Diesmal sind es zwei junge Amateure, die
über den internationalen Mädchenhandel recherchieren. Sie bieten ihre
Erkenntnisse zunächst Mikael Blomkvist und dem Magazin „Millennium“ an,
bezahlen dafür aber mit dem Leben. Der Tatverdacht fällt auf Lisbeth
Salander, die gleichfalls in dieser Angelegenheit nachforscht (wenngleich aus
anderen Motiven) und dabei erneut auf ihren Vormund und Vergewaltiger, den Anwalt
Nils Bjurman, gestoßen ist. Weil auch Bjurman kurz darauf ermordet wird
und die wehrhafte Lisbeth auf seinem Körper ein unmissverständliches
Autogramm hinterlassen hat – der Film setzt ganz selbstbewusst darauf, dass
der Zuschauer den ersten Teil kennt, und spart sich die umständlichen Erklärungen
und Rückblenden, die Stieg Larsson seinen Lesern nicht ersparen wollte
–, wird nach kurzer, sehr ökonomisch entfalteter Exposition nach Lisbeth
Salander gefahndet – mit internationalem Haftbefehl, wegen dreifachen Mordes.
Nur Blomkvist glaubt nicht an Salanders Schuld und beginnt seinerseits, die
Angelegenheit zu untersuchen.
Wie
in den Sjöwall/Wahlöö-Krimis der 1970er-Jahre zeigt sich rasch,
dass die Klientel des Mädchenhändlerrings bis in höchste Polizei-,
Mediziner- und Politikkreise führt. Die Fäden laufen bei einem mysteriösen,
aber höchst einflussreichen und professionell skrupellosen Geheimdienstler
zusammen, dessen Identität offensichtlich von höchsten Kreisen geschützt
wird. Doch schon der Deckname „Zala“ löst bei Eingeweihten Furcht und Schrecken
und kurz darauf Mord und Totschlag aus.
„Verdammnis“
knüpft ästhetisch an die kalkulierte Düsternis von „Verblendung“
an, setzt jedoch zusätzlich auf die desorientierende Wirkung der mobilen
Handkamera und „schockt“ mit Szenen expliziter Gewalt. Dennoch gelangt der Film
dramaturgisch kaum über einen 130minütigen Cliffhanger zum finalen
dritten Teil „Vergebung“ hinaus (geplanter Filmstart: 3.6.). Im Vergleich zu
einem durchschnittlichen „Tatort“ ist „Verdammnis“ zwar durchaus spannend, doch
bei der Adaptation der 750seitigen Vorlage hat man es sich etwas zu einfach
gemacht. So beginnt der Film mit Hinweisen auf ein mörderisches Komplott,
doch dann entscheidet sich das Drehbuch viel zu schnell, statt der vielen und
kompliziert verflochtenen Geschichten lieber nur eine einzige zu zeigen und
die anderen lediglich als impressionistische Rückblenden zu skizzieren.
Im
Mittelpunkt steht die Biografie Lisbeth Salanders, deren bislang geheimnisvolle
Erscheinung nun erheblich aufgeklärt wird – sie ist ein exemplarisches
Opfer des in Verbrechen verstrickten staatlichen Machtapparats. Immerhin wurde
sie nicht müde, Widerstand zu leisten und ihre Peiniger zur Rechenschaft
zu ziehen. Mikael Blomkvist begegnet sie in „Verdammnis“ nur kurz und erst zum
Schluss, dafür zieht ihre Reise in die Nacht ihrer Kindheit und Jugend
zahlreiche Nebenfiguren in einen Strudel voller Gewaltverhältnisse, die
doch immer auch Familienverhältnisse sind. „Verdammnis“ ist letztlich eine
Variation und historische Verortung einer elementaren Misogynie, die bereits
„Verblendung“ als Originaltitel mit sich führte: „Männer, die Frauen
hassen“, die Verbindung von Faschismus und Sadismus. Und Lisbeth Salander ist
die Frau, die die Männer dafür hasst, einen bestimmten Mann besonders.
Die
politische Dimension der Romanvorlage wird zugunsten der Familienanamnese ausgeblendet;
stattdessen lebt der Film seinen Sinn für Gothic Horror aus, außerhalb
der Städte gibt es stets leere Fabrikhallen und Landhäuser, in denen
der Schrecken wohnt. Dort ist das Reich des Supergangsters „Zala“ und seines
hünenhaften Adlatus – und hier, beim über Gebühr ausgedehnten
und dabei doch recht statischen Showdown, kippt „Verdammnis“ endgültig
in die triviale Filmwelt von Bond & Co., in der schwerverletzte und geschundene
Körper sich überraschend immer noch ein letztes Mal erheben.
Was
dem Film ebenfalls nicht gut tut, aber den Zeitvorgaben des Formats geschuldet
ist, ist die Darstellung des investigativen Journalismus. So faszinierend die
Hacker-Fähigkeiten von Salander auch sind, letztlich implizieren ihre mühelosen
Erfolge, dass man sich nur eine Viertelstunde an den Computer setzen muss, um
sämtliche Verschwörungen dieser Welt aufzudecken. Wenn jemand beim
Kampf Techniken zeigt, die auf eine Vergangenheit als Boxer schließen
lassen, dauert es keine fünf Minuten, bis dessen Vita (fast) lückenlos
ermittelt ist, obwohl die Spur zurück nach Hamburg in die späten 1980er-Jahre
führt. Vielleicht ist dieses Vertrauen ins Internet sogar der aufklärerische
Impuls der „Millennium“-Trilogie, aber unbefriedigend bleibt dies doch.
Ulrich
Kriest
Dieser
Text ist zuerst erschienen in: film-Dienst
Verdammnis
Schweden
/ Dänemark 2009 - Originaltitel: Flickan som lekte med elden - Regie: Daniel
Alfredson - Darsteller: Michael Nyqvist, Noomi Rapace, Peter Andersson, Lena
Endre, Michalis Koutsogiannakis, Annika Hallin, Per Oscarsson - FSK: ab 16 -
Länge: 129 min. – Dt. Start: 4.2.2010
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