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Vergebung
Die
Verschwörung der Graumiesen
Nach
dem durchaus ambitionierten Start der Verfilmung der Krimi-Bestseller-Trilogie
des Schweden Stieg Larsson mit „Verblendung“ im
Herbst 2009 enttäuschte der folgende Cliffhanger „Verdammnis“ bereits
durch seine formatierte Schwerfälligkeit, die dem Zuschauer einhämmerte:
Nichts wird je vergessen! Für alles Erdenkliche existiert irgendwo ein
Archiv und am sichersten findet man es im Internet. Der Regisseur Daniel Alfredson
schien zudem den Ehrgeiz seines Vorgängers Niels Arden Oplev, eine filmische
Antwort auf die komplexen Charakterzeichnungen und die politischen Zusammenhänge
der Romanvorlage zu entwickeln, nicht zu teilen und drehte stattdessen solide,
uninspirierte und also handelsübliche TV-Ware von der Stange. Was man für
die Schwäche des undankbaren Mittelteils einer Trilogie hätte halten
können, offenbart sich im Finale allerdings als prinzipielle Mittelmäßigkeit
einer Bestsellerverfilmung, die keinen potentiellen Zuschauer verschrecken,
überfordern oder gar beunruhigen will.
Doch
der Reihe nach! „Vergebung“ beginnt unmittelbar nach dem für Lisbeth Salander
fast tödlich verlaufenen Zusammentreffen mit ihrem Vater, dem aus dem Osten
übergelaufenen Supergangster Alexander Zalatschenko und ihrem deutschstämmigen
Stiefbruder Roland Niedermann. Jetzt liegt Lisbeth mit einer Kugel im Kopf in
der Notaufnahme, während »Zala« gleichfalls schwer verletzt
nur einen Flur entfernt auf eine problemlose Rekonvaleszenz hofft. Währenddessen
gehen außerhalb der Krankenhausmauern die Ränkespiele weiter: Einflussreiche
Polit- und Polizeikreise versuchen zunächst, ihre Verwicklung in die Machenschaften
»Zalas« zu vertuschen, während der investigative Journalist
Mikael Blomkvist genau dies zu verhindern sucht, zumal er Entlastungsmaterial
für Lisbeth braucht, der immer noch eine Anklage für dreifachen Mord
an ihrem Vormund Niels Bjurman und den beiden „Freelance“-Journalisten droht.
Immerhin: „Vergebung“ kommt ohne Umschweife zur Sache, verlässt sich darauf,
dass der Zuschauer mühelos über die beiden vorangegangenen Kinostücke
verfügt oder zumindest Larssons Romane kennt. Damit diese Strategie verfängt,
braucht der Film die Reduktion von Komplexität, müssen doch trotzdem
noch allerlei Erzählfäden aufgegriffen und ausbuchstabiert werden,
bis die Verschwörung der alten Männer in ihren grauen Anzügen
vom Tisch gefegt ist.
Was
dabei herauskommt, ist Kolportage reinsten Wassers. Denn so einflussreich die
Verschwörer auch gezeigt oder zumindest behauptet werden, so reibungs-
und problemlos wird ihnen hier in zweieinhalb Stunden der Garaus gemacht. Als
sich der Supergangster »Zala« anmaßt, noch vom Krankenlager
aus Befehle zu erteilen, findet sich rasch ein krebskranker Mittäter, der
sich bereit findet, die Drecksarbeit seiner Hinrichtung zu übernehmen.
Wenn ein böser Gutachter versucht, der genesenen Lisbeth habhaft zu werden,
findet sich bestimmt ein guter Arzt, der sie eine Zeitlang schützt. Vor
Gericht übernimmt dann Lisbeth selbst nach langem Schweigen die Initiative
und demontiert mit brillanter Rhetorik die Anklage der Staatsanwaltschaft. Und
auch sonst fügt sich Detail nahtlos zu Detail: immer ist ein freundlicher
Hacker zur Stelle, wenn ein Täter mal wieder wichtige Entlastungsdaten
per unverschlüsselter WLAN-Leitung ins Internet setzt. Wozu haben Enthüllungsjournalisten
schließlich Fachleute, die ihnen zuarbeiten? So geht alles routiniert
seinen Gang: Mal bedrohen die Bösen telefonisch die Redaktion des „Millennium“-Magazins,
doch die verständliche Reaktion der Herausgeberin, den alles aufklärenden
Artikel nicht zu bringen, wird dann durch den wackeren Aufklärer Blomkvist
hintertrieben. Sind bestimmte staatliche Stellen durch die Verschwörer
korrumpiert, finden sich bestimmt auch ein paar aufrechte Polizisten, die dann
ganz geheim und im Verbund mit ein paar verlässlichen Kollegen gegen die
Maulwürfe ermitteln. Das alles ist unfassbar trivial; der Politthriller
aus Schweden ist ungefähr so realitätsgesättigt wie der „Herr
der Ringe“ - und der Zuschauer im Kinosaal reibt sich die Hände und freut
sich, dass »die Mächtigen«, die da im Verborgenen ihre dunklen
Machenschaften gepflegt haben, in ihrer grauenvollen Erich-Mielke-Haftigkeit
endlich doch noch ihre Grenzen aufgezeigt bekommen.
Dass
politische Filme nicht von Politik handeln, sondern mit einem politischen Bewusstsein
produziert werden müssen, galt vor Jahren einmal als ausgemacht und war
seinerzeit gegen das engagierte Gutmenschen-Kino eines Costa-Gavras gerichtet.
Mittlerweile wäre man ja schon froh, wenn ein Film, der vorgibt, von Misogynie,
faschistischen Tendenzen innerhalb einer nur scheinbar demokratischen Gesellschaft,
von Korpsgeist und Geheimdiensten, von Kaltem Krieg und dessen nur scheinbarem
Ende, von Aufklärung und Gegenaufklärung zu handeln, am Schluss vielleicht
einen intellektuellen Brosamen für einen mündigen Zuschauer auf dem
Tisch zurückließe, über den nachzudenken sich vielleicht lohnte.
Doch die dunkle Seite der schwedischen Gesellschaft, ihre unterdrückten
und doch an Wehrlosen ausgelebten Wünsche, Triebe und Leidenschaften, der
Zusammenhang von Kapitalismus, Faschismus und Frauenhass, um den es Stieg Larsson
bei seiner „Millennium“-Trilogie gegangen sein mag, wird hier mit einer Leichtigkeit
exorziert, dass im Zuschauer jeglicher politischer Impuls betäubt wird.
Der Rest ist Entertainment, das so tut, als würde hier etwas riskiert.
Ulrich
Kriest
Dieser
Text ist, in ähnlicher Form, zuerst erschienen in der: Stuttgarter Zeitung
Vergebung
Schweden
/ Dänemark 2009 - Originaltitel: Luftslottet som sprängdes - Regie:
Daniel Alfredson - Darsteller: Michael Nyqvist, Noomi Rapace, Annika Hallin,
Per Oscarsson, Lena Endre, Peter Andersson, Jacob Ericksson - FSK: ab 16 - Länge:
146 min. - Start: 3.6.2010
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