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Vicky
Cristina Barcelona
Woody
Allens hält bei seinem Barcelona-Ausflug "Vicky Cristina Barcelona"
die Figuren aus dem Off auf Distanz - mit bösen und komischen Wirkungen.
Zwei Amerikanerinnen in Barcelona, eine
blond (Scarlett Johansson), eine brünett (Rebecca Hall). Sie besuchen eine
Vernissage. Ihre Gastgeberin zeigt auf einen Mann (Javier Bardem) und flüstert
ihnen verschwörerisch zu, er sei Künstler und man höre, er habe
sich unter schlimmen Umständen von seiner Freundin getrennt. Die zwei Amerikanerinnen
in Barcelona gehen ins Restaurant. Sie entdecken den Mann an einem Nebentisch.
Die Blonde macht ihm Augen, er kommt herüber, er spricht sie an. Wollen
wir einen gemeinsamen Ausflug machen, fragt er sehr direkt, ich fliege euch
mit meiner Cessna hin, wir haben Spaß, wir gehen miteinander ins Bett.
Die Brünette ist verlobt und sie ist empört. Die Blonde ist ungebunden
und sichtlich interessiert.
Das ist der erste Zug im Spiel, das nun
beginnt. Zwei Frauen, ein Mann. Die Blonde als Figur, die das Abenteuer sucht.
Die Brünette als Figur, die in New York einen Langweiler (eher nicht) liebt,
der ihr Sicherheit verspricht. Auch einen
Spielleiter gibt es, und er ist der eigentliche Clou dieses Films: Eine männliche
Stimme aus dem Off. Ein Erzähler, der souverän und allwissend scheint
und Dinge zusammenfasst, die sich zwischen den Geschehnissen, die wir sehen,
ereignen. Der auch weiß, wie es im Inneren der Figuren aussieht. Diese
Stimme, dieser Erzähler ist wie eine Hand, die das Spiel von uns, den Beobachtern,
wegschiebt und immer wieder mit Fleiß auch weghält.
Der Erzähler setzt eine Distanz,
einen Abstand und macht das, was wir sehen, zu einer Versuchsanordnung oder
sogar zu einer Demonstration, bei der er - der Erzähler - uns vorführt,
was passiert, wenn die Figuren, ihre Temperamente, ihre uneingestandenen Wünsche
und auch der Zufall aufeinandertreffen. In der Stimme dieses Erzählers
wird die Künstlichkeit der Figuren, ihre psychologische Charakterisierung
offenkundig und dadurch völlig neutralisiert. Was ihr seht, sagt diese
Stimme, ist Figurenschach und sonst gar nichts. Woody Allen, der nie einer war,
der sich für seine Figuren als dreidimensionale Charaktere interessiert,
oder sie - Gott behüte - gar liebt, hat im ausgestellten Figurenschach
eine Form gefunden, die seine Lust am komischen Konfrontieren und Umkonstellieren
von Ausgangslagen trägt und auf die Dauer des Films hält.
Weil alles ein Spiel ist - und durchaus
immer wieder ein böses - spielen auch die Klischees brav ihre Rolle. Der
Spanier ist feurig, die Amerikanerinnen sind wahlweise pragmatisch (brünett)
und leichtfertig (blond), Barcelona besteht aus Werken von Antoni Gaudi und
Wein und Gitarrenmusik. Wie Woody Allen zu den oft genug hanebüchenen Klischees
steht, die er auftischt, ist nicht gewiss. Sein Film jedenfalls betrachtet sie
schlicht und einfach als Material zur Verfertigung einer moralischen Geschichte
(ohne Moral) vor den Augen seiner Betrachter. Wen das an Eric Rohmer erinnert
und seine Serie zu den "Contes Moraux", dem kann man nur sagen: Genau.
Woody Allen erreicht hier für einmal beinah das Niveau des großen
und bösen Meisters aus Frankreich.
Manches kommt wie erwartet, anderes eher
nicht. Man glaubt, ein Klick zu hören und ein Klick und ein Klick. Das
sind die Momente, in denen der Spielleiter seine Konstellation wie ein Kaleidoskop
weiterdreht. So bringt er irgendwann, als die Entwicklung zum Stillstand zu
kommen droht, einfach eine weitere Figur ins Spiel. Das ist
Penelope Cruz und also das spanische Leben selbst. Das Klischee, anders gesagt,
vom Übermaß des Lebens, das am Überschlagspunkt in sein Gegenteil,
ins Suizidale kippt. Die Gefühle toben. Es wird geliebt und wiedergeliebt.
Es wird sich verzehrt und falsche Konstellationen müssen zu richtigen
werden. Es gibt das Glück, auf Zeit.
Die Klischees tollen herum und starten
mit Wein und Gitarre und Antonio Gaudi eine Klischee-Kissenschlacht. Der Erzähler
hält alles immer weiter auf Distanz und so blickt der Betrachter amüsiert
- gelegentlich sogar höchst amüsiert - auf das, was die Menschen da
Menschliches treiben und tun. Für keinen Moment wird man glauben, dass
sie wirkliche Menschen sind; oder dass das, was man sieht, mit der Wirklichkeit
anders denn über Konstellationsabstraktionen verbunden ist. Kalt und künstlich,
getüftelt und berechnet ist das alles. In Wahrheit war es bei Woody Allen
nie anders. Es ist dies, weil er hier seine Distanz zu allem Menschlichen deutlich
wie selten macht, einer seiner komischsten und ehrlichsten Filme seit längerer
Zeit.
Ekkehard Knörer
Dieser Text ist zuerst erschienen
am 3.12.2008 in: www.perlentaucher.de
Vicky
Cristina Barcelona
USA
/ Spanien 2008 - Regie: Woody Allen - Darsteller: Javier Bardem, Patricia Clarkson,
Penélope Cruz, Kevin Dunn, Rebecca Hall, Scarlett Johansson, Chris Messina,
Lloll Bertran - Prädikat: besonders wertvoll - FSK: ab 6 - Länge:
96 min. - Start: 4.12.2008
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