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Vierzig
Gewehre
„Kino", sagt Samuel Fuller, „das
muß man entweder mit Leib und Seele machen und leben oder sein lassen,
und wenn man es macht, dann gelten keine Erklärungen, Ausflüchte,
Entschuldigungen, dann gilt nur das, was im Kino zu sehen und zu hören
ist".
Zu sehen und zu hören sind in »Vierzig
Gewehre«, wie eigentlich immer bei Fuller, gewalttätige Geschichten
um Macht, Geld. Liebe, Tod. Zusammengehalten werden die Geschichten durch Bewegung
und Gewalt. Kugeln sorgen für klare Verhältnisse. Dabei hat nur der
eine Chance, der jederzeit zum tödlichen Schuß bereit ist. Und nur
der überlebt, der seine Bereitschaft zur Gewalt noch durch einen zweiten
Schützen absichert.
In Fullers Filmen herrscht immer Krieg.
»Vierzig Gewehre« beginnt
mit einer Totalen, die für Sekunden eine Idylle herstellt: die weite Landschaft,
der Himmel, die Wolken, ein offener Wagen, von zwei Pferden gezogen, fährt
gemächlich über die staubige Landstraße. Dann ein harter Schnitt
auf die Beine galoppierender Pferde. Schnitt. In dem Wagen werden drei Männer
auf ein dröhnendes Geräusch aufmerksam; sie halten an und schauen
sich um. Wieder ein Schnitt auf die Pferdebeine und den Staub, den sie aufwirbeln.
Dann erneut ein Schnitt auf die drei Männer. Durch einen Schwenk wird erstmals
die Reitermenge sichtbar, die auf den Wagen zukommt. Vorweg reitet die schwarzgekleidete
Barbara Stanwyck auf einem hohen Schimmel; hinter sich her zieht sie wie eine
Schleppe vierzig Männer, die, in Zweierreihen geordnet, ihr folgen. Über
die Stanwyck wird später ein Mann eine Ballade singen: „The high ridin'
woman with the whip".
Wie die Reiter in die anfängliche
Idylle einbrechen und wie Fuller diese Bilder rhythmisiert, erzeugt eine kalte
Atmosphäre von Bedrohung und unterschwelliger Gewalt, die den Zuschauer
sofort in das Geschehen hineinzieht. Der Trommelwirbel, den die Hufe der Pferde
auf den Boden schlagen, die Staubwolken, die einem teilweise die Sicht nehmen,
die kavalleriemäßige Ordnung der Reiter, die Herrschaft signalisiert
und die Bereitschaft, diese Herrschaft auch zu verteidigen, entwickeln eine
sogartige Faszination, die emotional bindet.
Zugleich klärt Fuller mit diesem
Anfang die Fronten: Jeder, der an die Stanwyck heranwill, um ihre Macht zu brechen
und ihr die Peitsche wegzunehmen, hat vierzig Männer am Hals.
Ein Marshall (Barry Sullivan), einer der
drei Männer in dem Wagen, wird es dennoch versuchen. Er hat den Auftrag,
gegen die Stanwyck vorzugehen. Ihm geht der Ruf voraus, seine Waffe nur zu ziehen,
um zu töten. Wenn er ohne Waffe kämpft, helfen ihm dieser Ruf - und
sein Partner, der seine Aktionen aus dem Hinterhalt verfolgt: mit dem Gewehr
im Anschlag.
Gegen Stanwycks Bruder schreitet er waffenlos
ein. Der denkt, die Macht seiner Schwester enthalte auch seine eigene Macht,
jeden zu töten, den zu töten er Lust hat. Als er dann Sullivan sieht,
erschrickt er und erstarrt. Er wird von dessen hartem Blick und festem Gang
völlig in den Bann gezogen. Was die Kamera nachvollzieht, indem sie Sullivans
Augen und Füße ganz groß, also leinwandfüllend zeigt.
Der Konflikt erhält eine neue Qualität
als Sullivan und Stanwyck sich erstmals begegnen. Sie nennt ihn zunächst
einen staatlich sanktionierten Killer, und dann verlieben sich beide ineinander.
Man sagt zu ihm, später: „Die Zeit
des Wilden Westens ist zu Ende. Das ist hier die letzte Station. Es gibt keine
Städte und keine Männer mehr zu zähmen. Jetzt werden Sie sich
selbst zähmen müssen. Man soll den Frieden in einem Land nicht auf
Gräbern aufbauen. Es gibt auch noch andere Wege ... Es ist Zeit, daß
Sie Ihre Waffe wegwerfen." Sie bietet an, ihr Reich mit ihm zu teilen.
Doch bei Fuller hat die Liebe keine Chance.
Seine Filme handeln nie von den Gefühlen, die sich erfüllen, sondern
immer nur von der Unfähigkeit, Gefühle zu entwickeln, oder der Unmöglichkeit,
vorhandene Gefühle auszuleben.
Sullivans Bruder, der zugleich sein Partner
ist, verliebt sich ebenfalls. Seine Liebe beginnt mit einem Blick durch den
Lauf eines Gewehrs, und sie endet mit seinem Tod nach der Trauung. Stanwycks
Bruder erschießt ihn, als er Sullivan erschießen will. Das Ende
der einen Liebe zieht das Ende der anderen Liebe nach sich. Nun muß Sullivan
sein Job erfüllen und zugleich den Tod seines Bruders rächen. Auf
seine Gefühle für die Stanwyck nimmt er keine Rücksicht mehr.
Als sie ihrem Bruder als Schutz dient, schießt Sullivan, ohne zu zögern,
auf sie. Sie bricht zusammen. Und dann schießt er so lange auf den Mörder
seines Bruders, bis keine Kugel mehr in seinem Revolver ist.
***
»Vierzig Gewehre« ist ein
Hardcore-Western, in Cinemascope und Schwarzweiß. Seine harte, fast brutale
Direktheit steht den späteren „Splatter Films" in nichts nach. Wo
Tobe Hooper in »The
Texas Chainsaw Massacre«
oder George .A. Romero in »Zombie« ganz offen Blutorgien feiern,
radikalisiert Fuller mit seinem wilden Rhythmus, der schnell, hart und kalt
zugleich ist, das Leben zum Krieg und das Überleben zum Krieg ohne Krieg.
Wobei er gleichzeitig deutlich macht, daß manchmal eine kurze Ohrfeige
härter und grausamer ist als eine blutspritzende, mit der Motorsäge
abgetrennte Hand.
Wovon »Vierzig Gewehre« auch
handelt:
Von den Kontrasten zwischen schwarz und
weiß und wie dieser Kontrast einmal durch einen Sandsturm hinweggefegt
wird.
Von schwindelerregenden Kranfahrten, die
das Geschehen ins Schweben bringen und den Bildern so für kurze Augenblicke
die Härte nehmen.
Von einer Beerdigungsfeier mit einem riesigen
schwarzen Leichenwagen, einer einsamen Witwe, deren schwarz verschleierter Kopf
in den Himmel ragt, und mit einem Trauersänger, der „God has his arms around
me" singt.
Von einem abgewiesenen Liebhaber, der
sich nach einer demütigenden Schelte erhängt und dessen Leichnam gefunden
wird, als seine Stiefel, vom Wind in Bewegung gebracht, rhythmisch gegen eine
Holztür schlagen.
Und »Vierzig Gewehre« handelt
von einer älteren, doch sehr vergnügten Barbara Stanwyck. Schön
ist, wie sie in manchen Szenen lacht, obwohl dieses Lachen der Szene entgegensteht.
So, als sich ihr Schimmel im Sandsturm aufbäumt, kurz bevor er sie abwirft.
Oder auch am Ende, als sie Sullivan hinterher rennt. Ihr Lachen wirkt wie ein
Kommentar zu dem, was sie darstellt. Auch wie ein Beleg ihrer Lust am Spiel
und ihrer Freude daran.
Norbert Grob
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film 3/84
Vierzig
Gewehre
FORTY
GUNS
USA
1957. Regie: Samuel Fuller. Drehbuch: Samuel Fuller. Kamera: Joseph Biroc. Schnitt:
Gene Fowler Jnr. Musik:
Harry Sukman, Victor Young. Ton: Jean Speak, Harry M. Leonhard. Bauten: John
Mansbridge. Kostüme: Charles LeMaire, Leah Rhodes. Produktion: Globe
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