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Der
Vorleser
Nein, wir wollen jetzt nicht behaupten,
dass der Film von Stephen Daldry eine kongeniale Verfilmung des Bernhard Schlink-Bestsellers
„Der Vorleser“ geworden wäre, weil bereits die Romanvorlage – trotz oder
aufgrund ihrer zumal in den USA erstaunlichen Popularität (Stichwort: Oprah
Winfrey) - altklug, selbstmitleidig, trivial und zudem handwerklich schlecht
gearbeitet ist. (Wer die Zeit hat, möge vielleicht noch einmal Moritz Baßlers
knappe, aber sehr pointierte Demontage von Schlinks Roman aus literaturwissenschaftlicher
Perspektive in „Der deutsche Pop-Roman“ lesen!). Nein, Stephen Daldrys Verfilmung
ist sogar noch sehr viel schlechter als die literarische Vorlage geworden: ein
windelweiches, Beifall heischendes Stück Gefall- und Gefühlskino,
das sich zudem erstaunlich naiv auf vermintem Gelände bewegt. Wenn es sich
denn um Naivität handelt! Manchmal hat man beim Sehen des Films im Kino
das Gefühl, hier geht einer hin und sagt sich: Man müsste vielleicht
mal einen Film über den Holocaust machen, über die Opfer, aber über
die Opfer unter den Tätern und die Opfer unter den Tätern in der nächsten
Generation. Man müsste mal zeigen, wie es sich anfühlt, mit dieser
Schuld zu leben! Vielleicht in Form einer bittersüßen, vielleicht
sogar sommerlichen Liebesgeschichte vor dem Hintergrund einer Apologie bildungsbürgerlicher
Milieus. So ist „Der Vorleser“ betuliches Ausstattungskino geworden, das sich
mehr um das »Wie« als das »Was« bekümmert und kostbare,
immer leicht bräunliche Bilder mit einem emotionalisierenden Musikbrei
tränkt.
Sie tanzten nur einen Sommer. Erzählt
wird die ungewöhnliche Liebesgeschichte zwischen dem 15jährigen Michael
Berg und der mehr als doppelt so alten Straßenbahnschaffnerin
Hanna Schmitz, die einander zufällig im Nachkriegs-Heidelberg begegnen.
Es ist eine triviale Geschichte, die hier ausgebreitet wird. Der Junge wird
von der Frau aus unerfindlichen Gründen in die Geheimnisse der körperliche
Liebe eingeführt; dafür muss er ihr Literatur vorlesen: Homer, Cicero,
Lessing und „Krieg und Frieden“ im Tausch gegen Sex – so muss sich Marcel Reich-Ranicki
das »erotische« Paradies vorstellen! Man sollte sich die Mühe
machen, Schlinks schmalen Roman noch einmal zur Hand zu nehmen, um die ganze
Armseligkeit der Verfilmung zu erfassen. Im Roman erinnert sich ein Erwachsener
an die erste große Liebe, verfügt dabei allerdings nur über
die Erinnerungen des 15jährigen Jungen und seine autobiografische Konstruktion
von Identität. Das Handeln und die Motivation Hannas bleibt dabei mysteriös,
ungleich mysteriöser beispielsweise als im Film, wo von „Machtspielen“
unter den Liebenden keine Rede ist, nicht von strategischen Zurückweisungen
und auch nicht von Ressentiments Hannas gegenüber einer Bildungsschicht,
zur der ihr der Zugang nur parasitär möglich war. Auch findet sich
im Roman eine Episode, in der Hanna klar stellt, dass ihr „blödsinniger“
Beruf weit unterhalb ihrer Träume liegt.
In solchen Frustrationen und Ressentiments
könnten die Wurzeln eines autoritären Charakters liegen, wie ihn Theodor
W. Adorno beschrieben hat. Nun ist es fatal, dass die Perspektive eines sich
erinnernden Ich-Erzählers im Film „Der Vorleser“ zugunsten einer objektivierenden
Kamera aufgegeben wurde. Die moralisch-seelische Erschütterung des verliebten
Jungen, wenn er erfährt, dass seine geheimnisvolle Liebe eine Täterin
ist, sattelt dem Film eine höchst unangenehme Portion von völlig unangemessenem
Selbstmitleid auf. Aus dem erschütterten jungen Mann wird so ein erschütterter
Film, der den Zuschauer zum Mitleid mit der vom Leben, von den Zeitläuften
ungerecht behandelten NS-Täterin zwingen
will. Dass das Nachwuchstalent David Kross („Knallhart“)
Kate Winslet schauspielerisch nichts entgegen zu setzen hat, ist nur ein weiteres,
aber durchaus konsequentes Problem dieser völlig missglückten Verfilmung,
die nie über ein geschmackvoll drapiertes Rührstück hinaus gelangt.
Geradezu unerträglich ist in diesem Zusammenhang die indiskutable Darstellerleistung
von Ralph Fiennes, der sich als greinender Schmerzensmann, als Hannas letztes
Opfer gewissermaßen durch den Film schleppt. Dadurch, dass der Film den
Eindruck erweckt, er habe quasi exklusiv die moralische Dimension der NS-Verbrechen
für sich entdeckt, dadurch, dass die moralische Empörung auf eine
Handvoll staubtrockener Spitzfindigkeiten im juristischen Seminar reduziert
wird, wirkt der Film mehr als nur selbstgefällig, sondern als Kunsthandwerk,
gründend auf dem Holocaust.
Ist der in den 50er Jahren spielende Teil
des Films immerhin noch ein atmosphärisch dichter Sexfilm, so gelingt es
dem Film zu keinem Zeitpunkt den Furor der Aufklärung in den 60er Jahren
einzufangen. Hier wird nicht mit der Tätergeneration abgerechnet, sondern
ein wenig dekorativ über die Legitimität des juristischen Diskurses
disputiert. Aus dem Sexfilm wird jetzt ein uninteressanter Gerichtsfilm. Im
dritten Teil des Films geht es dann um Schuld und Sühne, wobei dieser Teil
unter den Schwächen des zweiten Teils ächzt. Mag Hanna auch schuldig
geworden sein, so hat sie aus Scham über ihren Analphabetismus ihren Kopf
nicht aus der Schlinge gezogen, was vielleicht nur konsequent ist, wenn sich
Hanna denn ihrerseits selbst als Opfer der Umstände begreift. Der mittlerweile
erwachsene Jurist Michael Berg unternimmt mithin nichts, um Hannas Strafverfahren
in die Revision zu bringen. Vielmehr nimmt er ihr jetzt Hörbücher
auf, die sie nutzt, um sich selbst das Lesen und Schreiben beizubringen. Strafe
muss sein, Resozialisierung aber auch. Ein ganz selbstverständlicher Ausflug
in ein Vernichtungslager, pittoresk gefilmt, hält die moralische Dimension
im Schwange, liefert aber zugleich das entscheidende Bild für die Schlusspointe
des Films. Beim Streifzug durchs KZ geht es auch an dem vorbei, was bleibt.
Der Schmerz der großen Liebe beim wehmütigen Ralph Fiennes, die Schuhe
der von den Nazis Ermordeten als memento mori. Als Hanna dann am Tag ihrer Entlassung
Selbstmord begeht, zieht auch sie in Großaufnahme ihre Schuhe aus. Freiwillig,
aber immerhin.
So, als habe es den Historikerstreit der
80er Jahre nie gegeben, werden hier Dinge in Beziehung gesetzt, vielleicht sogar
verglichen, abgewogen. An diesem (empörenden) Punkt ist der Film wieder
kreativ, diese Szene gibt es im Roman nicht. Gleichfalls anders als im Roman
die Schlussszene in New York. Geht es im Roman um die Verweigerung der Absolution
Hannas durch eine Überlebende in New York, so erlaubt sich der Film hier
eine letzte Ausstattungsorgie, die großzügige Räume voller Kultur
und moderner Kunst zeigen. Während Hanna in ihrer kargen Zelle büßte
und notdürftig ihre letzten Groschen sparte, um so auf ihre Weise ein Opfer
exemplarisch zu entschädigen, lebt die Jüdin bereits wieder in Umständen,
die Hannas Almosen nicht brauchen. Ist das nur polemisch oder doch schon antisemitisches
Ressentiment? Zu dieser Pointe passt der bedeutungsschwanger exponierte, aber
gleichzeitig extrem oberflächlich verhandelte Analphabetismus der Protagonstin,
der bloß anekdotisch bleibt, obschon sich hier entscheidende Fragen stellen:
Was hat Hannas bildungsferne Unfähigkeit zu lesen mit der Amoralität
ihres pragmatischen Handelns zu schaffen? Warum fehlt ihr die Fähigkeit,
über den Moment hinaus intellektuell zu abstrahieren? Solche zentralen
Fragen beantwortet der Film nicht, er stellt nicht einmal diese Fragen. Dass
die NS-Täter eher in der Klasse von Michaels Vater zu suchen sind und nicht
bei den lese- und schreibunkundigen Straßenbahnschaffnerinnen, sollte
bis Hollywood durchgedrungen sein. Man kann hier allerdings durchaus eine Parallele
zu „Das
Leben der Anderen“ erkennen,
wo es ja auch darum ging, dass die Begegnung mit der bürgerlichen Kultur
einen Täter quasi in Echtzeit moralisch dekontaminierte. Man erinnere sich:
Am Ende produzierten dort Unterdrückung, Bespitzelung und erotisch unterfütterte
Ranküne ein weiteres Buch. Stephen Daldry und Drehbuchautor David Hare
hätte oder hat diese Pointe sicher gut gefallen.
P.S. Am Rande sei an eine Episode der
BBC-Comedy-Serie „Extras“ erinnert, in der Kate Winslet über ihre fiktive
Rolle in einem NS-Drama erklärte: „Es ist ja nicht so, dass die Welt noch
einen weiteren Holocaust-Film bräuchte, aber mir garantiert diese Rolle
einen Oscar. In dieser Hinsicht hat das in der Tat Maßstäbe setzende
Spekulations-Objekt „Der Vorleser“ multimedial zu sich selbst gefunden.
Ulrich Kriest
Dieser Text ist in ähnlicher
Form auch erschienen im: Rheinischen Merkur
Der
Vorleser
USA 2008 - Originaltitel: The Reader - Regie: Stephen Daldry - Darsteller: Kate Winslet, Ralph Fiennes, David Kross, Bruno Ganz, Lena Olin, Hannah Herzsprung, Karoline Herfurth, Matthias Habich, Burghart Klaußner - FSK: ab 12 - Länge: 122 min. - Start: 26.2.2009
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