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Waffenstillstand
Deutscher
Idealismus unterwegs im Irak.
Am
Anfang schwenkt die Kamera zwischen Ruinen herum, dazu geben Untertitel Auskunft
über die Lage in Falludscha anno 2003. Waffenstillstand gibt
sich also von Beginn an einen historisch-dokumentarischen Anstrich. Doch auch
wenn die in Marokko gedrehten Szenen den aus dem Fernsehen bekannten Irakbildern
täuschend ähneln: Der klassische Abenteuerplot könnte im Grunde
an jedem – realen oder fiktiven – Kriegsschauplatz spielen. Er macht sich vor
allem die genaue Begrenzung von Handlungsraum und Handlungszeit zunutze. Bis
zum nächsten Morgen ruhen in der umkämpften Stadt die Waffen, so lange
hat ein deutsches Rettungsteam Zeit, Medikamente und Blutkonserven von Bagdad
dorthin zu bringen und wieder zu verschwinden. Das Team setzt sich zusammen
aus einem morphiumsüchtigen Arzt, einer jungen NGO-Mitarbeiterin, zwei
ZDF-Reportern und einem irakischen Fahrer mit einer Vorliebe für arabischen
Jazz.
Auf
der Fahrt von Bagdad nach Falludscha arbeitet Regisseur Lancelot von Naso die
Situationen ab, die man auf einer solchen Tour erwarten darf: Heckenschützen,
Militärkontrollen, aufgebrachte Landbevölkerung, schwer einsehbare
Ruinenschluchten, eine Autopanne kurz vorm Ziel und einheimische Helfer, die
Verräter sein könnten. Doch die damit einher gehenden Emotionen –
Misstrauen, Panik, Klaustrophobie – wollen sich nie so recht auf den Zuschauer
übertragen: Zu zaghaft und schwunglos sind diese Szenen inszeniert, zu
wenig engagiert wirken die Darsteller.
Vor
allem das für einen solchen Plot naheliegende Spannungselement – das Aufeinanderprallen
verschiedener Individuen, der sich zur Eskalation steigernde Gruppenkonflikt
– will nicht zünden. Denn im Grunde handelt es sich bei allen Protagonisten
um Facetten ein und desselben Charakters: des aufopferungsvollen Idealisten.
Nur im Willen zum rationalen Denken und im Grad der Desillusionierung unterscheiden
sie sich, und darin sind sie sauber nach Alter und Geschlecht sortiert: Folgerichtig
ist Kim (Thekla Reuten) das naive junge Ding, das die Gruppe regelmäßig
in die Bredouille bringt; schon der Anlass der Fahrt basiert auf ihrer frommen
Lüge, sie besäße einen Passierschein. Der unwesentlich ältere
und in sie verliebte Journalist Oliver (Maximilian von Pufendorf) folgt ihr
gutgläubig in die Gefahr, die Haudegen Alain (Matthias Habich) und Ralf
(Hannes Jaenicke) sind auf dem Weg zum Zynismus erfahrungsbedingt schon ein
paar Schritte weiter. Während das Ersteren in die Morphiumsucht treibt,
will Letzterer mehrfach aussteigen, lässt sich aber immer wieder zur Weiterfahrt
überreden. Als anfangs größter Bedenkenträger ist er für
die opferreiche Heldentat am Ende prädestiniert.
Wenn
der Film für die desolaten Zustände im Krankenhaus zuletzt doch recht
eindringliche Bilder findet, so verspielt er dies durch die dort endgültig
ins Unglaubwürdige gesteigerte Selbstlosigkeit aller Beteiligten. Er opfert
das Konfliktpotenzial zwischen den Figuren gleichsam der Vorführung beispielhaften
Verhaltens. Was innerhalb der Konstruktion des Films natürlich sinnig ist,
denn ganz offensichtlich will Waffenstillstand auch
ein relevantes Statement sein. Den Part des Stichwortgebers übernimmt hier
Matthias Habichs Figur. Ihre über den Film verstreuten Belehrungen zum
Krieg gegen den Terror, zu Saddam und den Amis und so weiter machen den Kinosaal
szenenweise zum Klassenraum, in dem längst bekannter Stoff zum x-ten Mal
wiederholt wird.
Auch
wenn sich der Film so vorsichtig gibt und jede missverständliche Szene
vermeiden will, stolpert er dann doch auf die eine oder andere Tretmine. Sie
alle tragen die Aufschrift „Authentizität“. Dabei ist die stilistisch-narrative
Doppelung – ein halb im Dokustil gedrehter Film mit zwei Hauptfiguren, die ihrerseits
eine Doku drehen – ein gar nicht uninteressanter Ansatz, dem eine Menge Reflexionspotenzial
innewohnt. Bloß bleibt der Film dem gegenüber bewusstlos. Wenn er
zum Diskurs über den Wahrheitsgehalt von Kriegsbildern irgendwas beiträgt,
dann den Vorschlag, ihnen ruhig zu vertrauen. Denn beides – der Vor-Ort-Realismus
vortäuschende Kamerastil wie die zwei als engagierte Aufklärer gezeichneten
TV-Reporter – bezeugt in Waffenstillstand im
Grunde die Glaubwürdigkeit der medialen Kriegserzählung. Welche Ergebnisse
ein so naiver Blick produziert, zeigt hier unter anderem die Darstellung der
irakischen Bevölkerung, die – Fahrer Husam (Husam Chadat) eingeschlossen
– im puren Exotismus verharrt.
Der
die Figuren treibende Idealismus entpuppt sich auch als Credo des Films: „Man
muss doch irgendwas tun“, diese Botschaft ließe sich aus Waffenstillstand
destillieren,
in der Schlussszene – einem Ausschnitt aus Ralfs und Olivers Doku, in der ein
irakischer Arzt interviewt wird – wird das sogar fast wortwörtlich so gesagt.
Das ist natürlich gut gemeint. Doch komplexe politische Zusammenhänge
aufs Menschlich-Allzumenschliche herunterzubrechen ist noch immer schiefgegangen.
Und es menschelt gewaltig in Waffenstillstand. In
einer Szene zwischen Ruinen greifen Ralf und Husam ganz tief in die Mottenkiste
der männlichen Wir-sind-doch-alle-gleich-Gesten: Sie zeigen sich gegenseitig
Fotos von Frau und Kindern. Der gute Wille, den der Film als Patentrezept zur
Problemlösung anbietet, kann den Zuschauer hier leicht verlassen.
Maurice
Lahde
Dieser
Text ist zuerst erschienen in www.critic.de
Waffenstillstand
Deutschland
/ Schweiz 2009 - Regie: Lancelot von Naso - Darsteller: Matthias Habich, Thekla
Reuten, Hannes Jaenicke, Max von Pufendorf, Husam Chadat, Calvin E. Burke, Peter
Gantzler, Harvey Friedman - Prädikat: wertvoll - FSK: ab 12 - Länge:
95 min. - Start: 1.4.2010
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