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Wall-E
– Der letzte räumt die Erde auf
Dramaturgisch unbekümmerter als
seine Vorgänger verbindet der neue Pixar-Disney-Film Computeranimation
und Detailvergnügen mit einer ausgesprochen zivilen Botschaft von Maschinen,
Müll und Menschen
Es beginnt wie eine jener kurzen poetisch-ironischen
Animationsparabeln, die weder Kommentar noch Dialog benötigen, so wie man
sie in den sechziger Jahren liebte. Die Erde ist zugemüllt, kein Mensch
lebt hier mehr, auch die Maschinen haben ihren, nun ja, Geist aufgegeben. Alle
Maschinen? Nein. Ein kleiner Roboter mit der Serienbezeichnung Wall-E geht unerschütterlich
seiner Arbeit nach. Er sammelt mit seinen Greifarmen Müll zusammen, presst
sie in seinem Metallbauch zu handlichen Würfeln und schichtet sie säuberlich
auf. Wie es alle Wesen tun, so sammelt auch Wall-E nebenbei nützliche und
schöne Dinge, mit denen er sein Heim, einen Container, schmückt. Einen
Rubik’s Cube, eine Gummiente, eine Partyleuchte, aber natürlich auch Ersatzteile
für sich selbst. Glanzstück seiner Sammlung ist ein altes Video mit
einer song-and-dance-Nummer, das er jeden Abend bewundert. Sein einziger Begleiter
ist eine Küchenschabe. Wir
wussten schon immer, dass dies die Wesen sind, die uns überleben
werden, die Maschine und das Insekt, fleißig und unschuldig. Wir wussten
nur nicht, wie menschlich diese nach-menschlichen Wesen sein würden.
Es sind die liebevoll ironischen Details,
mit denen der Alltag des ewigen Arbeiters und seine kleinen Freuden geschildert
werden, zugleich ein alleingelassenes Kind und ein Relikt einer industriellen
Zeit, wegen der man am liebsten noch ein halbes Stündchen mit Wall-E im
Müll verbringen wollte, sein Glück in der Einsamkeit, seine Einsamkeit
im Glück teilen und auf Story und Botschaft pfeifen. Aber dann geschehen
Dinge, die Wall-Es Leben entscheidend verändern: Ein gewaltiges Raumschiff
landet und entlässt einen Forschungsroboter von porzellanener Vollendung.
Es ist »Eve«, und Wall-E ist hin und weg von ihrer Makellosigkeit
und Effizienz. Um sie nicht zu verlieren, heftet er sich an ihr Raumschiff und
landet in der perfekten neuen Welt, die die Menschen sich auf einem künstlichen
Stern geschaffen haben. Sie bewegen sich in fahrbaren Liegestühlen, schlürfen
Kaloriendrinks und sind so fett, dass sie aus eigener Kraft nicht mehr gehen
können. Ergeben lauschen sie den Botschaften der Fernsehschirme, versammeln
sich zu ausgedehntem Massen-Nichtstun und folgen willenlos den Anordnungen der
Maschinen, die offensichtlich längst die Macht über die Menschen übernommen
haben, auch wenn sie sich als ihre Diener darstellen.
Von da an wird aus der offenen Parabel,
die ohne Worte auskommt, ein typischer Disney-Pixar-Animationsfilm mit Verfolgungsjagden,
Sentimentalität und Subversion, mit einer einigermaßen klaren Botschaft
und einem Happy End: Mit der freundlichen Hilfe der beiden verliebten Maschinen
schütteln die Menschen das Joch der eigenen Trägheit ab und machen
sich auf die Rückkehr zur Erde. Dort wartet, Max Weber sei gepriesen, buchstäblich
ein Haufen Arbeit, aber eben auch eine lang vermisste Freude, den Garten zu
bestellen. Auch dieser zweite Teil des Films ist trotz seiner vertrauten Zutaten
immer noch höchst vergnüglich, strotzt vor Anspielungen und überraschenden
Kleinigkeiten, und dabei kommt Wall-E ganz ohne Raumschlachten, sogar fast ohne
Feindbilder aus.
Die Computeranimation ist mittlerweile
auf einem Stand, dass man sich bei Pixar gar nicht mehr so sehr um den spektakulären
Effekt oder die Rendering-Protzerei bekümmern muss, sondern sich stattdessen
auf das beseelte Detail konzentriert. Das Unangestrengte, Beiläufige und
Zusätzliche wird zum eigentlichen Wert; und Wall-E ist der perfekte Ausdruck
dieser Philosophie. Es kommt nicht auf die Kraft, sondern auf den Charakter
an.
Träumen kleine Roboter von elektronischen
Schäfchen? Falsche Frage. Das Menschsein träumt sich, wenn es nicht
anders geht, in eine Maschine. Wall-E ist der Kinderfilm, der auf die Bush-Ära,
auf die Immobilien- und Finanzkrise, auf die Ängste sozialen Umbaus auch
hierzulande folgt, ein Neuanfangsfilm, sehr amerikanisch zugleich in seinem
Optimismus und seiner Begrenzung: Wie das Zitat-Spiel des Abspanns nahelegt,
fängt die ganze menschliche Kulturgeschichte eben noch einmal von vorne
an, von der Höhlenmalerei über Van Gogh zu, nun eben, Pixar-Ästhetik.
Besser als die übliche Apokalypse ist das allemal.
Georg Seeßlen
Dieser Text ist zuerst erschienen
in: epd Film 9/2008
Wall-E
USA
2008. R: Andrew Stanton. B: Andrew Stanton, Jim Reardon. P: Jim Morris. K: Jeremy
Lasky. Sch: Stephen Schaffer. M: Thomas Newman. A: Ralph Eggleston. Animation:
Alan Barillaro, Steven Clay Hunter. Pg:
Walt Disney/Pixar. V: Walt Disney. L: 98 Min. FSK: o. Al. FBW: besonders wertvoll.
Sprecher: Timmo Niesner, Luise Helm, Markus Maria Profitlich.
Start: 25. 9. (D, A, CH)
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