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Waltz
with Bashir
Ja, so sieht Vergangenheitsbewältigung aus, wie sie bei uns nie
passiert ist. Ari Folman, renommierter Regisseur im israelischen Fernsehen,
geht in diesem animierten Dokumentarfilm der Frage nach, warum sein Gedächtnis
einen Einsatz im Libanonkrieg ausgeblendet hat. 1982 in den Flüchtlingslagern
von Sabra und Shatila. Er befragt ehemalige Kameraden. Zeitzeugen. Und er kommt
dem Trauma auf die Spur – und seinen Albträumen. Die jungen Soldaten von
damals nennen heute die Massaker beim Namen. Das ist hart. „Verbrechen“. „Völkermord“.
Die autobiografische Reise in tiefe Bewusstseinsschichten produziert das bekannte
Bild des kleinen Jungen, der mit erhobenen Händen im Warschauer Ghetto
steht.
Zu den Erinnerungen gehören die Bilder von unbedarften jungen
Leuten – „Ich war mir meiner Männlichkeit nicht sicher“ -, die auf dem Schnellboot Richtung Libanon eine Love-Boat-Party
feiern mit klasse Rockmusik. Euphorisch ziehen sie in den Krieg. Mit einem Lied
auf den Lippen. „Jeden Tag hab ich Beirut bombardiert. Unschuldige töten
wir sicher auch. Aber ich lebe“. Im Kasino zieht sich
ein Offizier Pornofilme rein. Auf der Straße geht ein TV-Team unbeirrt
durch den Kugelhagel. Kamerad Bashir steht „wie auf LSD-Trip“ allein auf einer
Beiruter Straßenkreuzung. Er tanzt im Walzertakt. Blindlings in die Häuser
ringsum schießend. Er wird ein Popheld. Im Hippodrom quälen sich
halbtote Araberpferde; die anderen sind schon enthauptet; die Köpfe gepfählt.
Die Gräuelbilder sind dokumentarisch beglaubigt. Sie erinnern
an Hieronymus Bosch, aber auch an die Jugendkultur der achtziger Jahre. Und
sie sind durchsetzt mit Albtraumsequenzen, die im Laufe des Films real werden.
Die letzten Bilder verlassen die Animation. Die Totenklagen der Mütter.
Das Ende des Traumas.
Wie nebenbei klärt der Film die Rolle der Armee bei den Massakern
in den Flüchtlingslagern, begangen von christlichen Phalangisten in israelischen
Uniformen. Die Soldaten erhellten den Himmel mit Leuchtraketen und sahen zu,
untätig. Ein Zeitzeuge berichtet, dass er nach einer halben Flasche Whisky
Sharon angerufen und aus dem Bett geholt habe. „Arik, hör mal ...“ - Antwort: „Vielen Dank für die Information und ein
frohes Neues Jahr“.
Nochmal: deutsche Soldaten waren mit dem „Denn wir fahren, denn wir
fahren, denn wir fahren gegen Engelland“ in den Krieg gezogen. Aber offenbar
hatte kein Wehrmachtssoldat ein Trauma erlitten, das aufzuarbeiten gewesen war.
„Waltz with Bashir“ ist ein mutiger, starker Film. Exemplarisch. Respekt!
Dietrich Kuhlbrodt
Dieser Text
ist zuerst erschienen in: Konkret
Zu
diesem Film gibt’s im archiv der filmzentrale mehrere
Texte
Waltz
with Bashir
Israel/Deutschland/Frankreich
2008. R, B: Ari Folman. P: Ari Folman, Serge Lalou, Gerhard Meixner, Yael Nahlieli,
Roman Paul. Sch: Nili Feller. M: Max Richter. Pg: Bridgit Folman Film Gang/Les
Films d‘Ici/Razor Film. V: Pandora Film Verleih. L: 87 Min. FSK: . FBW: besonders
wertvoll. Animation: Yoni Goodman, Gali Edelbaum, Tal Gadon. Zeichner: Ya‘ara
Buchman, Michael Faust, Asaf Hanuka, Tomer Hanuka.
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